Kürzlich stiegen die Spannungen zwischen dem Vereinigten Königreich und Frankreich wegen illegaler Überfahrten von Migranten im Kanal, nachdem die Zahl der Menschen, die in diesem Jahr in kleinen Booten die britische Küste erreicht haben, 4.000 überstieg. 

Da die Zahl der Asylsuchenden im Vereinigten Königreich steigt, hat das britische Innenministerium die Königliche Marine um Hilfe gebeten, und ein ehemaliger königlicher Marine-Soldat wurde zum 'Geheimen Befehlshaber der Kanalbedrohung' ernannt, um die Route über die Straße von Dover unpassierbar zu machen. Der Befehlshaber sagte, man würde dringend härtere Maßnahmen in Frankreich prüfen, darunter strengere Durchsetzungsmaßnahmen, das Abfangen auf See und die direkte Rückführung von Booten.

Der britische Premierminister Boris Johnson sagte, dass es für ihn ein Problem sei, dass es Menschen aus der ganzen Welt gäbe die in sein Land kommen wollen, "weil es offensichtlich ein großartiger Ort ist, und es wäre hilfreich, wenn wir mit unseren französischen Freunden zusammenarbeiten könnten, um zu verhindern, dass sie den Kanal überqueren. Was hier vor sich geht, sind die Aktivitäten grausamer und krimineller Banden, die das Leben dieser Menschen riskieren, indem sie sie über den Kanal bringen, diese ziemlich gefährlichen Gewässer in und potenziell nicht seetüchtigen Transportmitteln. Wir wollen das stoppen, indem wir mit den Franzosen zusammenarbeiten und sicherstellen, dass sie verstehen, dass dies keine gute Idee ist. Das ist eine sehr, sehr schlechte und dumme, gefährliche und kriminelle Sache." 

Downing Street kündigte an, dass Brexit es dem Vereinigten Königreich erlauben werde, einen neuen Rahmen für den Umgang mit Migranten auszuarbeiten, Zitat: "Am Ende dieses Jahres werden wir nicht mehr an die EU-Gesetze gebunden sein, so dass wir unser eigenes Rückführungsabkommen aushandeln können. 

Die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen sagte, daß man neue Wege gehen müsse, um die Situtation unter Kontrolle zu bekommen.  "Migration war schon immer eine Tatsache für Europa, und sie wird es über Jahrhunderte hinweg immer sein. Sie hat unsere Gesellschaft definiert und unser Leben geprägt. Und dies wird immer der Fall sein. Migration ist komplex. Das alte System, um damit in Europa umzugehen, funktioniert nicht mehr."

Der britische katholische Bischof für Migranten hat die Katholiken zur Solidarität mit den Flüchtlingen und Migranten aufgerufen und die Christen daran erinnert, dass sie im selben Boot sitzen wie die Betroffenen. Ich habe mit dem Koptisch Orthodoxen Erzbischof von London gesprochen, dem Oberhaupt der koptisch-orthodoxen Kirche im Vereinigten Königreich. Der Erzbischof arbeitet u.a. auch mit der katholischen Kirche zusammen, engagiert sich sehr für den interreligiösen Dialog und auch für Asylfragen.

CHRISTIAN PESCHKEN: Eminenz, es scheint, dass viele Länder der Welt versuchen, im Rahmen des sogenannten Globalen Flüchtlingspakts, Lösungen für die Bewältigung der Migrantenflut zu finden. Ihr Land, das Vereinigte Königreich, scheint anderer Meinung zu sein. Als Lösung soll auch das Militär im Ärmelkanal eingesetzt werden. Was ist Ihre Meinung zu dieser Situation?  

