2. November 2019
Mit der pompösen, dramatischen und bisweilen ohrenbetäubenden Klangwucht erinnert Giuseppe Verdis "Requiem" eher an eine große italienische Oper als an eine stille Totenmesse. Mancher Konzertbesucher atmet buchstäblich auf, wenn die letzten Töne verhallt sind. Auch nach dem Requiem wird, in öffentlicher Aufführung, ob in Kirchen oder andernorts, gern – nach einem Moment der Sammlung – applaudiert, eine Art menschlich verständliche, weltliche Katharsis. "In Commemoratione Omnium Fidelium Defunctorum" ist aber ein ganz leiser, stiller Tag. Auf das christliche Familienfest, also Allerheiligen, folgt heute, am 2. November, Allerseelen. Der heilige Johannes Paul II. empfing übrigens Allerheiligen die Priesterweihe und feierte Allerseelen seine Primiz. Mit tiefer innerer Bewegung war er, auch von seiner priesterlichen Spiritualität her, förmlich eingewurzelt in das Geheimnis dieser Tage. In seinen Erinnerungen spricht er von der Gemeinschaft derer, die auf die Auferstehung warten. Wir alle sehen und gehen dem Gericht entgegen.
Warten wir – die wir Lichter an den Gräbern unserer lieben Verstorbenen anzünden, die heilige Messe mitfeiern – eigentlich noch auf die Auferstehung? Hören wir zu, wenn vom Fegefeuer und von der Hölle die Rede ist? Viele von uns haben gewiss schwere Abschiede von dieser Welt leise, still und ohnmächtig bezeugt und im Gebet begleitet. Manche unserer Lieben scheinen sehr lange anklopfen zu müssen, ehe ihnen aufgetan wird. Tröstlich sind die Augenblicke an solchen Tagen, wenn wir eine Ahnung von dem Frieden in diesen Sterbe- und Abschiedsstunden spüren, der über diese Welt hinausreicht.
Viele Gläubige singen oder beten an Allerseelen die Sequenz "Dies irae". Wir sind dann von innen her hineingenommen in die uns verheißene Stunde der Rechenschaft. Der Philosoph Immanuel Kant, bis ans Ende seines Lebens sich dankbar an die pietistische Frömmigkeit seiner Eltern erinnernd, sprach davon, dass der "gerechte Richter" und "moralische Weltherrscher" einzig als "Herzenskündiger" vorgestellt werden könne. Herzenskundig – gemeint ist damit nicht ein ins bloß Menschliche herabgezogener, allverzeihender Jesus, sondern der Gott, dem auch die inneren Wege und Beweggründe des Menschen vertraut und bekannt sind. Christus weiß, am Kreuz erhöht, auf dem Kalvarienberg, dass es dem guten Schächer ernst ist mit seinem Glaubensbekenntnis in der Sterbestunde. Auch wir mögen vielleicht an diesem Allerseelentag die Sequenz meditieren und bedenken:
"Bist mich suchend müd gegangen, / Mir zum Heil am Kreuz gehangen, / Mög dies Mühn zum Ziel gelangen. … Schuldgebeugt zu Dir ich schreie, Tief zerknirscht in Herzensreue, Sel’ges Ende mir verleihe."
Wir können – und auch in der Theologie finden sich solche Versuche und Versuchungen – gedanklich und geistig Begriffen wie Sünde, Fegefeuer, Gericht und Hölle ausweichen und diese als symbolisch abtun, aber die Wirklichkeit, die diese Begriffe bezeichnen, können wir nicht tilgen. Die Heiligen wussten und wissen das. Auch viele einfach gläubige Katholiken in dieser Zeit sind sich dessen tief gewiss.
Der Glaube der Kirche trägt uns im Leben und im Sterben. Wir können auch die Worte, die der heiligen Theresia vom Kinde Jesus zugeschrieben werden, meditieren und bedenken:
"Die Heiligkeit liegt nicht in dieser oder jener Übung, sondern sie ist eine Gesinnung des Herzens, die uns demütig macht und klein in den Armen Gottes, unserer Schwachheit bewusst und bis zur Verwegenheit vertrauend auf seine Vatergüte."
Zum Gebet sind wir gerufen und berufen. Leise und still mitbeten können wir die Oration aus der dritten Messe dieses Tages: "Gott, Du schenkst Verzeihung und wünschest das Heil der Menschen; darum flehen wir zu Deiner Milde: lasse die Seelen Deiner Diener und Dienerinnen, die aus diesem zeitlichen Leben hinübergegangen sind, auf die Fürbitte der seligen, allzeit reinen Jungfrau Maria und aller Deiner Heiligen zur Teilnahme an der ewigen Seligkeit gelangen." Besonders an Allerseelen sind wir eingeladen, für die armen Seelen zu beten – und besonders heute dürfen wir vielleicht einfach dankbar sein, dass auch für unsere eigene arme Seele gebetet wird.
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