Am 10. Oktober 2020 ist Welthospiztag. Das diesjährige Motto lautet "Solidarität bis zuletzt." Jedes Jahr wollen die Verantwortlichen in der Hospizarbeit mit diesem Tag die Aufmerksamkeit für hospizliche und palliative Belange auf internationaler Ebene erhöhen. Auch in Regensburg gibt es ein Hospizhaus: Das Johannes-Hospiz in Pentling besteht seit April 2014 und ist in der Trägerschaft der Johanniter.

In zehn Zimmern können Kranke aufgenommen werden, zwei Zimmer stehen Angehörigen zur Verfügung. Sabine Sudler, die seit Anfang an hier arbeitet, leitet die Einrichtung. Die Bewohner heißen hier "Gäste". Darauf legt die Leiterin wert, denn Hospizhäuser sind immer kleine Einrichtungen, der familiäre Charakter soll stets gewahrt werden. Insgesamt wirken hier 25 Mitarbeiter in der Pflege, Hauswirtschaft und Verwaltung. Ein evangelischer und ein katholischer Seelsorger kümmern sich um die Gäste, Angehörige und um das Personal. Pastoralreferent Bernhard Götz ist der verantwortliche Seelsorger für das Bistum Regensburg.

Was vormittags ist, muss nachmittags keine Gültigkeit mehr haben

Im Durchschnitt verbringen die Gäste 4 bis 5 Wochen hier, aber auch von einem Tag bis zu 9 Monaten, erzählt Sabine Sudler. Dann folgt der Tod. Bei den Menschen, die hier her kommen ist eine Heilung ausgeschlossen. Das ist eines der Aufnahmekriterien. "Es wird ein anderes Ziel vereinbart, nicht dass beispielsweise das Tumorwachstum eingeschränkt wird und man von Heilung sprechen kann, sondern dass man die komplexe Symptomatik wie Schmerzen, Übelkeit oder Angst reduziert", erklärt die Hausleiterin. Und: "Für uns ist ganz wichtig, der Gast gibt hier uns das Tempo vor. Er bestimmt, will er erst frühstücken, ausschlafen oder zuerst Unterstützung bei der Pflege haben. Das ist ein wichtiger Punkt. Denn die Gäste werden hier nicht nur als Diagnose wahrgenommen, sondern als Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Was vormittags ist, muss nachmittags keine Gültigkeit mehr haben", betont Sabine Sudler. Angehörige kommen, wann sie es sich einrichten können oder der Gast es möchte. Es gibt keine festen Besuchszeiten im Johannes-Hospiz.

Manche Menschen spüren es, wenn sie sich auf den Weg machen

Der Umgang mit den Gästen ist ehrlich und aufrichtig, betont sie. Angehörige haben oft ein Problem damit, den Kranken mit der tatsächlichen Situation zu konfrontieren. "Das ist ein Altenheim", wollen sie oft ihren Verwandten sagen. "Nein, das machen wir nicht", muss Sabine Sudler dann erklären. "Wir gehen mit den Gästen ganz normal um. Tag für Tag wird neu ausgelotet, was sind die Probleme? Was steht an? Was kann der Gast noch? Was wünscht er sich beispielsweise zu essen? Manche sagen, mein Wunsch ist es, noch einmal nach Hause zu kommen. Dann kümmern wir uns um die Fahrdienste und den organisatorischen Rahmen." Als Angebote für die Gäste gibt es Atem-, Klangschalen-, Musik- und Kunsttherapien, die wahrgenommen werden können. Aber alles ist kein Muss. Manche Menschen sprechen gar nicht über ihre Situation. Können das nicht, verdrängen es vielleicht auch noch. Andere sind sehr abgeklärt, haben für sich bereits alles organisiert: Von der Todesanzeige bis hin zum Essen nach der Beisetzung. Manche Menschen spüren es, wenn sie sich auf den Weg machen, weiß die langjährige Leiterin. Auch um die Angehörigen kümmern sich die Mitarbeiter. In Gesprächen wird erklärt, was nun passiert. Wie es weitergeht. Damit sie den Weg mitgehen und ihn für sich annehmen können. Angehörige tun sich oft viel schwerer als die Betroffenen selbst, den Menschen gehen zu lassen, zeigt die Erfahrung im Johannes-Hospiz.

