In der „Theologie des Leibes“ gilt es, so Johannes Paul II. in der Katechese vom 12. Dezember 1979 (veröffentlicht in L’Osservatore Romano 79/51–52), das „Außerordentliche im Gewöhnlichen“ zu entdecken. Im Buch Genesis werde die „absolute Ursprünglichkeit“ dessen sichtbar, „was das Wesen des Menschen als Mann und Frau ist: das heißt, weil er auch dem Körper gemäß Mensch ist“.

Sie schämten sich der Nacktheit nicht, so wird in Gen 2,25 dargelegt: „Der Satz, nach dem die ersten menschlichen Wesen, Mann und Frau, ‚nackt waren‘, sich jedoch ‚nicht voreinander schämten‘, beschreibt zweifellos ihren Bewusstseinszustand, ja ihre gegenseitige Körpererfahrung, das heißt seitens des Mannes die Erfahrung der Weiblichkeit, die sich in der Nacktheit des Körpers enthüllt, und umgekehrt von Seiten der Frau die analoge Erfahrung der Männlichkeit. Mit der Feststellung, dass sie ‚sich voreinander nicht schämten‘, versucht der Verfasser diese gegenseitige Erfahrung des Körpers mit der größten ihm möglichen Genauigkeit zu beschreiben.“

Erwähnt ist dies wie beiläufig, fast lapidar. Sie empfanden keine Scham voreinander, denn es gab auch keinen Grund, sich voreinander zu schämen, ehe ein „Bruch“ der ersten ursprünglichen Situation eintritt, eine „Überschreitung“ der Schwelle nach dem Sündenfall. Johannes Paul II. legt dar: „‚Da gingen beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz‘ (Gen 3,7). Das Wort ‚da‘ weist auf eine neue Situation hin, die auf den Bruch des ersten Bundes folgte; es ist eine Situation, die sich daraus ergibt, dass die Prüfung vor dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse nicht bestanden wurde; sie war zugleich die erste Prüfung des Gehorsams, das heißt des vollen Hinhörens auf das Wort Gottes und des Eingehens auf seine Liebe als volle Erfüllung seines schöpferischen Willens. Diese neue Situation bringt auch eine neue Körpererfahrung mit sich, so dass man nun nicht mehr sagen kann: ‚Sie waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander.‘ Die Scham ist also hier nicht nur eine Erfahrung des ursprünglichen Zustandes, sondern eine ‚Grenzerfahrung‘.“

Untrennbar verknüpft also ist die Scham mit den Erfahrungen, die nach dem Ungehorsam gegenüber Gottes Weisung auftreten. Sehr schön ist der Gehorsam beschrieben als das ganze, an die Person gebundene Hinhören auf das Wort Gottes und des Sich-Hineingebens in die Liebe Gottes. Das Vaterunser berichtet davon, wenn wir auch heute beten, dass nicht unser Wille geschehen möge, sondern sein Wille, in den wir immer mehr, immer demütiger und liebender hineinwachsen möchten, auf dass sein Wille in uns Gestalt gewinnt.

Johannes Paul II. stellt weitere Überlegungen zur Nacktheit darüber an, wie dies in Gen 2,25 und 3,7 beschrieben ist: „Im ersten Fall ‚waren sie nackt, schämten sich aber nicht voreinander‘; im zweiten Fall ‚erkannten sie, dass sie nackt waren‘. Soll damit etwa gesagt werden, sie hätten zunächst ‚nicht erkannt, dass sie nackt waren‘? Dass sie beiderseits die Nacktheit ihrer Körper nicht kannten und nicht sahen? Die bedeutsame Veränderung, die hier vom biblischen Text in Bezug auf das Schamgefühl (von der die Genesis noch an anderer Stelle, besonders 3,10–12, spricht) bezeugt wird, erfolgt auf einer Ebene, die tiefer liegt als die des bloßen Sehens. Der Vergleich zwischen Gen 2,25 und Gen 3 zwingt zu dem Schluss, dass es hier nicht um den Übergang vom ‚Nicht-Erkennen‘ zum ‚Erkennen‘ geht, sondern um einen totalen Bedeutungswandel der ursprünglichen Nacktheit der Frau gegenüber dem Mann und des Mannes gegenüber der Frau. Dieser ergibt sich aus ihrem Wissen, das dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse entsprang: ‚Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem zu essen ich dir verboten habe?‘ (Gen 3,11). Dieser Wandel zieht unmittelbar eine neue Erfahrung des eigenen Körpers gegenüber dem Schöpfer und den anderen Geschöpfen nach sich.“

Der Mann sagt, er habe sich aus Angst versteckt, weil er nackt war, und beschrieben werde, so Johannes Paul II., „so direkt wie möglich“ nichts anderes als die „Beziehung zwischen Mann und Frau, zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen“. Er möchte im Folgenden über die „ursprüngliche Bedeutung der Nacktheit“ nachdenken, mit Bezug auf die „Erfahrung des Schamgefühls“, die als Grenzerfahrung dargestellt werde – und damit wird ein weiterer fundamentaler Aspekt der „Theologie des Leibes“ verdeutlicht werden.

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