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Ist die Porno-Industrie so etwas wie die Tabak-Industrie in den 1980ern?

"Wenn wir ein iPhone haben, dann haben wir ein tragbares Porno-Kino".

Im Jahr 2013 führte Beyonce Knowles die GQ-Liste der "100 Heißesten Frauen des 21. Jahrhunderts" an. Im gleichen Jahr veröffentlichte "das Männermagazin für Style und Anspruch", wie es sich selber bezeichnet, "10 Gründe, warum Du aufhören solltest, Porno anzuschauen". 

Zur Liste der angeführten Gründe gehörte, dass Männer, die regelmäßig Pornographie benutzen, öfter impotent sind. Ausgangspunkt des Artikels war ein Interview mit NoFap, einer Online-Community, deren Mitglieder sich gegenseitig dabei unterstützen, sich von Pornographie und Masturbation zu enthalten. Mit Religion hat dies, wie die Website betont, nichts zu tun. 

Ganz anders sieht es mit Matt Fradd aus. Er ist aus katholischer Überzeugung aktiv, hat den Großteil seines Erwachsenendaseins damit verbracht, Menschen davon zu überzeugen, mit dem Porno-Konsum aufzuhören. Für Porno-Süchtige entwickelte der gebürtige Australier Websites und andere Ressourcen, um ihnen zu helfen. 

Nicht gegen Sex, wohl aber gegen Porno

Trotz seiner gläubigen Einstellung wird man in seinem neuen Anti-Porno-Buch "The Porn Myth" (deutsch "Der Porno-Mythos") vergebens nach Heiligen-Zitaten oder Bibel-Stellen suchen. 

"Ich wollte eine nichtreligiöse Antwort auf die 'Pro-Porno'-Argumente schreiben", erklärt Fradd.

Warum? Nicht etwa, weil der Katholizismus keine Antworten habe oder er selber nicht mehr von religiösen Argumenten überzeugt sei.

"In einer zunehmend weltlichen Kultur brauchen wir Argumente, die auf wissenschaftlichen Forschungsergebnissen basieren. Und davon gibt es jede Menge", sagte Fradd.

Deshalb zitiert er in seinem Buch aus zahlreichen Studien auf praktisch jeder Seite seines Buches, und deshalb verweist er im Anhang über 50 Seiten auf weitere Forschungsergebnisse zum Thema.

Sorgfältig stellt Fradd klar, dass das Buch nicht gegen Sex oder Sexualität ist. Vielmehr stellt er die Frage, ob die Einstellung vieler Menschen zur Pornographie die richtige ist – gerade mit Blick darauf, ein erfülltes Leben zu haben.

Der menschlichen Natur gerecht werden 

"Das Buch beruht auf einer grundsätzlichen Annahme: Wenn Du willst, dass sich etwas gut entwickelt, dann musst Du es so einsetzen, wie es seinem natürlichen Wesen entspricht", schreibt Fadd.

"Man pflanzt keine Tomaten in einem dunklen Schrank und gießt sie mit Limonade und erwartet dann, blühende Tomatenpflanzen zu haben. Das zu tun würde dem natürlichen Wesen der Pflanzen nicht gerecht. Ähnlich ist es mit Sexualität: Wer diese aus ihrem offensichtlichen Beziehungskontext herausreißt und in eine Ware verwandelt, kann nicht erwarten, dass so Individuen, Familien oder Gesellschaft gedeihen."  

Aber warum ein ganzes Buch über die wissenschaftlichen Folgen der Pornographie?

Die schiere Menge an Pornographie, die konsumiert wird mache sein Anliegen ein besonders dringliches, erklärt Fradd. Tatsächlich erscheine es zwei Jahrzehnte zu spät. 

Einer Studie zufolge konsumieren 63 Prozent aller Männer und 21 Prozent aller Frauen im Alter von 18 bis 30 jede Woche mehrfach Pornographie. Ganz zu schweigen von denen, die weniger oft Pornos nutzen.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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"Wenn wir ein iPhone haben, dann haben wir ein tragbares Porno-Kino. Und manchen Studien zufolge werden Kinder bereits im Alter von 8 Jahren dem ausgesetzt. Wenn ich also jemanden kennenlerne, der 14 Jahre alt ist, weiß ich, dass sie schon einmal Pornos gesehen haben oder sogar regelmäßig anschauen", sagt Fradd. 