Das Erfolgserlebnis: Wenn jemand gut gehen kann

Die Arbeit in einem Hospiz ist nicht alltäglich. Die Mitarbeiter hier sind auf besondere Weise gefordert. "Die Menschen, die bei uns arbeiten, müssen sich bereits im Vorfeld mit dem Thema Tod und Sterben auseinander setzen. Wir haben andere Herausforderungen als das Pflegepersonal im gängigen Kranken- und Gesundheitswesen. Man muss selber sehr reflektiert sein", sagt Sabine Sudler. Es kann durchaus vorkommen, dass, wie vor kurzem, innerhalb von 4 Tagen 6 Menschen sterben. Oder dass selbst in einer einzigen Spätschicht 3 Menschen versterben. "Man muss das aushalten können und auch mal aussetzen können. Man muss auch aushalten können, dass Angehörige traurig oder auch mal zornig sind. Dieser Bereich ist mit vielen Emotionen verbunden. Hospiz heißt ein Potpourri von menschlichen Gefühlen. Es ist wichtig, dass unsere Mitarbeiter zuhause gut Energie tanken", so die Leiterin. Im Haus werden aber auch Supervisionen durchgeführt, um Erlebtes zu reflektieren und aufzuarbeiten. Das Erfolgserlebnis für den Hospizhelfer ist, wenn jemand gut gehen kann. Wenn sich eine gute Beziehung aufbaut, wenn man die Situation gut ansprechen kann. "Es ist für uns eine Ehre, wenn Menschen zu uns kommen. Das Sterben, das Gehen ist ein großer Vertrauensbeweis. Auch das Vertrauen der Angehörigen, wenn Sie beispielsweise ihren Ehemann zu uns bringen und uns anvertrauen. Wie auch bei einer Geburt ist man als Pflegepersonal sehr emotional eingebunden. Man freut sich über ein neues Leben. Und so ist es auch beim Sterben. Wenn das gut und harmonisch abläuft sind die Menschen unheimlich glücklich und dankbar", hebt Sabine Sudler hervor. Sterbehilfe ist keine Option, sagt sie. "Der Hospizgedanke ist, Gott nicht ins Handwerk zu pfuschen. Das obliegt uns nicht. Wir sind verantwortlich für die Schmerz- und Angstreduzierung und wollen die Menschen am Lebensende begleiten. Es ist keine Option, dass wir das Leben aus eigenen Stücken, diese Entscheidung, an uns reißen. Wir lassen dem Leben seinen Lauf!"

Seelsorge für Gäste, Angehörige und das Personal

Die seelsorgliche Begleitung der Gäste ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit im Haus. Bernhard Götz ist katholischer Theologe und geht auf die Menschen hier zu. Immer wieder erlebt er, dass die wenigsten Menschen nach der Konfession fragen. Wenn ein Seelsorger kommt, geht es hauptsächlich um die Begegnung, um den Austausch, das Loswerden wollen, was einem aktuell bewegt - Lebensrückblick und verschiedene andere Dinge, die man mit einem Seelsorger besprechen möchte. Ob das nun der Gast selber ist oder die Angehörigen, sagt Götz. Seine Erfahrung zeigt: Jeder Gast sucht sich die Person, zu der er einen "bestimmten Draht" hat. Das muss nicht zwangsläufig der katholische oder evangelische Seelsorger, sondern kann genau so jemand aus dem Bereich Hauswirtschaft sein. "Komme ich ins Haus, so gibt mir das Pflegepersonal oft den Hinweis, da oder dort werde ich bereits für ein Gespräch erwartet. Das betrifft Gäste wie auch Angehörige". Ist sich das Personal unsicher, stellt sich Bernhard Götz als Seelsorger vor. Schnell merkt man an der Reaktion, wie es weitergehen kann. Zeigen die Menschen Ablehnung oder Neugier und Interesse? Und: Die Seelsorger stehen auch den Mitarbeitern für ein Gespräch zur Verfügung. Nicht für jeden Gast, so seine Erfahrung, ist das Hospiz zwingend die letzte Station. 5 bis 10 %, die sich hier stabilisieren, verlassen das Haus auch wieder, kehren nach Hause zurück oder kommen in eine andere Einrichtung. 90 bis 95 % versterben hier. Das ist vielen klar, manchen aber noch nicht so richtig. Vor allem dann, wenn die Diagnose recht frisch ist und eine Verlegung von beispielsweise einer Klinik direkt hier in das Hospiz erfolgt, weil eine weitere Betreuung zu Hause nicht mehr möglich ist. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Situation ergibt sich dann erst hier. Wenn es erwünscht ist, unterstützend dann dabei zu sein, ist das auch eine seelsorgliche Aufgabe. Bernhard Götz stellt aber klar: Die Pflegenden sind viel näher an den Gästen dran als wir Seelsorger, so dass dabei sehr viel an Verarbeitung, an Gesprächen neben zu möglich ist. Zum einem weil sie im Schichtdienst immer wieder in den Zimmern sind, während die Seelsorger zwei bis drei Mal pro Woche ihren Dienst tun. "Die Kollegen von der Pflege sind gut ausgebildet und haben ein sehr waches Gespür, auch was die körperlichen Vorgänge betrifft. Dinge, die man als Seelsorger oftmals nicht so feinfühlig wahrnehmen kann, wie es das Pflegepersonal tut", sagt der Theologe.

