Am 17. Oktober 2020 beging Pfarrer Clemens Siewek in katholischer Gelassenheit und frohen Herzens seinen 90. Geburtstag. Die Signatur der Zeit – die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen – führten dazu, dass die große Feier des Wiegenfestes ausfallen musste. Der Jubilar hegte aber die Hoffnung, dass alles vielleicht nachgeholt werden könnte: „Herr, es ist doch einzig, / erreich ich nun die 90! / Schließlich wär‘ ich nicht verwundert, / brächt‘ ich‘s gar auf 100.“ Freilich hatte der gebürtige Breslauer, ein Schlesier also, der ganz im Credo der Kirche verwurzelt war, zum Priester des Bistums Hildesheim geweiht am 21. Dezember 1957 – in St. Clemens, in Hannover – weder große Pläne noch weitreichende Erwartungen. Er fühlte sich wohl und ganz in Gottes Hand geborgen, war auch mit einer schalkhaften Munterkeit gesegnet. Pfarrer Siewek lebte aus der Freude am Glauben. Die Jugendfrische der Kirche strahlte er bis ins hohe Alter aus. Der wachsame Beobachter des kirchlichen Lebens sang gern beherzt und freudig: „Fest soll mein Taufbund immer stehn.“ 

Die Geschichte dieses priesterlichen Lebens ist eng verbunden mit Pilgerfahrten. Als geistlicher Begleiter des Bayerischen Pilgerbüros war Pfarrer Clemens Siewek gern und oft mit Gläubigen unterwegs. Er hatte gewissermaßen auch eine gute Beziehung zur Gottesmutter. Noch im Jahr 2019, damals bereits 88 Jahre alt, fuhr er für wenige Tage ein letztes Mal mit einer Pilgergruppe nach Lourdes. Mich erreichte direkt aus der Erscheinungsgrotte ein Foto über das Smartphone – der „Reise-Clemens“ ließ herzlich grüßen. Fortan trat Clemens Siewek etwas kürzer. Er ging sozusagen ein zweites Mal in den Ruhestand, nachdem er 2001 – mit 70 Jahren – als erster und einziger Pfarrer von St. Maria Rosenkranz in Letter bei Hannover emeritiert worden war. Mehr als vierzig Reisen in das Heilige Land lagen hinter ihm, über siebzig Pilgerfahrten nach Lourdes und Rom – und unzählige Fahrten in geistlicher Mission, als Weggefährte und Begleiter von Pilgern, die dankbar für seine frohe, humorvolle, herzliche und oft auch sehr leise, behutsame Art der Seelsorge waren. Viele Gläubige erinnern sich heute dankbar an ihn auch als Beichtvater. In den letzten Jahren erzählte Pfarrer Siewek häufig von seiner Zeit als Religionslehrer und berichtete mit Begeisterung von den Disputen mit den Abiturienten: „Je härter diskutiert wurde, umso besser!“ Neben der Pfarrseelsorge war er mehrere Stunden pro Woche in der Schule im Einsatz und mit Leidenschaft dabei.

Nicht selten schwärmten Gottesdienstbesucher nach heiligen Messen, die Pfarrer Siewek in Vertretung für seine Mitbrüder gefeiert hat, von seiner Art der Zelebration. Er dankte stets herzlich und sagte: „Ich mache doch nichts Besonderes.“ Zugleich wusste er mit einer verschmitzten Nachdenklichkeit darüber nachzusinnen, auf welch kreative Weise einige seiner Mitbrüder die heilige Messe feierten und sich auch neue Hochgebete ausdachten. Dafür fehlte ihm jede Begabung: „Ich bin, und Sie mögen mir das nachsehen, nicht klüger als die Kirche.“ Pfarrer Siewek liebte das erste Hochgebet, den Römischen Kanon. Wer eine heilige Messe mit ihm mitfeierte – ob werktags oder sonntags –, sah und spürte die innere Teilhabe. Bei Plaudereien auf dem Kirchplatz war er ein aufmerksamer Zuhörer, zeigte mitunter stolz Fotos seines geliebten Hundes Toni und freute sich, inmitten der Kinder Gottes zu sein. 