Erzbischof Angaelos von London: Die aktuelle Situation in den vergangenen zwei Jahren und insbesondere jetzt mit der Komplikation von Covid-19 ist für alle Neuland. Ich denke, jeder versucht, alles zu tun, was er kann, um natürlich seine eigenen Grenzen und Gemeinschaften zu schützen, aber auch um anderen die Hand zu reichen. Es ist für uns sehr leicht, Entscheidungen und Handlungen zu verurteilen, aber in Wirklichkeit versuchen wir alle neue Dinge. Je mehr wir Dinge tun können, die humanitär sind, die sich an den Bedürfnissen anderer orientieren und versuchen, die Kämpfe und Herausforderungen, die die Menschen durchmachen, anzugehen und zu bewältigen, desto besser für uns alle, denn am Ende des Tages, wenn wir durch unerforschte Gewässer fahren, fahren die Menschen, denen wir begegnen, buchstäblich durch diese unerforschten Gewässer und setzen sich selbst einem großen Risiko aus. Und dieses Risiko muss auch für sie, aber auch für die Wirtschaft, für ihr eigenes Wohlergehen, für das Wohlergehen ihrer Familien in Betracht gezogen werden. Es gibt so viele Erwägungen, und es ist wichtig, dass diese für eine ganzheitliche Lösung und nicht nur für einen Aspekt berücksichtigt werden.

Warum, Ihrer Meinung nach, diese Feindseligkeit eines Landes, das eine Geschichte der Aufnahme von Menschen hat, die vor einigen der gewalttätigsten und repressivsten Regime der Welt fliehen? 

Ich denke, Feindseligkeit ist ein starkes Wort. Ich denke, dies ist eine Zeit, in der die Menschen, wie ich schon sagte, versuchen, den besten Weg zu finden, um die Dinge zu tun. Das Vereinigte Königreich hat eine großartige Geschichte der Aufnahme von Menschen, die aus den gefährlichsten Teilen der Welt kommen, und ihnen Zuflucht, Asyl und Hilfeleistung zu gewähren.  Aber wir müssen einen Weg finden, dies sicher zu tun, sowohl für die Reisenden, aber auch für unsere eigene Situation hier. Und ich denke, je weniger wir anfangen, uns gegeneinander aufzulehnen und zu versuchen, uns gegenseitig in Schubladen zu stecken und Anschuldigungen zu erheben, desto mehr können wir zusammenarbeiten, um die Verantwortlichkeiten der Regierung, die Interessen der humanitären Organisationen, das Wohlergehen der Reisenden herauszufinden und das alles zusammenzubringen, ich denke, desto besser wird das Ergebnis für Alle sein.

Was können wir als Christen, als religiöse Menschen gleich welcher Konfession, aus menschlicher Sicht tun, um die oft hetzerischen Beschimpfung von Männern und Frauen und Kindern zu stoppen, die verzweifelt genug sind, lebensgefährliche Reisen in Kauf zu nehmen? 

Als Christen betrachten wir unseren Herrn Jesus Christus zuallererst als unser Vorbild, und er streckte die Hand nach den am meisten Unterdrückten aus, er streckte die Hand nach denen, die entfremdet und an den Rand gedrängt sind, er erhob diejenigen, die noch mehr gefallen waren. Schauen Sie sich das Alte Testament an, das Mosaische Gesetz sah die Witwe, das Waisenkind, den Reisenden, den Fremden vor und wusste, dass diese Menschen verletzlich waren. Als Christen müssen wir also zuallererst jede Person als Bild und Gleichnis Gottes betrachten und auf die Heiligkeit dieser Person schauen, auf die Heiligkeit ihres Lebens, auf die Würde, in der sie geschaffen wurde, die keine Bezeichnung, keine Stereotypisierung von ihr nehmen kann.

Zweitens müssen wir uns mit den legitimen Bedürfnissen der Menschen befassen und sie nicht nur in Kategorien einteilen, sondern auch herausfinden, warum sie das unglaubliche Risiko die eingehen, um von Land zu Land zu reisen. Sie verlassen Orte des Krieges und des Konflikts. Sie verlassen elende Armut und Verfolgung. Und wir sollten nicht stereotypisieren oder verallgemeinern. Wir müssen auf das Individuum zugehen. Was braucht der Einzelne? Unser Herr Jesus Christus selbst wurde Fleisch und kam und wohnte unter uns, um unsere Bedürfnisse zu kennen und für sie zu sorgen.