Was im Leben alles war

Seit Beginn der Corona-Pandemie sind Gedenkgottesdienste nicht mehr möglich. "Der Raum der Stille" im Haus lädt ein zum Gebet, zum Nachsinnen, für Gespräche aber auch für die Gedenkgottesdienste. Diese werden in der Regel 6 bis 10 Wochen nach dem Tod eines Gastes im Haus gefeiert. "Der persönliche Abschied der Angehörigen vom Verstorbenen im Zimmer, das geht noch. Aber nochmals hier her zu kommen, zusammen mit anderen, sich auch vom Haus zu verabschieden und von dem, was man hier erlebt hat, geht derzeit vor dem Hintergrund der gegebenen Abstandsregeln nicht. Das ist bedauerlich, denn die Gedenkgottesdienste bieten eine sehr intensive Form, die Trauer nochmal zuzulassen und dann aber auch einen Schritt weiter zu gehen. Nachdem alle Formalitäten erledigt wurden, die Beerdigung vollzogen ist, beginnt noch einmal eine sehr intensive Durststrecke. Die Gedenkgottesdienste helfen den Angehörigen und geben Hoffnung: für den Verstorbenen aber auch für sie selbst, erneut ins Leben zu gehen", erklärt Bernhard Götz. Je nach den religiösen Vorlieben betet und singt der Seelsorger auch mit den Gästen, bringt ihnen die Heilige Kommunion. Im Gespräch geht es um lebensgeschichtliche Themen, die Würdigung dessen, was im Leben alles war, die schweren und die schönen Zeiten. Und es gelingt manchmal noch leichter, wenn jemand ein Außenstehender ist, als wenn die Menschen darüber mit Angehörigen sprechen. Für den Außenstehenden ist das Leben des Gegenübers neu, er kann das Erzählte anders in den Blick nehmen und spiegeln. Das kann sehr hilfreich sein für den Abschiedsprozess. Der Seelsorger ist immer wieder neu gefordert, wenn er ein Zimmer betritt. Die Begegnungen verlaufen nie idealtypisch. Selbst wenn schon drei bis vier Gespräche stattgefunden haben, kann es das nächste Mal ganz anders sein. Sei es, dass der Gesundheitszustand sich verändert hat, sei es dass der Tag anders verlaufen ist oder auch ein Konflikt mit Angehörigen stattgefunden hat. Dann kann es auch sein, dass vom Gast kein Gespräch gewünscht wird.

Kein Einfluss auf den Heilsplan Gottes

Das Thema Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit spielt immer wieder eine zentrale Rolle: Warum muss jemand mit 21 Jahren, kurz nach Antritt der Rente oder in der Mitte seines Lebens sterben? Diese Fragen kommen sehr oft. Auf diese Fragen kann auch Bernhard Götz keine Antwort geben: "Ich kann keinen Einfluss nehmen auf den Heilsplan Gottes. Würde ich mir das anmaßen, dann wäre ich kein Seelsorger, sondern ein Scharlatan. Woher soll ich das wissen, warum gerade der, vielleicht junge Mensch, mit dieser Situation konfrontiert wird? Ich kann mir kein Urteil bilden". Wo sind mögliche, gangbare Wege, mit der Situation so umzugehen, dass sie nicht nur heillos sind? Das kann sehr unterschiedlich sein. Bei jeder Person muss sich der Seelsorger neu auf die Suche machen, wie kann der Sterbende mit dem Weg, den er noch vor sich hat gestalterisch umgehen. Das ist die Herausforderung! Bernhard Götz erinnert sich an eine 21-jährige junge Frau, die im Hospiz durch die Kunsttherapie Zugang zu Farben und Formen bekam. Und sie konnte damit ihren eigenen Prozess ausdrücken, begleitend durch Gespräche mit dem Seelsorger, dem Personal und einer Kunsttherapeutin. Kurz vor ihrem Tod veranstaltete sie im Haus eine Vernissage mit ihren Bildern. Im Pflegebett konnte sie die Gäste ihrer Ausstellung in der Aula begrüßen. 14 Tage später verstarb sie. Das sind, so Bernhard Götz, besondere Momente einer Begleitung. "Viele wirken zusammen, dass dieser Weg ein qualitativ hochwertiger sein kann. Die junge Frau musste, seit sie in das Haus kam, nur liegen. Ihr Leben spielte sich praktisch auf 2 qm² ab. Und doch konnte sie immer wieder von neuen Erfahrungen auf ihrem Weg nach innen berichten und dies malerisch ausdrücken. Das war sehr beeindruckend", erinnert sich der Seelsorger, betont aber, dass diese Begegnung mit keiner anderen vergleichbar sei. Denn das faszinierende und schöne sei, dass es keine Kopie gebe. Bei keinem Menschen in diesem Haus. Jeder Fall ist einzigartig.