Clemens Siewek schwärmte vom lateinischen Breviergebet, war bei den Kirchenvätern und in der hohen Theologie zu Hause, begleitete neokatechumenale Gemeinschaften und feierte in den letzten Jahren oft die heilige Messe im klassischen Römischen Ritus mit. In der großen Weite des Katholischen, weltkirchlich und vor Ort, fühlte er sich aufgehoben und beheimatet. Die würdige Feier der Liturgie war ihm Herzenssache. Er bewunderte, wie viele Geistliche seiner Generation, Pius XII. Einmal berichtete mir Pfarrer Siewek, wie ihm ein Mitbruder während des festlichen Einzugs in den Dom zu Hildesheim zugeraunt habe: „Konservativ … konservativ …“ Das Wort ging ihm nach. Ich weiß noch, dass ich ihm damals sagte: „Konservativ – ich weiß gar nicht, was das ist. Was mich betrifft, ich bin nur römisch-katholisch.“ Da schmunzelte Pfarrer Siewek und sagte: „Herr Doktor, Sie sagen es! Ich auch!“ Wachsam und kritisch beobachtete er den „Synodalen Weg“ und die Berichterstattung dazu: „Worum geht es da eigentlich? Ach, ich sage mir dann – ich muss das alles nicht mehr verstehen.“ Dann lachte er, auch weil er wusste, dass Gott immer größer ist – und dass alle noch so guten Gestaltungsabsichten dieser Welt weltlich und endlich sind.  

In den langen Jahren seines Lebens als Priester hatte er auch den Ausbau des kirchlichen Verwaltungsapparates skeptisch beobachtet. Der Sinn pastoral genannter Strukturreformen und die Bedeutung der neuen Sprache der Kirchenprovinz Deutschland haben sich dem weltkirchlich erfahrenen Clemens Siewek nie erschlossen. Er sprach in seinen Predigten von Gott, mit großer Einfachheit und lichtvoller Klarheit, auch darum hörten ihm Gläubige gerne zu. Von Herzen kommende, leise Dankbarkeit wurde ihm oft zuteil: Er war als Priester erkennbar, in der heiligen Messe und im Gespräch – und nicht nur wie ein Priester gekleidet. Ich begleitete ihn öfter nach Gottesdiensten zum Bahnhof. Im Gedächtnis bleibt mir eine Frage, die ihn zuinnerst bewegte und nicht losließ: „Was unterscheidet uns Christen heute eigentlich noch von all den freundlichen Menschen, die nicht an Gott glauben?“ 

Clemens Siewek, ein Mann Gottes, stand ein für das Evangelium Jesu Christi, das er durch Wort und Beispiel so glaubwürdig wie freudig verkündete, in der Heiterkeit des Herzens, von der er erfüllt war und die er ausstrahlte. Dem treuen Sohn der Kirche des Herrn war lange Zeit eine gute Gesundheit geschenkt. Auf der letzten Wegstrecke seines Lebens wurde er dann ganz in die Passionsgemeinschaft mit Christus hineingezogen, ehe er im Alter von 91 Jahren für immer nach Hause gehen durfte. Er hatte die letzte Pilgerfahrt seines Lebens vollendet. Wenn Pfarrer Siewek und ich uns nach Begegnungen in den letzten Jahren verabschiedeten, sagten wir einander oft: „Wir sehen uns wieder!“ Daran denke ich heute – und daran glaube ich.

Ob die Gedanken über das Priestertum heute auf dem „Synodalen Weg“ Frucht bringen, das weiß ich nicht. Aber eines weiß ich sicher: Für viele Katholiken im Bistum Hildesheim und weit darüber hinaus war und bleibt der gute Pfarrer Clemens Siewek ein Vorbild im Glauben. Priester wie er wurden und werden dringend gebraucht – gestern, heute und morgen.

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