Rom reizt. Besonders reizt Rom die Germanen, die ihr Reich von 962 bis 1806 als "Römisches Reich" begriffen haben – und ganz besonders stark reizt Rom wohl deutsche Katholiken. Das ist nicht nur rätselhaft. Denn "römisch–katholisch" benennt die Zugehörigkeit zur lateinischen Kirche Christi, die sich schon seit den sechziger Jahren des ersten Jahrhunderts um die Apostelgräber in Rom und die päpstliche Schlüsselgewalt des Bindens und Lösens entwickelt hat – und um die letzte Entscheidungsgewalt des Pontifex in Streitfragen, die Roms Bischöfe mit ihrem "Petrusamt" für sich beanspruchen. Aber auch das Fresko auf dieser Doppelseite erzählt ein wenig davon, was römisch–katholisch ist. Es stammt aus dem Jahr 1522 und der "Kirche der schmerzenreichen Gottesmutter" (oder "Santa Maria della Pietà") beim "Campo Santo Teutonico" (dem deutschen Gottesacker) am "Platz der Erzmärtyrer Roms" an der Südseite des Petersdoms.

Der Bau dieser deutschen Marien–Kirche auf dem Vatikanhügel wurde im Jahr 1500 über karolingischen Fundamenten begonnen, sechs Jahr vor dem Baubeginn des neuen italienischen Petersdoms nebenan anstelle der alten Konstantinischen Basilika. Das war im Jahr 1506, als auch ein erstes Kontingent der Schweizer Garde in Rom einmarschierte. Papst Julius II. hatte die Elitetruppe als Palastwache von der Schweizer Eidgenossenschaft erbeten, die seit ihrem Sieg über Herzog Karl den Kühnen von Burgund am 22. Juni 1476 als effizienteste Militärmacht Europas galt.

Zwei Jahre später erteilte derselbe Papst Julius dem Malergenie Raffael den Auftrag, seine luxuriösen Amtsräume im Apostolischen Palast opulent auszumalen, die heute als "Stanzen Raffaels" in den Vatikanischen Museen Weltruhm haben. Leo X. hingegen, der Nachfolger von Julius II., vertraute der neuen Garde im Schicksalsjahr 1517 eine Seitenkapelle in der Nachbarkirche von Sankt Peter als Grablege ihrer Hauptleute an. Der Bürgermeister von Zürich höchstpersönlich, Markus Röist, war in dieser Zeit der zweite Kommandant der Garde, der im Jahr 1522 den jungen Polidoro da Caravaggio gewinnen konnte, für diesen Ehrenplatz einen Freskenzyklus zur Passion Christi zu malen.

Weil Markus Röist da aber schon zu alt war für das aktive Waffengeschäft, übte sein Sohn Kaspar den Dienst in dieser Zeit anstelle des Vaters aus, weshalb auch der Sohn für dieses Fresko mit einigen Kameraden in einer Darstellung der Hinrichtung Christi von Polidoro Caravaggio Modell stand für das römische Exekutionskommando unter dem Kreuz. Vor neun Jahren haben wir den Bilderzyklus deshalb schon einmal vorgestellt, um für seine Restauration zu werben (die danach wirklich in Angriff genommen wurde) und für eine Seligsprechung, die noch auf sich warten lässt.

Denn hier sehen wir gewissermaßen das vorvorletzte Bild des traditionellen Kreuzwegs, wo sich die Gardisten in der XIII. Station unter dem Kreuz versammeln, als alle Apostel bis auf Johannes geflohen sind, und nur die drei Frauen: Maria, die Mutter Jesu, Maria aus Magdala und Maria, die Mutter des Cleopas, und diese heidnischen Römer neben Jerusalems Schriftgelehrten Zeugen des größten Opfers Gottes für die Menschen werden. Es ist der dramatischste Moment der Weltgeschichte. Und es ist die allerletzte Darstellung ihres Kommandanten Kaspar Röist in der Mitte unter dem Kreuz.

