Markus van den Hövel ist Vorsitzender Richter am Landgericht in Bochum, wo er es normalerweise mit schweren Jungs und dicken Fischen zu tun hat. Noch mehr fasziniert den erfahrenen Juristen aber ein rätselhafter Schleier in den Abruzzen mit dem Antlitz Christi und dass um dieses zarte Bild ein Streit entbrannt ist, wie er ihn noch nie erlebt hat. Als Richter will und wagt er die Causa nicht zu entscheiden, wie er sagt. Nun aber hat er für ein höchst spannendes neues Buch mit einer nüchternen Zeugenbefragung wie in einem seiner vielen Prozesse begonnen, in deren Verlauf Kardinal Walter Brandmüller aus Rom dem Autor trocken bescheinigt: "Das Thema ist bei einem Juristen in besten Händen."

Man könnte das Buch eine Offenbarung nennen. Oder ein Meisterwerk in der Weise, wie der Richter hier die widersprüchlichsten Aussagen von über 30 Zeugen einfach nebeneinander in alphabetischer Reihenfolge ungefiltert und unkommentiert zu Wort kommen lässt. Tatsächlich begründet er hiermit ein neues Genre, dem er nüchtern einen Satz aus dem "Process" Franz Kafkas von 1915 als Motto voranstellt: "Richtiges Auffassen einer Sache und Mißverstehn der gleichen Sache schließen einander nicht vollständig aus."

Mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlicht CNA Deutsch einen Auszug aus seinem Vorwort:

Zu diesem Buch musste es kommen. Und fast kommt es mir vor, als habe es sich von selbst geschrieben. Denn als Richter bewegt mich schon seit Langem der Gedanke, zur "Causa Manoppello" noch ein viertes Buch zu schreiben, und diesmal vielleicht unter dem Titel "Der Process", wie das unvollendete Werk Franz Kafkas aus dem Jahr 1915.

Denn diese Causa bewegt mich wie kaum ein anderer Fall. Deshalb faszinierte mich auch die Vorstellung, die Fakten zu Manoppello einmal wie in einem Gerichtssaal nach einer Beweisaufnahme mit der Befragung von Zeugen zu bewerten. Die Verwirklichung musste dennoch sogleich verworfen werden. Denn es stimmt, ich bin Richter. Gerade deshalb aber kann ich unmöglich in dieser Vollmacht in der Causa Manoppello Stellung beziehen oder gar ein Urteil sprechen. Ich bin zwar unparteiisch und objektiv unbefangen, aber nach Würdigung aller Argumente doch positioniert.

Im Jahr 2006 habe ich "Das Göttliche Gesicht" aus dem Münchener Pattloch-Verlag von Paul Badde gelesen und war davon sogleich in Bann geschlagen. Es erschien mir in seiner Berichterstattung und mit seinen Argumenten für die Authentizität des Schleiers von Manoppello in sich stimmig und so spannend, dass meine Frau und ich uns, sobald wie möglich, im Mai 2006 erstmals nach Manoppello aufmachten, in einer Reise, der noch 14 andere folgen sollten. Ich wollte wissen, ob das "Stimmige auch stimmt", das heißt, ob es sich auch verifizieren lässt. Im Verlauf der Untersuchungen lernte ich bald einige der Protagonisten dieser Entdeckungsgeschichte persönlich kennen wie Paul Badde in Rom oder die Trappistin Blandina Paschalis Schlömer in Manoppello, Professor Pater Heinrich Pfeiffer in Würzburg und viele andere Zeugen mehr. Vor allem aber lernte ich dabei sehr intensiv den geheimnisvollen Bildschleier selbst kennen, der in der Klosterkirche der Kapuziner vor dem Städtchen Manoppello in den Abruzzen an der Adria aufbewahrt wird und ein Antlitz Christi birgt, vor dem mir im Lauf der letzten Jahre alle Argumente für seine Authentizität immer plausibler erschienen, einschließlich der wissenschaftlich fundierten Untersuchungen, die bis Oktober 2018 reichen.

Doch während ich mich im Verlauf dieses Prozesses auch immer intensiver mit der nötigen Literatur und dem jeweilig neuesten Stand der Forschung vertraut machte, wurde mir wider Erwarten und völlig überraschend auch bald die enorme Gegnerschaft gewahr, die diesem zarten und kleinen Schleier (mit den Maßen von nur 17 mal 24 cm) und insbesondere und persönlich den Autoren Badde oder Schlömer oder dem Kunsthistoriker Pater Pfeiffer S.J. aus einem Kreis der akademischen Welt entgegenschlug, der sich gern als "scientific community" begreifen möchte.

