Pater Claus kenne ich Gott sei Dank persönlich. Doch das ist nicht alles. Denn ihn habe ich im Grunde erstmals zusammen mit den Propheten und Psalmisten Israels kennengelernt, die vor der Geburt des Erlösers  sicher auch Maß genommen haben an jenem Schreien alter Esel auf den Hügeln Judäas – wobei jeder, der einmal von ihnen geweckt worden ist, dieses flehentliche Wiehern wohl nur als eine der erschütterndsten Vorformen des Gebets aller Kreatur begreifen kann. 

Diese erste Begegnung mit Pater Claus fand für uns statt in einer Zeit großer Not, als wir im Sommer 1995 in München am Thierschplatz ein rettendes Refugium gefunden hatten, wo wir das Glockengeläut von Sankt Anna überall in unserer Wohnung hörten. Das Rokoko-Kloster lag gerade drei Häuserblocks hinter unserem Haus, wo Pater Claus damals der Guardian des Franziskaner-Konvents war, wo er jeden Morgen die klösterlichen Stundengebete leitete, die ja nichts anderes sind als das jüdische Fundament aller christlichen Gebete. 

Schlaflose Nächte und Kummer hatten mich damals erstmals in meinem Leben dazu gebracht, es schon früh morgens beim Klang der Glocken nicht länger im Bett auszuhalten, um stattdessen wie ein versprengter Mönch dem Trost der Psalmisten und Propheten von Jeremias bis Jesaia hinterher zu laufen. 

Und ihre Texte sprachen uns damals Morgen für Morgen so an, als seien sie jeweils in der Nacht zuvor für uns geschrieben worden. Zum Beispiel der 91. Psalm: "ER rettet dich aus der Schlinge des Jägers und aus der Pest des Verderbens. ER beschirmt dich mit Seinen Flügeln. Unter Seinen Schwingen findest du Zuflucht. Schild und Schutz ist Seine Treue." Und die Worte trösteten mich zusammen mit Pater Claus, der sich nie zu schade war, auch für eine Handvoll älterer Damen aus dem nahen Altenheim und mich in der letzten Reihe in den Frühmessen nach den Laudes die liturgischen Texte als ein Tag für Tag um den Glauben ringender Priester jeweils neu auszulegen.

Wir haben uns dann aus den Augen verloren, doch nie aus dem Sinn. Jahre später verdankte ich Pater Claus und seinem Ordensbruder Raynald Wagner das wichtigste Kapitel in meinem für mich vielleicht schönsten eigenen Buch. Dieses Kapitel heißt "Der Name der Rose" und findet sich in einem Bericht über die Jungfrau von Guadalupe, die ich 1999 auf einer Entdeckungsreise nach Mexiko entdeckt hatte, obwohl Pater Claus gar nicht besonders marianisch war, wie er damals offen zugab. Er war ein begnadeter Prediger, doch nicht aus dem "Orden der Prediger" und kein Dominikaner, sondern durch und durch ein Sohn des heiligen Franziskus, der uns damals zur festen Säule einer erschütterten Kirche wurde, als wir deren Beben und Gefährdungen in einer Weise erfahren hatten wie nie zuvor. Dass wir uns in Sankt Anna an ihn anlehnen durften, konnten wir da nur als eine besondere Gnade begreifen, wo er uns teilhaben ließ an seiner Nachfolge Christi, die immer großzügig und umfassend war und niemals eng und kleinlich. 

Zudem war er ein Poet wie der Autor des Sonnengesangs aus Assisi vor 800 Jahren und in dem Buch, das er nun im Alter vorlegt, gibt er auch preis, dass er mit Gott wohl Zeit seines Lebens so zu ringen wusste wie der heilige Hiob aus dem Alten Testament, empörend ehrlich und intim wie in einem Beichtstuhl. Und so haben wir ihn auch vor über 20 Jahren schon kennen gelernt: als feinen Geist im besten Sinn, der dennoch so robust war, dass er von seinem Orden immer dahin geschickt wurde, wo etwas vom Einsturz bedroht oder neu aufzubauen und zu richten war. 

Unsere Wege trennten sich dann bald. Er sollte damals in Oberfranken die Renovierung der gigantischen Pilgerbasilika Vierzehnheiligen übernehmen, einem Rokokojuwel im "Gottesgarten" des Obermainlandes. Danach habe ich später aus Assisi von ihm gehört, dann aus Irland und jetzt wieder aus seiner Heimat in Oberbayern, von wo er jeweils hin und wieder Grüße und wundervolle Fotos schickte, während wir in der gleichen Zeit zuerst von München nach Jerusalem entsandt wurden und dann vor fast 20 Jahren in Rom hängen blieben, wo ich jetzt seine Gedichte lese, die im Wortsinn Verdichtungen sind. Dazu kommt noch etwas. Pater Claus ist ein Augenmensch und so liest er auch die Bibel: er sieht deren Worte vor sich wie Bilder. Wir hingegen haben uns seit damals nie wiedergesehen. 

Doch jetzt habe ich plötzlich sein Pilgerbuch auf meinem Bildschirm, und sehe, dass er hier Texte und Fotos versammelt, die auch mich in den letzten 25 Jahren so geprägt haben, dass ich in aller Bescheidenheit (die mir normalerweise komplett abgeht) versucht bin zu sagen, dass wir Brüder geworden sind. Es sind Bilder des Lichts, der Wüste, der Wege, der Tore und Türen, von einer Basilika in der Höhe und  der Sperrmauer um Bethlehem bis zum Lächeln Mutter Teresas von Kalkutta und dem Blick des Auferstandenen in die Augen des ungläubigen Thomas, dessen Hand der Herr umfasst, um sie selbst in seine offene Seite zu führen. 

Damals war Pater Claus einer der ersten, der mich in seinem Büro im Sankt Anna-Kloster in die Geheimnisse der Bildbearbeitung einzuführen versuchte, bevor ich auch nur eine erste Digitalkamera in die Hand bekommen hatte und von der Revolution noch keine Ahnung hatte, die mit dieser Technik einher geht. Damals wusste er von Bildern und ihrer Macht schon vieles, das ich heute noch zu lernen versuche. Die Auswahl seiner Bilder wie seine hier versammelten "Gedichte, Gebete und Meditationen " gehen unter die Haut. 

Doch was er ein "Pilgerbuch der Seele" nennt, kommt mir vor allem vor wie ein dichter Dialog mit all jenen Stimmen der Bibel, die wir zusammen das Wort Gottes nennen, auf das Claus Scheifele mit seinem ganzen Leben geantwortet hat, auf einem langen Weg, der hin und her und zurück geht über die dunkle Grenze zwischen Gedicht und Gebet.  Ob wir uns noch einmal auf dieser Erde wiedersehen, weiß ich nicht, doch ich weiß: Es war ein Privileg und Geschenk des Himmels, ihm in diesem Leben begegnet zu sein, wofür ich DEM besonders danke, der uns damals zusammengeführt hat. 

Der Farbband von Pater Claus Scheifele, "Pilgerbuch der Seele", ist im Fe-Medienverlag erschienen und hat 104 Seiten. 

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