Während einer Pressekonferenz der UN in Genf berichtete Frau Shabia Mantoo, Sprecherin, Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen: “Bisher hat der Krieg allein in den letzten zwei Monaten mehr als 12,7 Millionen Menschen vertrieben, von denen mehr als fünf Millionen als Flüchtlinge über die Grenzen geflohen sind und 7,7 Millionen innerhalb des Landes auf der Flucht sind. Es wird geschätzt, dass fast 13 Millionen weitere Menschen in den betroffenen Gebieten festsitzen oder aufgrund von Sicherheitsrisiken nicht ausreisen können."

Jens Laerke der Sprecher des Amts der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten fügte hinzu, dass die UN nun mehr als 2,25 Milliarden Dollar für Hilfsmaßnahmen in Ukraine benötige. Das sei mehr als das Doppelte des Betrags, den die UN-Anfang März gefordert hatte.

Dies sind Auswirkungen des furchtbaren Krieges in Ukraine, der im Februar dieses Jahres begann. So grauenvoll dieser, jeder, Krieg ist., so wenig er entschuldbar ist, er hat eine Vorgeschichte, die dazu führte.  

Einer der Gründe des jetzigen Konflikts ist sicher die Vereinnahmung der Krim durch Russland vor 8 Jahren im März 2014. Trotz ihrer Annexion wurde die Krim in einer UN-Resolution auch im März 2014 von den meisten Ländern der Welt immer noch als Teil der Ukraine betrachtet.

Ich sprach vor 2 Wochen mit unserem katholischen Glaubensbruder und möchte das Fortsetzen. Ein guter Freund und Stammgast unseres Programms Gilles Emmanuel Jacquet. Gilles ist auf Geschichte, internationale Beziehungen und Geopolitik spezialisiert Seine Forschungsarbeiten befassen sich mit bewaffneten Konflikten, Terrorismus, religiösem und politischem Radikalismus, ethnolinguistischen und kulturellen Fragen sowie dem Umgang mit religiösen und ethnischen Minderheiten. Seine Forschungsgebiete sind Osteuropa, die postsowjetischen Länder, Zentralasien und der Nahe Osten.  

Was hat dich vor einigen Jahren in das Donbass Gebiet geführt?   

Gilles Emmanuel Jacquet: “Ich hatte die Gelegenheit, mit einer NGO und Freunden an einer humanitären Mission teilzunehmen. Wir sammelten und kauften Medikamente und andere Dinge, die für die Vertriebenen nützlich waren. Ich bin also in die Region Luhansk und Donezk gereist und habe mir ein Bild von der Situation dort machen können. Das war 2016. 

Der Krieg war noch nicht vorbei. Entlang der Demarkationslinie gab es immer noch Kämpfe und vor allem Artilleriebeschuss. 

Die Situation war also schon vor ein paar Jahren schlimm, auch wenn sie auf den Südosten der Ukraine beschränkt war.”

Russland hatte 2014 die Krim vereinnahmt und zeitgleich begannen dann Demonstrationen und später auch militärische Auseinandersetzungen zwischen Ukraine und Russland. Dann folgte das Minsker Protokoll 1, ein Friedensplan, der gebrochen wurde und später Minsk II ein Waffenstillstandsabkommen   was aber auch gebrochen wurde. 

Als Du 2014 also 2 Jahre nachdem diese Auseinandersetzungen begannen in der Donbass Region warst, gab es bereits Spannungen zwischen Ukraine und Russland?    

Gilles: “ Ja. In der Tat waren die Spannungen bereits vorhanden, seit der Konflikt 2014 ausbrach. Und in der Tat haben wir in diesen acht Jahren des Konflikts eine Anhäufung von Spannungen erlebt. Der Waffenstillstand wurde von beiden Seiten mehrmals gebrochen, wie die OSZE Mission vor Ort berichtet hat. Beide Seiten haben es auch versäumt, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen.

Die Spannungen auf beiden Seiten haben sich also aufgestaut, vor allem zu Beginn dieses Jahres, als der Beschuss wieder aufgenommen wurde und die Anerkennung der, sagen wir mal, Unabhängigkeit der Donezk und Luhansk Volksrepubliken durch Russland eine Art rote Linie darstellte, die von Russland gesetzt wurde, aber in gewisser Weise auch eine Warnung war, dass Russland eingreifen würde, wenn der Beschuss weitergehen würde. Und das ist es, was wir vielleicht nicht vorhergesehen haben.”

