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"Wir müssen uns mit unseren Brüdern versöhnen, nicht der Geopolitik"

Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk im Interview mit CNA in Rom am 23. Februar 2016

Einen Weg der Versöhnung unter Brüdern entwickeln; einen ökumenischen, theologischen Weg, der auf Wahrheit und Gerechtigkeit gegründet ist: Das ist der Vorschlag von Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, dem Oberhaupt der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche. Im Interview mit der italienischen Ausgabe von CNA analysiert der Großerzbischof — in Rom zur ständigen Synode der griechisch-katholischen Kirche —die Tragweite der gemeinsamen Erklärung von Papst Franziskus und Patriarch Kyrill. Er beleuchtet die kritischen Punkte, die von seinen Gläubigen hervorgehoben wurden, und die er dem Papst mitteilen werde. Es ist ihm wichtig zu betonen, dass "die Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri der östlichen Tradition nichts wegnimmt. Im Gegenteil! Sie lässt sie wachsen, denn sie macht uns frei vom Provinzialismus. Vom engen Nationalismus. Sie öffnet uns wirklich die universalen Horizonte der Kirche Christi!"

CNA: Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht die Begegnung zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kyrill vom vergangenen 12. Februar? 

SCHEWTSCHUK: Nach dem, was ich denke und nach dem, was ich von Seiten der ukrainischen Bevölkerung gehört habe, ist das eine sehr bedeutsame Begegnung. Und ich stimme darin überein, dass es sich um eine historische Begegnung handelt. Denn man muss sich treffen, um zu diskutieren und unseren Weg hin zur Einheit voranzubringen. Aber es wurden auch einige Fragen und Enttäuschungen von Mitgliedern der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche aufgeworfen, sowie von Christen in der Ukraine, bezüglich dieser sogenannten "Erklärung" die in Havanna von Papst Franziskus und Patriarch Kyrill unterzeichnet worden war. Warum? Weil es schön ist, dass wir uns als Verbündete betrachtet haben und dass wir uns gemeinsam daran machen, auf viele schwierige Situationen in der Welt zu antworten. Aber der Ökumenismus setzt nicht voraus, dass wir auf gemeinsame Feinde antworten. Der Ökumenismus ist ein Weg hin zur Einheit.

CNA: Was sind die Folgen für den ökumenischen Dialog in der Ukraine von heute?

SCHEWTSCHUK: Ich glaube, dass die Begegnung in Havanna nur den Beginn dieses Weges darstellt. Wir dürfen unsere Aufmerksamkeit nicht nur auf einen Punkt richten, auf die Erklärung. Wir müssen vielmehr daran denken, was danach zu tun ist. Und das erste ist: die Religion von der Politik befreien. Wir können uns nicht mit der Geopolitik versöhnen, aber wir müssen uns mit unseren Brüdern versöhnen.

CNA: Auf welche Art und Weise kann dieser Weg der Versöhnung vorangebracht werden?

SCHEWTSCHUK: Ich glaube, dass wir zuallererst den gemeinsamen Weg hin zur Einheit beginnen müssen, indem wir die Wahrheit und die Gerechtigkeit suchen. Dabei ist es wichtig, einen echten Dialog anzufangen, ohne uns gegenseitig zu beschuldigen, ohne den anderen als einen Feind anzusehen. Wir können vielmehr unsere gemeinsamen Wurzeln entdecken. Wir sind berufen, auf lokaler Ebene alle Errungenschaften anzuwenden, die wir auf universeller Ebene erreicht haben.

CNA: Sie haben sich beklagt, bei der Erarbeitung der Erklärung nicht zu Rate gezogen worden zu sein, obwohl sie Mitglied des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen sind. Wenn man sie konsultiert hätte, welche Ratschläge hätten sie gegeben?

SCHEWTSCHUK: Für mich war es wichtig, dass man auch die Ortskirche anhört, wenn es um etwas geht, das sie betrifft. Es ist normal, dass zwei Sichtweisen berücksichtigt werden. Eine ist jene der gesamten Kirche. Und dann gibt es jene der Ortskirche, die immer die gleichen Realitäten, die gleichen Probleme sieht, aber vielleicht auf andere Weise. Aus diesem Grund war es für uns, für die Ukrainische griechisch-katholische Kirche sehr wichtig, den heiligen Vater anzuhören. Aber es war auch wichtig, vom heiligen Vater angehört zu werden.

Im Übrigen hat der Papst selbst mehrere Male gesagt, dass es für ihn immer wichtig sei, die Ortskirchen zu hören. Als er mehrmals von einer gesunden Dezentralisierung der Kirche gesprochen hat! Wir müssen diese Gemeinschaft der katholischen Kirche leben, auch durch den Austausch von Ideen, von Meinungen. Dieser ökumenische Weg darf nicht nur von der Spitze der Kirche unternommen werden. Der gesamte Leib der Kirche muss sich auf diesem Weg hin zur christlichen Nächstenliebe bewegen.

CNA: Was werden Sie dem Papst sagen? Der Papst hat bei der Pressekonferenz im Flugzeug lange über die Vertrauensbeziehung gesprochen, die er zu Ihnen hat und Sie auch mit Namen genannt...