Und so sollten wir uns in deren Schuhe versetzen von denen wir sprechen, nicht nur aus der Ferne von ihnen sprechen, sondern dann mit ihnen persönlich sprechen und ihnen richtig zuhören. Denn je mehr wir uns von ihnen fernhalten, vor ihnen scheuen, entmenschlichen wir sie. Die Terminologie entmenschlicht diese Menschen, sie objektiviert diese Menschen, sie macht diese Menschen, anstatt Individuen zu sein, zu Problemen und Problemquellen. Und das ist etwas, das unser Gewissen unmöglich ertragen kann.

Was ist Ihre Meinung zu einigen Politikern, die sagen, dass Umsiedlungsprogramme, humanitäre Visas und Gruppen für Familienzusammenführungen nicht dazu führen werden, dass die Zahl derer die über den Ärmelkanal nach Großbritianien kommen zurückgehen? 

Jedes Land hat ein Recht darauf, seine Grenzen zu sichern und für seinen eigenen Wahlkreis, seine Bevölkerung zu sorgen, aber auch, ohne diese Brille der humanitären Not und Fürsorge abzuziehen. Und wie auch immer wir die Programme nennen, und wir alle wissen, dass diese Programme im Laufe der Jahre benannt und umbenannt und definiert und neu definiert wurden. Die Benennung und Definition ist nicht das, was wichtig ist. Wichtig ist, wofür sie dienen. Wem es dient ist wichtig,  Der tatsächliche Bedarf von Menschen, die verletzlich sind, sie sind in Gefahr.

Natürlich gibt es unter denen, die kommen, eine sehr kleine Minderheit, die versuchen wird, das System zu missbrauchen, aber wir sollten auf keinen Fall gegen die Mehrheit vorgehen, die große Mehrheit, die ein legitimes Bedürfnis hat und legitim gefährdet ist, indem wir uns nur diese sehr kleine Minderheit ansehen, die sie diskreditiert und das System in Misskredit bringt. Und deshalb denke ich, dass wir von Stereotypisierung und Verallgemeinerungen wegkommen müssen und sehen müssen was den Menschen hilft, anstatt , was sie genannt werden, uns verkauft werden, etikettiert werden. Wir müssen uns um diese Menschen in ihrem Interesse kümmern.

Ihre, die Koptisch-Orthodoxe Kirche, hat die Asylum Advocacy Group und andere Organisationen gegründet: Wie weit sind Sie vorangekommen?

 Deshalb hat die Koptisch-Orthodoxe Kirche im Vereinigten Königreich vor mehr als einem Jahrzehnt die Asylbefürwortungsgruppe gegründet, und sie sollte denen helfen, die versuchen zu kommen und Hindernisse zu finden, die nicht hätten da sein sollen. Natürlich stellten wir sicher, dass jede Person, die kam, einen legitimen Anspruch hatte. Wir würden niemals Fälle unterstützen, die uns in Versuchung führen nicht nach unserem Gewissen zu handeln, oder andere Menschen entehren würde, die legitimerweise Unterstützung brauchten. Und was wir versuchen, ist die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Einzelpersonen, zusammenkommen. Ich glaube, dies ist die Antwort auf das, was wir durchmachen. Dieses Thema ist größer als jede Regierung, humanitäre Organisation, jede Kirche oder religiöse Institution. Wir brauchen eine ganzheitliche Lösung von einer Vielzahl von Menschen, um in der Lage zu sein, den Schwächsten auf die bestmögliche Art und Weise zu helfen. Und so besteht unsere Rolle darin, Menschen zusammenzubringen, die am meisten gefährdeten Menschen zu vertreten und zu versuchen, für sie auf die beste Art und Weise einzutreten, die uns möglich ist.

Die Not der Flüchtlinge ist für Sie eine persönliche Sache, die Ihnen sehr am Herzen liegt. 