Zum Thema Sterbehilfe sagt Bernhard Götz: "Hier im Haus wird Hilfe zum Sterben geleistet. Auf palliative Art. Dieser Weg ist ein sehr würdiger. Und zwar hochkompetent und sehr am Menschen orientiert. Bei Hilfe im Sinne eines aktiven Tuns, wie assistierten Suizid oder Töten auf Verlangen schließen sich diese Wege aus. "Wenn ich in einem Haus die letzten Zeiten eines Menschen begleiten und ihm dieses Leben so gut als möglich gestalten helfen möchte, dann kann ich nicht gleichzeitig assistierten Suizid anbieten. Dann braucht es für so einen Weg etwas anderes. Aber nicht dieses Haus", sagt Götz. Viele Beispiele zeigen, so Bernhard Götz, wie die Palliativmedizin diesen Weg ohne suizidale Unterstützung ermöglicht. Nahezu alle Schmerzsymptomatik wie auch die Angst vor dem Schmerz könnten gelindert werden. Aus der Sicht des Seelsorgers her betrachtet, kann jede Seele den Weg zu ihrem Schöpfer finden und der Schöpfer kommt dieser Seele entgegen. Auch Jesus, der sein Leiden bis zum Ende durchgetragen habe, sei ein wesentliches Argument, mit dem Leben nicht leichtfertig umzugehen und es aus eigenen Stücken zu beenden.

Warum aktive Sterbehilfe keine Option für die Kirche ist
Dr. Christoph Seidl, Leiter der Seelsorge für Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen für das Bistum Regensburg, stellt fest: Erstes Ziel kirchlicher Sorge um den Menschen ist es, das Leben zu schützen und zu erhalten und auch in schwieriger Zeit an der Würde des Menschen bis zu seinem natürlichen Tod festzuhalten. Die Rede von einem "lebensunwerten Leben" – beispielsweise in der Zeit des Nationalsozialismus – hat einmal mehr deutlich gemacht, dass uns nichts und niemand das Recht gibt, etwa zu sagen, "das ist doch kein Leben mehr". Natürlich darf man nicht leugnen, dass Menschen auch bei bester medizinischer Versorgung in eine Situation kommen können, in der sie sich nur noch den Tod wünschen, weil sie ihr Leben als unerträglich empfinden. Es gibt auch heute noch Schmerzen, die nicht genommen werden können. Wenn ein Mensch aufgrund solcher Erfahrungen zu dem Schluss kommt, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, dann dürfen wir als Christen diesen Menschen nicht verurteilen. Gott sei Dank hat die Kirche in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre Bestattungspraxis in einer barmherzigen Richtung verändert! Ein kirchliches Begräbnis wird bei Suizid schon lange nicht mehr verweigert, weil sich niemand anmaßen darf, über den inneren Zustand eines Suizidanten zu urteilen. Nichtsdestoweniger ist eine klare Haltung der Kirche zum Lebensschutz notwendig. Zum einen sagt sie damit, dass das Leben unter allen Umständen bis zuletzt an jedem Tag einen Auftrag für den Menschen beinhaltet. Zum anderen versucht sie damit zu verhindern, dass von außen jemals Druck auf Menschen ausgeübt werden könnte, dass es jetzt doch an der Zeit wäre, sich sozialverträglich aus dem Leben zu verabschieden. Entscheidend ist für mich, diese Spannung auszuhalten: die Kirche versucht natürlich mit aller Kraft, Menschen vor Suizid zu bewahren. Wenn sich aber ein Mensch dafür entschieden hat, verurteilt sie ihn nicht. 

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