Die beiden Regionen, die Du erwähnt hast, Luhansk und Donezk haben sehr viele Städte direkt an der russischen Grenze. In den Grenzstädten leben sowohl Ukrainer, Griechen, Juden, Armenier als auch Russen. Welche Bedeutung haben diese Grenzstädte?   

Gilles: “Nun, die Grenzstädte auf beiden Seiten der Grenze, die Ukraine und Russland haben Beziehungen, wirtschaftliche Beziehungen. Aber auch die Menschen, die auf beiden Seiten der Grenze leben, haben Familie auf der anderen Seite der Grenze. Dieser Konflikt spaltet also auch die Familien und wirkt sich auf sie aus. Und auch die Menschen in Russland versuchen, Nachrichten von ihren Verwandten auf der anderen Seite der Grenze zu erhalten. 

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Also wie der Konflikt 2014 hat, er Familien, Freundeskreise, Kollegen und Paare buchstäblich zerrissen. 

Es ist also eine persönliche Tragödie für, ich würde sagen, Hunderttausende von Ukrainern und Russen. Wir dürfen nicht vergessen, dass vor dem Krieg und auch in den Jahren davor, obwohl Krieg herrschte, Ukrainer zum Arbeiten nach Russland und Russen zum Einkaufen in die Ukraine fuhren. Es gab also Verbindungen auf beiden Seiten der Grenze. Und jetzt, mit diesem Krieg, ist es eine komplette Katastrophe.”

Mit dem Krieg leben und mit den Folgen wie zum Beispiel den Sanktionen, die bedauerlicherweise nicht einseitig wirken. 

Gilles: “Die Sanktionen wirken sich auf beide Seiten aus. Russland, zum Beispiel, ist jetzt gezwungen, die Bezahlung für Gas in Rubel zu verlangen. Russland sagt ausländischen Unternehmen auf seinem Gebiet, dass sie verstaatlicht werden, wenn sie das Land verlassen. Das hat also Auswirkungen auf die russische Wirtschaft. Aber die russische Wirtschaft versucht, sich anzupassen und sich stärker den asiatischen Märkten zuzuwenden, vor allem China.

Was nun die EU-Länder betrifft, so sind auch sie betroffen, zumal sie in hohem Maße von russischen Energielieferungen abhängig sind, insbesondere Deutschland. 

Wenn Deutschland in der gegenwärtigen Krise kein russisches Erdgas mehr bekommt, vor allem über die Nord Stream Unterwasser Gasleitungen, wird das enorme Auswirkungen auf die deutschen Bürger haben. Zunächst einmal wird sich Deutschland nach zusätzlichen Gaslieferungen umsehen müssen. Die Kosten werden höher sein und im Winter wird es zuhause kälter für die Menschen werden.

Und was die Industrie betrifft, wird es Auswirkungen haben, weil es die Produktionskosten erhöhen wird. Auch in anderen EU-Ländern haben die Sanktionen Auswirkungen auf Unternehmen, die in unterschiedlicher Weise auf dem russischen Markt tätig waren. Sei es durch den Verkauf von Maschinen für die Industrie oder von Lebensmitteln, zum Beispiel von französischem Käse oder Wein. Die westliche Wirtschaft ist also stark betroffen, zumal wir feststellen, dass die EU-Märkte stärker betroffen sind als die US-Wirtschaft. Es scheint, dass die von den Vereinigten Staaten von Amerika verhängten Sanktionen in gewisser Weise klüger sind.
Sie sind weniger schädlich für die US-Wirtschaft, während in der Europäischen Union die Sanktionen für die Wirtschaft der EU-Mitgliedstaaten ziemlich nachteilig sind.”

Du lebst in Genf, in der Schweiz, einem neutralen Land, welches sich bis dato nicht in den Ukraine Krieg einmischt, also auch, bis dato, keine Waffen liefert. Sehen wir eigentlich Auswirkungen der Sanktionen auf die Schweiz?   

Gilles: “Nun, wir sehen auf den ersten Blick keine, sagen wir, spektakulären Auswirkungen der Sanktionen auf die Schweiz.  Man muss sich das jedoch im Detail ansehen. Zum Beispiel die russischen Energieunternehmen, die in Genf sind. Wir haben viele von ihnen in Genf. Ihre Aktivitäten sind zurückgegangen. Wir sehen auch, dass die Preise steigen, aber im Moment nicht wirklich gravierend. Es ist nichts, was Sie offensichtlich bemerken würden.

Allerdings steigen die Preise für Erdgas und Erdöl, und einige Produkte, vor allem Lebensmittel, sind nicht mehr so erhältlich wie früher, vor allem Produkte, die aus Russland oder Ukraine kommen. Aber im Großen und Ganzen sind die Auswirkungen der Sanktionen hier nicht wirklich spürbar, sondern eher in Kleinigkeiten.”