Einer der Gründe, warum mir die Not der Flüchtlinge so sehr am Herzen liegt, ist der Bericht über unseren Herrn Jesus Christus als Kind, das aus Israel floh, weil er mit seiner Familie gesucht wurde, und als er nach Ägypten ging, wurde er in Ägypten als Flüchtling aufgenommen. Nun weiß ich, dass das Wort "Flüchtling" jetzt mit viel Stigma und mit viel Weltpolitik verbunden ist. Aber eigentlich waren sie Flüchtlinge, diejenigen, die Zuflucht suchten. Und so wie wir sahen, wie sie umarmt wurden, so ruft er auch uns auf, durch seine Verletzlichkeit für die er sich entschied, jeden Einzelnen so zu akzeptieren, wie wir ihn in diesem unglaublich verletzlichen Zustand akzeptieren würden.

Könnten Sie uns kurz über die Zusammenarbeit zwischen der koptischen und der katholischen Kirche berichten? 

Wir haben seit Jahrzehnten eine wunderbare Beziehung zur römisch-katholischen Kirche. Ich war so geehrt und gesegnet seine Heiligkeit Papst Franziskus und dem Oberhaupt unserer Kirche, seine Heiligkeit Papst Tawadros II. vor einigen Jahren begleiten zu dürfen, und anlässlich des vierzigsten Jahrestages der Unterzeichnung der Erklärung zur Christologie zwischen unseren Kirchen im Vatikan, die zweite Ansprache an seine Heiligkeit, Papst Franziskus, zu halten. Und es war das erste Mal, dass ich Seine Heiligkeit Papst Franziskus von der Ökumene des Blutes sprechen hörte, denn in unseren beiden Kirchen sprechen wir über das Martyrium, über diejenigen, die ihr Leben für ihren Glauben gaben, die den letzten Preis dafür bezahlt haben.

Und wir erkennen auch an, dass viele kämpfen und verfolgt werden. Seine Heiligkeit selbst hat uns in Ägypten zahlreiche Botschaften gesandt, als unsere eigenen Kinder durch die Hand von Extremisten und Terroristen gelitten haben. Und wir wiederum haben unsere katholischen Brüder und Schwestern in vielen Teilen der Welt unterstützt, wenn sie leiden. Sowohl auf globaler Ebene als auch hier auf unserer Ebene innerhalb Großbritanniens haben wir also eine sehr gute Beziehung, sowohl in Bezug auf das ökumenische Engagement, aber auch in Bezug auf unser eigenes Zeugnis und unsere eigene Tätigkeit vor Ort, wo wir versuchen, Dinge gemeinsam zu tun, wo wir versuchen, miteinander zu sprechen.

Ich bin sehr gesegnet, dass ich an der Seite von Kardinal Vincent von Westminster zu vielen Themen sprechen kann. Und dass wir in der Lage sind, die Ansichten unserer Kirchen auf viele, viele Arten zu teilen. Zusammenarbeit ist der Kern der christlichen Botschaft. Der Leib Christi, der zusammenkommt, ist der Kern das Licht Christi in dieser schwierigen Zeit in die Welt zu strahlen.

Eminenz, darf ich Sie bitten, ein paar Worte an unsere Zuschauer zu richten?  

Ich wünsche Ihnen und allen Ihren Zuschauern Segen, wo auch immer in der Welt sie sich befinden, denn wir alle kämpfen und leiden im Moment auf unsere eigene Weise. Und wir wissen, dass wir uns gegenseitig unterstützen können, wenn wir in unserer gemeinsamen Menschlichkeit zusammenkommen. Deshalb möchte ich Ihnen für den unglaublichen Dienst danken, den Sie leisten, um die Menschen miteinander in Verbindung zu halten. Und ich bete für Sie, wie ich für alle Ihre Zuschauer bete, während wir gemeinsam durch diese Zeit reisen.

Aber wir wissen mit Sicherheit, dass nach jeder Nacht der Tag anbricht, nach jeder Dunkelheit das Licht kommt. Und durch jede Herausforderung gibt es Hoffnung in unseren Auferstandenen Herrn. Gott segne Sie Alle. 

Gottes Segen auch Ihnen, Eminenz! 

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