Hat Beten Sinn? Wenn ich meinen Glauben für zehn Cent ernst nehme, hat die Frage keinen Sinn. Beten mag Atheisten sinnlos scheinen. Christlicher Glauben ohne Gebet aber ist völlig sinnlos. Er stirbt auch bald ab und verkümmert. Denn Beten ist ja nichts anderes als ein Sprechen mit Gott, es ist kein Gerede über ihn. Dennoch bin ich kein Experte für solche Fragen. Dass ich jemals ein andächtiger Beter war, kann ich auch nicht sagen. Mir fehlt dafür die Konzentration, auch der spirituelle Tiefgang. Alle drei Sekunden schielt mein Blick zu meinem Smartphone, ob da nicht gerade eine neue Message angekommen ist. Meine Gedanken schwirren und schweifen ab. Ich kann mich nur schlecht konzentrieren und gar nicht versenken (von Yoga und derlei Künsten gar nicht zu reden).

Deshalb möchte ich hier auch gar nicht groß über die großartigen Psalmen sprechen, die Jesus selbst noch gebetet hat oder über das tiefe persönliche Gebet, sondern am liebsten über den Rosenkranz, über das aneinander gereihte Gebet: Ein Vaterunser, zehn Avemaria, ein Vaterunser, zehn Avemaria et cetera. Natürlich kenne ich das Wort Jesu, wo er sagt: „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen.“ Doch in diesem Fall möchte ich dem Herrn der Welt selbst widersprechen – und er wird es mir sicher nachsehen. Denn erstens will ich ja gar nicht groß von ihm erhört werden. Ich will seine Nähe, sonst nichts. Ich will mit ihm reden. Da bin ich wie ein Stalker. Ich geh hinter ihm her und quatsch ihn an. Und – das ist hier der schöne Unterschied zum üblichen Stalken: er lässt es sich gern gefallen! Er dreht sich um und schaut mich freundlich an. Und ich schaue ihn an. Glück! Das ist das, was der Rosenkranz macht. Es ist fast schon alles. Ich hefte meinen Blick in seine Augen.

Ich schaue also auf ihn, wie er lacht als Kind. Sehe, wie er seine Mutter anschaut, nachdem er in Kana 600 Liter Wasser zum Füßewaschen in besten galiläischen Wein verwandelt hat. Seh ihn zwischen den Lilien des Feldes und am Silbersee. Seh, wie ihm die Dornenkrone ins blutverklebte Haar gedrückt wird (die einzige Krone, die nicht wackelt und nicht verrutscht und die kein Sturm vom Kopf bläst wie einen Hut). Ich seh und höre seinen letzten Schrei, sehe, wie er kurz danach durch verschlossene Türen tritt, mich anhaucht, mir Frieden wünscht und sich in Brot verwandelt, das er mir hinreicht.  Das Gebet aber, in dem ich all dies betrachte, ist selbst wie Brot oder Mehl. Je länger ich es zwischen den Zähnen habe, je mehr verwandelt sich die Stärke in Zucker. Es ist kein Mantra, wie meine atheistischen Freunde meinen. In ihm schau ich nur unentwegt das menschliche Gesicht Gottes an.

Es ist also eine Betrachtung mit den Zähnen. Der Rosenkranz ist zum Narrativ meines Lebens geworden. Es ist eine Gottesschau, die nicht seziert, sondern zusammen fügt. Keine Ideologie oder Theologie kann sich dieser Sicht bemächtigen und kein Zeitgeist. Deshalb lässt sich dieses Gebet auch überall beten, im Gehen und Stehen, im Bus, in der Bahn und im Gefängnis, langsam oder schnell, das ist schon fast egal. Er ist kein Seminar. Eher ein Garten. Und wenn sich an dieser Stelle nun Jesus von Nazareth einmal mehr zu mir umdrehen sollte und fragen würde: „Was murmelst du da die ganze Zeit wieder hinter mir her? “ – dann, ja dann würde ich ihn fragen, wie denn die Alternative zu meinem gedankenlosen Gebet heißen soll. Gar nicht zu beten? Wäre das besser? Klüger? Ja?

Nein, sage ich da. Spätestens für mich und in meiner Generation gab und gibt es nicht mehr die Alternative „gut beten“ oder „schlecht beten“ – sondern nur noch: beten oder nicht beten. Den Unterschied aber kenne ich gut. Dringend verteidigen möchte ich deshalb hier also noch einmal selbst das plappernde, das leiernde, das unandächtige, das kindliche, das unreife Gebet, das ich zahllose Male verrichtet habe. Das abgelenkte Gebet. Sogar das müde Gebet belegt doch zumindest Raum auf unserer Festplatte, also etwas vom Wertvollsten, das wir haben. Von dem Stoff eben, aus dem unser Leben gemacht ist: Zeit! „Für Dich, mein Herr,“ würde ich ihm da sagen, „bitte sehr! Ist Dir das nicht lieber? Dass zumindest meine Lippen Dich ansprechen, wenn meine Gedanken schon ständig abschweifen? Dass mein  Kehlkopf eine Zeitlang ganz Dir gehören soll an jedem Tag? Weg aus allem anderen Gemurmel und Denken und Telefonieren und Internet-Surfen!“

Gott sei Dank fragt er natürlich nicht so, deshalb kann ich mir auch diese Antwort sparen und es nur noch kurz machen: Der Rosenkranz nimmt keine Zeit. Er schenkt Zeit. Dieses Gebet macht den ganz, der es betet. Es fügt die zusammen, die ihn zusammen beten. Wie die Liebe, sagte Henri Lacordaire im 19. Jahrhundert, „sagt der Rosenkranz immerzu das Gleiche und wiederholt sich dennoch nie“.  Deshalb gibt es mit ihm keinen Stau mehr, keine Hektik vor der Flughafen-Security, sondern immer nur neue Gelegenheiten zur Gottesschau. Der Rosenkranz füllt leeren Raum, wie Regen trockenen Boden tränkt. Er wässert den Boden der Existenz. Er macht den Glauben lebendig und das schwere Leben leicht und schön. Hat er auch Sinn? Was soll ich da sagen? Er ist das Sinnvollste, zu dem ich imstande bin.

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