SCHEWTSCHUK: Ich war berührt von diesen väterlichen und so ehrlichen Worten mir gegenüber, als der Papst einen erinnernden Abriss der Momente gemacht hat, die ich mit ihm in Argentinien und nach seiner Wahl erlebt habe. Dieses Vertrauen, diese Offenherzigkeit, mit der der heilige Vater seinen Freunden und den Leuten begegnet... das ist etwas sehr Starkes, etwas Grundlegendes. Daher fühle ich mich frei, auch gegenüber dem heiligen Vater offen und ehrlich zu sein. Aber nicht in meinem Namen. Ich will Sprachrohr der Gefühle, der Schmerzen, auch der Zweifel des ukrainischen Volkes sein. Ich möchte ein Vermittler sein zwischen einfachen Menschen und Gläubigen und dem heiligen Vater. Denn die Identität der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche ist immer aus zwei Dimensionen zusammengesetzt: einerseits teilt sie die gleiche Liturgie, Theologie, auch ein bisschen der Geschichte mit den orthodoxen Kirchen generell, aber besonders mit der orthodoxen Kirche des Patriarchats von Moskau. Aber es gibt auch einen anderen Teil, der wesentlicher Bestandteil unserer Identität ist und das ist die Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri. Und gerade aufgrund dieses Teils unserer Identität wurden wir immer von den Orthodoxen stigmatisiert. Aber die  Gemeinschaft mit dem heiligen Vater ist grundlegend für uns. Es ist natürlich, dass Katholisch-Sein heutzutage Ökumenisch-Sein heißt, Förderer der Einheit der Christen. Daher ist es Bestandteil unserer Mission heute, Werkzeug der Einheit der Christen zu sein, besonders im Hinblick auf unsere orthodoxen Brüder: das hat der heilige Papst Johannes Paul II. oftmals wiederholt und auch Papst Benedikt XVI.

CNA: Die Ukrainische griechisch-katholische Kirche ist eine Kirche sui iuris. Was bedeutet aus Ihrer Sicht, dass Europa mit beiden Lungen atmen soll? Und wie kann es das tun?  

SCHEWTSCHUK: Dieser Ausdruck des heiligen Johannes Paul II. ist sehr bekannt, sehr berühmt... aber einige sagen: es reicht nicht, zwei Lungen zu haben, man muss auch mit diesen beiden Lungen atmen! Es ist ein Reichtum für die katholische Kirche selbst, in der katholischen Gemeinschaft viele östliche Kirchen zu haben, es stellt ihre Stärke dar. Und diese Besonderheit macht uns bereit und ermutigt uns auch, einen echten, aufrichtigen, authentischen Dialog mit den orthodoxen Kirchen zu beginnen. Ich denke, wir müssen diesen Reichtum der katholischen Kirche neu entdecken. Wir sind berufen, diesen Reichtum zu teilen, besonders in den Begegnungen mit den orthodoxen Kirchen. Und uns daran erinnern, dass im Glauben vereint sein, nicht bedeutet, jemandem unterworfen zu sein. Papst Franziskus selbst hat gesagt, dass "das Wichtige die Gemeinschaft ist", nicht die Unterwerfung. Wir können Zeugnis dafür geben, dass die Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri nichts vom Reichtum der östlichen Traditionen wegnimmt. Im Gegenteil! Sie lässt sie wachsen, denn sie macht uns frei vom Provinzialismus. Von engen Nationalismus. Sie öffnet uns wirklich die universalen Horizonte der Kirche Christi!

CNA: Sie haben kürzlich auch über die Tatsache gesprochen, dass die griechisch-katholische Kirche in den orthodoxen Gebieten schwere Zeiten erlebt. Wie sehr bedarf es einer Anerkennung der griechisch-katholische Kirche? Und was kann der Papst tun, um euch zu helfen – jetzt, da der Dialog mit dem Patriarchat von Moskau offener scheint?

SCHEWTSCHUK: Wir sind als östliche katholische Kirche sui iuris anerkannt. Als solche sind wir nicht nur von Seiten des Nachfolgers Petri anerkannt, sondern wir sind in dieser Identität auch wirklich gewachsen, vor allem nach dem Fall des Kommunismus. Wer unsere Daseinsberechtigung anerkennen muss ist der orthodoxe Teil! Der positive Punkt der Erklärung ist,  dass diese Anerkennung vollzogen wird. Aber es gibt ein Detail, das weitere Diskussionen entfacht hat: es ist die Rede von der Anerkennung der kirchlichen Gemeinschaften, nicht der Kirchen sui iuris. Diese Terminologie wird in der ökumenischen Theologie der katholischen Kirche verwendet, um die protestantischen Kirchen zu beschreiben. Man spricht von kirchlichen Gemeinschaften, um jene Gemeinschaften zu definieren, in denen nicht die ganze Fülle der apostolischen Tradition bewahrt ist. Daher hat diese Definition der griechisch-katholischen Kirche als kirchliche Gemeinschaft viele Zweifel bei unseren Ekklesiologie-Professoren aufgeworfen, aber auch bei den einfachen Leuten. In Wahrheit müssen wir von niemandem das Recht erbitten, zu existieren oder nicht zu existieren.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Es ist wahr, dass in der Vergangenheit, als wir versuchten, den Vertretern der russisch-orthodoxen Kirche zu begegnen, diese sofort den Eindruck hatten, dass wir nicht existieren dürften, jedenfalls nicht nach ihrer Vision von Kirche. Wir hoffen, dass nun dieser erste Schritt unternommen wird: anzuerkennen, dass der andere ein Recht hat, zu leben, dass der andere ein gültiger Gesprächspartner ist.

Das ist der Ausgangspunkt. Daher sind für mich sowohl die Begegnung zwischen dem Papst und Patriarch Kyrill (mit dieser berühmten Umarmung, die etwas Heiliges ist), als auch der Text des Dokumentes, das so in Frage gestellt wird, ein Ausgangspunkt, kein Zielpunkt.  Wir müssen uns bemühen, damit der ökumenische Weg zur völligen und sichtbaren Einheit der Kirche Christi führe.

 

 

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