Entlarvung moderner Mythen

Eine der im Buch zitierten Studien ist die Untersuchung von Melissa Farley, Leiterin von "Prostitution Research and Education". Als Farleys Forscher-Gruppe eine Studie über Männer, die für Sex bezahlen, durchführen wollte, hatten die Wissenschaftler Probleme, Männer zu finden, die dies nicht tun. 

"Der Gebrauch von Pornographie, Telefonsex, Schoßtänzen, und anderen [sexuellen] Diensten ist so weitverbreitet, dass Farleys Team die Definition eines Nichtkäufers sexueller Dienste lockern musste, um 100 Personen für die Kontrollgruppe des Forschungsprojekts zusammen zu bekommen", schreibt Fradd.

Im Buch entlarvt Fradd zahlreiche, häufig zu hörenden Mythen, darunter die Behauptung, dass Frauen durch Pornographie gestärkt würden, dass es nicht süchtig mache, und dass es ein gesunder Bestandteil von Sexualität und Beziehungen sei. 

Eine der am meisten geglaubten Mythen sei, dass Pornographie niemandem schade. Tatsächlich schade Pornographie dem Menschen persönlich, zwischenmenschlichen Beziehungen und der ganzen Gesellschaft, betont Fradd.

Was die menschliche Person betrifft, so zeigte eine Studie des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (MPIB), dass bei Männern, die häufig Pornographie konsumieren, Teile des Gehirns schrumpfen. Ob ein direkter kausaler Zusammenhang besteht, ist unklar. "Das bedeutet, wenn Pornographie Dein Gehirn nicht schrumpft, dann bevorzugen Menschen mit kleinen Gehirnen Pornographie", sagte Fradd. "So oder so: Es kein Ruhmesblatt".

Mit Blick auf die Frage, ob Pornographie gut für die Gleichstellung der Frau sei, meint Fradd: Es sei zwar in gewisser Hinsicht "besser", wenn eine Frau aus freien Stücken der Beteiligung an der Herstellung von Pornographie zustimme, statt dazu genötigt oder gezwungen zu werden. Viel "besser" sei es jedoch nicht, denn beim Porno-Konsum werde immer ein Mensch als Mittel zum Zweck gebraucht. 

Konkreter Schaden für Frauen

"Egal wie hoch der Grad der Zustimmung auch sein mag, ist es männlicher, eine Frau mit Würde zu behandeln, die selber ihre Würde vergessen hat", schreibt Familienvater Fradd.

Der Autor zitiert Rebecca Whisnant, Professorin für feministische Theorie, die in einem Vortrag im Jahr 2007 den Mythos von der Ermächtigung von Frauen durch Porno entlarvte: 

"Feminismus hat die Beseitigung der Unterdrückung von Frauen zum Ziel. Die Entscheidungsfreiheit von Frauen in verschiedenen Lebensbereichen ist dabei wesentlich, aber das ist nicht alles. Tatsächlich beinhaltet eine sinnvolle Frauen-Emanzipation nicht nur den Anspruch auf das Recht, selber Entscheidungen zu treffen, sondern auch, sich selber zur Rechenschaft zu ziehen für die Folgen der Entscheidungen, die man trifft, für sich selbst und andere". 

Die Teilnahme an der Porno-Industrie beraube Frauen ihrer Emanzipation eher, so Fradd. Er verweist auf das Beispiel von Frauen, die Opfer von Menschenschmugglern werden, während sie in der Porno-Industrie arbeiten. Schätzungen zufolge werden bis zu zwei Millionen Frauen und Mädchen als sexuelle Sklaven gehalten. 

Aus diesem Grund spendet Fradd das gesamte Einkommen vom Verkauf seines Buches den Kindern vom Unbefleckten Herzen. Die Einrichtung hilft den Opfern von Menschenhandel.

