Rom, 03 Juni, 2016 / 9:14 AM
Die Grabtücher Christi (heute in Turin und Manoppello) spielten schon über 400 Jahre vor ihrer ersten öffentlichen Zurschaustellung und Verehrung in Europa eine wesentliche Rolle in der lateinischen Liturgie des römischen Mess-Ritus. Klaus Berger in Heidelberg hat dieses sensationelle missing link der Rezeptionsgeschichte der Kronreliquien der Christenheit auf geheimnisvoll beiläufige Weise in seinen Forschungen für einen großen Apokalypse-Kommentar entdeckt und uns mitgeteilt.
Bei seinen Forschungen zur Apokalypse des Johannes hat der Heidelberger Neutestamentler Klaus Berger eine Aufsehen erregende Entdeckung gemacht. Bei Amalar (775 – 850), dem karolingischen Chef-Liturgiker, Bischof von Metz und Erzbischof von Trier, der 844 von Papst Sergius II. zum Kardinal erhoben wurde und als Wegbereiter einer einheitlichen lateinischen Liturgie nach römischen Ritus gilt, hat er gefunden, dass die liturgisch vorgeschriebenen Altartücher von Anfang an als direkte Entsprechung zu den Tüchern galten, die in den Evangelien im Zusammenhang mit der Passion und Auferstehung Jesu Christi erwähnt werden: Sie heißen in den lateinischen liturgischen Texten sindon (Leichentuch) oder sudarium (Schweißtuch). Insbesondere das Einwickeln des Kelches in das Tuch durch den Diakon (in einem Seitenzweig der westlichen Liturgie) steht für das Einwickeln Jesu in seine Grabtücher. Wörtlich: Diaconus … involvit cum sudario calicem, quoniam Ioseph involvit in sindone munda. corporale…ipsum linteum quo totum corpus domini tegebatur in sepulchro. (Der Diakon umhüllt mit dem Schweißtuch den Kelch. Denn Josef von Arimathia wickelte Jesus in ein reines Leinentuch.)
Und dies alles wohlgemerkt schon in karolingischer Zeit, also weit über vier Jahrhunderte, bevor in Europa das Sanctissimum Sudarium von Sankt Peter in Rom erstmals im Jahr 1208 unter Papst Innozenz III. in die Öffentlichkeit getragen und bevor im Jahr 1355 die Santa Sindone in Lirey in der Champagne überhaupt erstmals auftauchte und verehrt wurde! Von hier her wird auch verständlich, dass die Altartücher bis zur Liturgiereform von 1969 in Entsprechung zum Grabtuch aus "reinem Leinen" sein mussten, und dass das so genannte Corporale immer besonders gefaltet sein musste, in Entsprechung zum Sudarium, von dem es bei Johannes heißt, dass es nach der Auferstehung Christi "gefaltet und abseits der anderen Tücher" im leeren Grab von Petrus und Johannes aufgefunden wurde. Es ist jenes gestärkte Tüchlein, das vom Priester im alten Ritus jeweils nur noch ehrfurchtsvoll mit Daumen und Zeigefinger angefasst werden durfte, nachdem es auf dem Altar mit den konsekrierten Gestalten von Brot und Wein in Berührung gekommen war.
Dadurch, dass die liturgischen Messtücher sindon oder sudarium heißen und theologisch auf die Realpräsenz Jesu in Leib und Blut bezogen seien, ergibt sich nach Klaus Berger ihr direkter "Sitz im Leben" innerhalb der Liturgie in ihrem deutenden Verwendungszweck auf das eucharistische Mysterium auf dem Stein des Altares, wo – wie im bis dahin unbenutzten Felsengrab Christi in Jerusalem! – die unbelebte Materie von Brot und Wein immer neu in das "Brot des Lebens" und das lebendige Blut Christi verwandelt werden.
Die Abbildung des Antlitzes Jesu auf diesen Tüchern könne hingegen auf diese Weise ähnlich verstanden werden wie die so genannte Gregorsmesse: Gregor I. (540 – 604) sah bei der Messe den blutenden Herrn direkt im Zusammenhang der Wandlung der eucharistischen Gestalten. Das Grabtuch und das Schweißtuch Jesu seien daher verstehbar als direkter und leibhaftiger Ausdruck der Realpräsenz Jesu auf dem Altar und stünden zur Eucharistie als dem Zentrum der heiligen Messe in direkter Beziehung. Auf diese Weise stimmen sie gleichsam als biblisch verbürgte Zeugnisse der Auferstehung Christi mit dem Mysterium der eucharistischen Verwandlung überein. Man könne daher sagen: An der Stelle der Vision Gregors steht bei Amalar der realsymbolische Gehalt der Altartücher. In beiden Fällen findet so die reale Gegenwart Christi ihren Ausdruck. Was bei Papst Gregor der eigentliche Gehalt der Vision sei, nämlich die reale körperliche Gegenwart Christi (insbesondere des leidenden), komme nach Amalar in den liturgischen Altartüchern sinnenfällig zum Ausdruck. Bei den Tüchern, die in der Sindone die Wundmale und im Sudarium das Antlitz Jesu zeigen, ist das zur dauerhaften Prägung geworden, was bei Gregor in der Sekunde der Vision geschieht.
Entsprechend dazu würde auch die Reinheit dieser Tücher zur Reinheit der Leiber und Herzen der Mitfeiernden in Beziehung gesetzt.
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