1. März 2025
In der Katechese vom 10. September 1980 (veröffentlicht in L’Osservatore Romano 80/38) wendet sich Johannes Paul II. dem Blick zu – die Worte Jesu über den lüsternen Blick aufnehmend –, der als „Schwelle der inneren Wahrheit“ verstanden wird. Die fleischliche Begierde erweist sich als beherrschend.
Der Prophet Jesus Sirach etwa spricht darüber. Er vergleicht die Begierde mit dem Feuer, denn die Sinne werden erfasst und okkupiert, der Körper in Erregung versetzt, Gefühle und Empfindungen beherrscht. Das „Herz“ des Menschen wird dominiert: „Diese von der fleischlichen Begierde herrührende Leidenschaft erstickt im ‚Herzen‘ die aus der Tiefe aufsteigende Stimme des Gewissens, das Gefühl der Verantwortung vor Gott.“ Die „Stimme des Gewissens“ wird unterdrückt, die „leidenschaftliche Begehrlichkeit“ versetzt den Körper und die Sinne in Unruhe: „Es ist die Unruhe des ‚äußeren Menschen‘. Wenn der innere Mensch zum Schweigen gebracht worden ist, äußert sich die Leidenschaft, die nun sozusagen Handlungsfreiheit erlangt hat, als anhaltende Neigung, Leib und Sinne zu befriedigen.“
Verschafft dann die Befriedigung keine Ruhe? Diesem Irrtum sind Menschen zu allen Zeiten aufgesessen. Die Befriedigung weckt neue Begehrlichkeiten, die Leidenschaft erlischt nicht, weil die „Quellen des inneren Friedens“ nicht erreicht werden. Nur das „Äußere des Menschen“ werde berührt. Der Mensch, der sich den Leidenschaften hingibt, findet nicht zu sich, sondern verzehrt sich: „Die Leidenschaft sucht nach Befriedigung; deshalb stumpft das Denken ab und bleibt die Stimme des Gewissens unbeachtet; sie besitzt aus sich kein Prinzip der Unzerstörbarkeit, und darum ‚nützt sie sich ab‘. Sie ist der Dynamik des Verbrauchs unterworfen, die dazu neigt, sich zu erschöpfen und zu versiegen. Wohl kann die Leidenschaft, wenn sie in das Gesamt der tiefsten geistigen Kräfte eingefügt ist, zu einer schöpferischen Kraft werden; doch in einem solchen Fall muss sie eine radikale Umwandlung durchmachen. Wenn sie aber die Kräfte in der Tiefe des Herzens und des Gewissens unterdrückt (wie es in dem Bericht von Sir 23,16–22 geschieht), ‚verzehrt sie sich‘, und indirekt verzehrt sich in ihr der Mensch, der zu ihrer Beute geworden ist.“
In der Bergpredigt werden die Botschaften des Alten Testaments weder zitiert noch entfaltet: „Christus beschreibt also weder noch analysiert er, was die Erfahrung der Begehrlichkeit, die Erfahrung der fleischlichen Begierde ausmacht. Ja man hat sogar den Eindruck, dass er gar nicht in die ganze Fülle der inneren Dynamik dieser Erfahrung eindringt, sondern an der Schwelle dieser Erfahrung stehenbleibt. Die Begehrlichkeit hat sich noch nicht in eine äußere Handlung umgewandelt, sie ist noch nicht zum körperlichen Akt geworden; sie ist noch die innere Haltung des Herzens: Sie kommt im Blick zum Ausdruck, in der Art, wie ein Mann ‚eine Frau ansieht‘. Doch dieser Blick lässt bereits verstehen, er zeigt, was im Menschen steckt, aus welcher inneren Haltung er kommt.“
Im Blick komme der „ganze Mensch“ zum Ausdruck. Johannes Paul II. führt aus: „Durch den Blick enthüllt sich der Mensch gewissermaßen der Außenwelt und den anderen; vor allem legt er frei, was er in seinem Inneren wahrnimmt.“ So sei der Blick als „Schwelle zur inneren Wahrheit zu verstehen“, denn am Blick sei bereits die Begehrlichkeit zu erkennen: „Der ‚begehrliche‘ Mensch, der Mensch, ‚der eine Frau lüstern ansieht‘ (wie wir bei Mt 5,27–28 lesen), wendet sich also mehr oder weniger deutlich von jener Bedeutung des Körpers ab, die (wie wir festgestellt haben) der personalen Gemeinschaft von Mann und Frau zugrunde liegt: sei es außerhalb der Ehe, sei es – in besonderer Weise –, wenn der Mann und die Frau dazu berufen sind, ‚ein Fleisch zu werden‘ (wie es das ‚Evangelium vom Anfang‘ im klassischen Text von Genesis 2,24 verkündet).“
Weiterhin führt der Papst aus: „Christus sagt: ‚Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen‘ (Mt 5,28). Will er damit vielleicht nicht sagen, dass sich der Mensch in der Begehrlichkeit – wie im Ehebruch – innerlich von der bräutlichen Bedeutung des Leibes abwendet? Will er seine Zuhörer nicht auf ihre inneren Erfahrungen von einer solchen Lostrennung verweisen? Bezeichnet er sie nicht vielleicht deshalb als ‚im Herzen begangenen Ehebruch‘?“
Diese Fragen weisen weiterhin auf den Horizont der Theologie des Leibes und darauf hin, wie der Mensch sich selbst in rechter Weise ordnen soll, um nach der Botschaft des Evangeliums und der Lehre der Kirche zu leben.
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