Aber auch Frauen, deren Beziehungen mit Männern scheitern, die an Porno-Sucht leiden, sind Opfer des Porno-Problems, erklärt Fradd.

"Fragen Sie die Millionen von Frauen, deren Ehemänner gewohnheitsmäßig Pornographie konsumieren. Fühlen die sich durch Pornographie ermächtigt?"

Die Nutzung von Pornographie schadet auch ehelichen Beziehungen. Fradd berichtet von einer Studie aus dem Jahr 2003, an der 350 Scheidungsanwälte beteiligt waren, und der zufolge Pornographie eine Rolle in der Hälfte aller Scheidungsfälle spielte. 

Ein weiterer Mythos ist die Idee, dass eine Heirat eine Porno-Sucht heilen könne. Diese Vorstellung beruhe auf einem falschen Verständnis der Psychologie der Sucht, erklärt Fradd. 

Lieber Pixel statt Personen? 

Doch Pornographie kann auch einem einzelnen Individuum auf der Suche nach Liebe schaden.

Der Psychologe Philip Zimbardo erklärte in einem Vortrag der "TED"-Reihe im Jahr 2011: Studien hätten gezeigt, dass unter Männern soziale Unbeholfenheit und Angst vor Intimität weitverbreitet sei. Viele hätten Schwierigkeiten, mit Frauen von Angesicht zu Angesicht ein Gespräch zu führen, schreibt Fradd. 

"Warum? Zimbardo zufolge ist die Ursache ein generell unverhältnismäßig hoher Grad an Internet-Nutzung sowie besonders ein exzessiver Zugang zu Pornographie. 'Das Gehirn von Jungen wird digital auf völlig neue Weise verdrahtet, ausgerichtet auf Neuigkeiten, Abwechslung, Aufregung".

Andere Experten teilen die Beobachtungen Zimbardos. Fradd verweist auf den Neurowissenschaftler William Struthers. Dieser schrieb im Jahr 2009: "Durch wiederholtes Ausleben der Sexualität in Abwesenheit des Partners bindet sich ein Mann an ein Bild statt einer Person". 

Mit anderen Worten: Männer können anfangen, Pixel menschlichen Personen zu bevorzugen. Wie eine Statistik von NoFap aus dem Jahr 2013 zeigt, haben rund die Hälfte der Nutzer noch keinen Sex mit einer echten Person gehabt - ihre Erfahrungen sexueller Intimität waren ausschließlich digitaler Natur.

"Wie die Tabak-Industrie in den 1980ern"

Schon allein aus diesem Grund haben viele Menschen, besonders Männer, versucht, die Porno-Angewohnheit loszuwerden, sagt Fradd.

"Ich kenne Agnostiker oder Atheisten, die buchstäblich mit dem Porno-Konsum aufhören weil sie nicht mit den Leuten, die sie aufgegabelt hatten, Sex haben konnten. Deshalb haben die Schluss gemacht mit Porno. Das sind fitte, gutaussehende junge Männer, die mit einer jungen Frau keine Erektion bekommen konnten. Und die realisierten: Wenn die Frau weg war und sie ihren Laptop aufklappten, bekamen sie sofort eine Erektion."  

Mittlerweile finde ein gesellschaftliches Umdenken statt, sagt Fradd. Ermutigend sei das Beispiel von Prominenten wie Pamela Anderson, dem britischen Komödiant Russell Brand, Schauspieler Joseph Gordon-Levitt und Rashida Jones, die sich gegen Pornographie ausgesprochen haben.

Die negativen Folgen der Pornographie würden zunehmend erkannt, schreibt Fradd.

Wer heute noch Pornographie rechtfertige, klinge zunehmend wie die Sprecher der Tabak-Industrie in den 1980er Jahren, so Fradd. "Angesichts der Beweislage erscheinen deren Behauptungen zunehmend lächerlich".

Fradds bislang nur in Englisch erhältliches Buch finden Sie unter www.thepornmyth.com

Eine frühere Fassung dieses Artikels erschien am 23. März 2017.

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