Papst Franziskus äußerte kürzlich seine tiefe Besorgnis über den Krieg in Ukraine und er stellte die Frage: "Während ich Zeuge eines makabren Rückzugs der Menschlichkeit bin, frage ich mich zusammen mit vielen besorgten Menschen, ob wirklich Frieden angestrebt wird, ob der Wille vorhanden ist, eine weitere militärische Eskalation zu vermeiden oder ob verbal alles getan wird, um die Waffen zum Schweigen zu bringen".

Franziskus betonte die Notwendigkeit von Verhandlungen: "Ich bitte euch, nicht der Logik der Gewalt, der perversen Spirale der Waffen nachzugeben, sondern den Weg des Dialogs und des Friedens zu beschreiten".

Der Heilige Vater forderte die Gläubigen auf, während des gesamten Monats Mai den Rosenkranz zu beten und für den Frieden zu bitten.

Für Papst Franziskus steht die Hilfe für die Unterdrückten im Zeichen der Geschwisterlichkeit im Vordergrund. 

Gilles, Du bist sehr aktiv in der katholischen Kirche in Genf. Nach Deinen Informationen und Kenntnisstand gebe uns bitte einige Beispiele von dem was die römisch-katholische Kirche in Ukraine tut, um zu helfen.   

Gilles: “Seit Beginn des Konflikts, ich spreche nicht nur von der neuen Phase des Konflikts, die Anfang 2022 begann, sondern bereits seit 2014, war die römisch-katholische Kirche sehr aktiv bei der Bereitstellung von humanitärer Hilfe in Ukraine. Es gibt auch römisch-katholische Organisationen wie den Malteserorden, die sehr aktiv bei der Bereitstellung von humanitärer Hilfe sind, indem sie Hilfspunkte einrichteten für Flüchtlinge oder Binnenvertriebene und wo diese untergebracht und mit Lebensmitteln versorgt werden. 

Es gibt auch der katholischen Kirche nahestehende NGOs, die in Ukraine aktiv sind, aber vor allem auch in den Nachbarländern wie Polen. In Polen ist die katholische Kirche sehr aktiv bei der Bereitstellung von Unterkünften, Nahrungsmitteln und jeglicher Art von humanitärer Hilfe für die mehr als 2 Millionen ukrainischen Flüchtlinge in Polen. 

 Auch die verschiedenen orthodoxen Kirchen sind in Ukraine und in den Nachbarländern aktiv, um Flüchtlinge aufzunehmen oder den Binnenflüchtlingen in Ukraine selbst zu helfen. Ich würde also sagen, dass die Katholiken, aber auch Christen generell, aktiv und mobilisiert sind, um den ukrainischen Flüchtlingen und Binnenvertriebenen zu helfen. Aber es wird mehr Hilfe benötigt. Es werden mehr Mittel benötigt, vor allem, weil der Konflikt länger andauern könnte.”

"Kommunikatoren müssen Fakten sorgfältig beobachten, ihre Richtigkeit überprüfen, die Quellen ihrer Informationen kritisch bewerten und schließlich ihre Erkenntnisse weitergeben. Die Last der Verantwortung ist umso größer, wenn der Berichterstatter, wie es oft der Fall ist, nicht nur die einfachen Fakten eines Falles wiedergeben muss, sondern auch dessen Auswirkungen erklären muss, indem er Kommentare und die für eine gerechte Beurteilung notwendigen Elemente liefert. - Das sagte Papst Paul VI.  zum Weltkommunikationstag 1972, aber das sollte auch heute noch gelten.   

(Paul VI. * 26. September 1897 in Concesio bei Brescia; † 6. August 1978)

Ich möchte vorschlagen, all das was Sie z.B. hier in Interviews mit Experten hören, und das was Sie täglich in den Massenmedien hören selbst zu recherchieren und sich nicht nur auf das zu verlassen was man Ihnen, uns, vorsetzt. Das gilt meines Erachtens ganz besonders im Fall des Russland Ukraine Konflikts. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Gottes Segen.  

Originalinterview aufgenommen in Genf von Kameramann Andriy Ryndych | Deutsche Sprecher Vanessa Weisbrod, Jan Terstiege | Redaktion, deutsche Übersetzung, Moderation und Schnitt: Christian Peschken für EWTN .TV  

Hinweis: Dieser Blogpost ist kein Beitrag von CNA Deutsch. Weder Form noch Inhalt noch die geäußerten Ansichten und Formulierungen macht sich die Redaktion von CNA Deutsch zu eigen.