Dieser Konflikt gipfelte im Oktober 2016 schließlich in Deutschland in der Veröffentlichung des Buches "Das Christusbild: Zu Herkunft und Entwicklung in Ost und West" im Echter-Verlag in Würzburg, wo, wie es in der Verlagsankündi-gung heißt, etwa "drei Dutzend Experten" auf 883 Seiten eine große Zahl ihrer Beiträge von zwei Kongressen in Würzburg und Wien (2014 und 2015) veröffentlichten. In dem Band soll einerseits nachgewiesen werden, dass sich alle Christusbilder dem Vorbild des schattenhaften Antlitzes auf dem Turiner Grabtuch verdanken. Vor allem aber wenden sich die Teilnehmer dieser Veranstaltung grosso modo radikal gegen die Authentizität des Muschelseidentuchs von Manoppello, ohne dabei aber nur einen einzigen Vertreter zu Wort kommen zu lassen, der sich für die Authentizität ausspricht. Diese Beobachtung war für mich fast genauso faszinierend wie die Entdeckung des Schleiers selbst. Einen ähnlichen Fall hatte ich in meiner sechsundzwanzigjährigen Erfahrung als Richter noch nie erlebt.

So ließ mir die Causa in der Tat keine Ruhe. Der rund 1000 Jahre alte Hymnus der sogenannten "Ostersequenz" aus der Feder des burgundischen Dichters Wipo hatte jahrhundertelang in der lateinischen Christenheit den Glauben weitergetragen, dass "engelgleiche Zeugen (angelicos testes)" in dem leeren Grab in Jerusalem den Glauben an die Auferstehung Christi von den Toten verbürgt und verkündet hätten. Derselbe Hymnus hatte diese "engelgleiche Zeugen" auch gleich konkret benannt, und zwar nach dem Evangelium des Johannes, wo sie auf Lateinisch als: "SUDARIUM ET VESTES" identifiziert werden, das heißt als "ein Schweißtuch und Tücher".

Und nun tauchte nach dem großen Leinen, das in Turin spätestens seit dem Jahr 1898 mit dem ersten Foto des Grabtuchs aus der Hand Secondo Pias das Aufsehen der ganzen Welt auf sich gezogen hatte, plötzlich – als zweites der da besungenen Zeugen – auch das "Schweißtuch" am Anfang des 3. Jahrtausends wieder auf und es regte sich dagegen ein Widerstand wie nie zuvor – und zwar aus der Mitte der Kirche, von Kardinälen, Professoren und anderen frommen Gläubigen, nicht zuletzt aus Turin. Es war ein Rätsel.

Dies bleibt deshalb weiterhin auch von diesem Buch zu sagen und muss hier noch einmal unterstrichen werden. Ich bin ein Richter, aber – wie gesagt – in diesem Fall schon positioniert und werde deshalb im Folgenden nicht wagen, ein Urteil zu sprechen. Ich bin aber als Vorsitzender vieler großer Wirtschaftsstrafverfahren auch ein erfahrener Jurist, der sich in seiner Kernkompetenz auf schwierige Zeugenbefragungen versteht. Deshalb will ich im Folgenden nicht die so lange besungenen "engelgleichen Zeugen" selbst befragen (die so provozierend stumm sind!), sondern die heutigen Protagonisten und andere Zeugen in diesem Streitfall.

Und ich bewerte und beurteile keine dieser Antworten, sondern stelle nur Fragen und akzeptiere ungekürzt und ungeschmälert jede hierauf gegebene Antwort der befragten Zeugen. Dabei wird jetzt schon klar: Auch dieses Buch wird unvollendet bleiben müssen wie der berühmte "Process" Franz Kafkas.

Damit endet aber auch jeder Vergleich, weil in dem Klassiker Kafkas der Streitgegenstand nicht über den Einzelfall hinausreicht, während die "Causa Manoppello" inzwischen weltweit zur Kenntnis genommen wird, so dass – anders als in dem fiktionalen Werk Kafkas – den Zeugenaussagen, denen Beobachtungen, Meinungen, aber auch persönliche Erlebnisse und Untersuchungen zugrunde liegen, eine herausragende Bedeutung zukommt. All diese Bekundungen sind abenteuerlich und weltbewegend.

Denn hier wollte ich mit Zeitzeugen zu Manoppello ins Gespräch kommen und sie ruhig und professionell befragen, wie ich es von meinem Beruf her gewohnt bin. Es geht hier also um Meinungen und Einschätzungen derjenigen, die den ge-heimnisvollen Schleier kennen oder zu kennen vorgeben. Und ich wollte möglichst alle ins Boot des Dialogs holen, die Befürworter der Authentizität ebenso wie die Skeptiker und Zweifler und diejenigen, die den Schleier für nichts weiter als ein gemaltes Bild erachten.

Deshalb ist es nach meiner Ansicht ein großer Fortschritt, dass in diesem Buch erstmals auch kontroverse Meinungen im "O-Ton" nebeneinander zu Wort kommen. Es freut mich sehr, damit ein neues Kapitel zur Gesprächs- und Diskussionskultur zu der Causa Manoppello aufzuschlagen, die offensichtlich so viele herausfordert. ....

Zeugen äußern sich, jeder empfindet anders, betont anderes, beschreibt anders. Eine abschließende Bewertung der Aussagen durch den Herausgeber erfolgt bewusst nicht. Die Sache ist größer, als sie mit einem schlichten Fazit oder gar einem Urteil abzuschließen. Letztlich ist jede Aussage Teil eines Mosaiks, das ein Phänomen beschreibt, das größer ist als die Summe seiner Einzelteile. 

"Die Causa Manoppello. Eine Zeugenbefragung" ist im Christiana-Verlag erschienen und hat 192 Seiten.

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