Die Pest suchte Rom gerade heim, schon wieder einmal. Danach erzählt kein Bild, sondern folgende Geschichte das Leben und den Tod des Kommandanten weiter. Fünf Jahre zuvor hatte die römischkatholische Kirche nördlich der Alpen erste Risse bekommen in einem Streit, den Papst Leo X. zunächst als "Mönchsgezänk" abtun wollte, in der verheerendsten Fehleinschätzung des letzten Jahrtausends. Die Bulle ("Exurge Domine"), in der Martin Luther und seinen Schriften vom Papst der Bann angedroht wurde, verbrannte Doktor Luther am 10. Dezember 1520 mitsamt Siegel vor dem Elstertor in Wittenberg. Buchdruck und Papierherstellung verbanden sich damals gerade zu Neuen Medien, die das Ereignis in Windeseile auf Flugblättern durch Europa verbreiteten. Die Welt geriet in Aufruhr.

Ein Jahr später trat der 37-jährige Augustinermönch auf dem Reichstag zu Worms Karl V. entgegen, dem 21-jährigen flämischen König Spaniens und neugewählten Kaiser des deutschen Römischen Reiches. "Wenn ich nicht mit Zeugnissen der Schrift oder mit offenbaren Vernunftgründen besiegt werde", sagte er ihm, "so bleibe ich von den Schriftstellen besiegt, die ich angeführt habe, und mein Gewissen bleibt gefangen in Gottes Wort. Denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, weil es offenkundig ist, dass sie öfters geirrt und sich selbst widersprochen haben. Widerrufen kann und will ich nichts, weil es weder sicher noch geraten ist, etwas gegen sein Gewissen zu tun. Gott helfe mir, Amen."

Einen Tag später diktierte der unerfahrene Habsburger eine Erklärung, in der er sich auf seine Herkunft aus rechtgläubigem Geschlecht berief und sagte, ein einzelner Mönch könne nicht Recht haben gegen die Fülle der römisch–katholischen Überlieferung und all die Väter und Denker, die daran mitgewirkt haben: "Es ist sicher, dass ein einzelner Bruder in seiner Meinung irrt, wenn diese gegen die der ganzen Christenheit steht, wie sie seit mehr als tausend Jahren und heute gelehrt wird. Denn sonst hätte ja die ganze Christenheit heute und immer geirrt."

Am 8. Mai 1521 verhängte danach der junge Herrscher die Reichsacht gegen den Reformator, dem Georg von Frundsberg noch in Worms respektvoll und wohlwollend sagte: "Mönchlein, Mönchlein, Du geht jetzt einen schweren Gang, dergleichen ich und meine Obristen auch in der allgefährlichsten Schlacht nicht getan haben." Frundsberg war der berühmteste Kommandeur des Kaisers, sein Urteil hatte Gewicht. Tatsächlich aber waren die künftigen Schwierigkeiten in Luthers Leben eher ein Klacks, verglichen mit dem "schweren Gang", der danach auf Deutschland wartete.

Die Spaltung der römisch–katholischen Kirche und des Reiches war seit Worms nicht mehr aufzuhalten. Sechs Jahre später zog derselbe von Frundsberg mit einem kaiserlichen Söldnerheer nicht des Glaubens wegen, sondern in einem Konflikt um die Herrschaft in Oberitalien zwischen Karl V., König Franz I. von Frankreich und Papst Clemens VII. durch Italien, um in Rom vom Papst eine Entscheidung zugunsten des Römischen Reichs der Deutschen zu erzwingen. Sein Heerhaufen bestand aus rund zwanzigtausend deutschen und spanischen Landsknechten, die am 16. März 1527 vor Bologna gegen ihren Kommandeur rebellieren, als er ihnen keinen Sold mehr zahlen konnte.

Frundsberg erleidet in dem Tumult einen Schlaganfall und fällt aus. Charles von Bourbon, sein Nachfolger, bekommt die Truppe nicht mehr in seine Gewalt. Er versucht noch Florenz zu belagern, wo aber die Aussicht einer leichteren Beute den Sturm der Soldateska auf Rom entfesselt, wo nur noch die Schweizer Garde zwischen ihnen und dem Papst und seinen Schätzen steht. Kaiser und Papst mögen in dem Konflikt katholisch sein. Die deutschen Landsknechte des Heeres sind allerdings in ihrer Mehrheit evangelisch – und ebenso die Schweizergarde! Denn ihre Heimatstadt Zürich hat unter Zwingli gerade auch mit Rom gebrochen. So erhält Kommandant Kaspar Röist angesichts der Bedrohung durch das führerlose kaiserliche Heer vom Zürcher Stadtrat per Boten den Befehl, Rom sofort zu verlassen und mit der Garde in die Heimat zurückzukehren. Dies werde er nicht tun, schreibt Röist nach Zürich zurück. Er sei zwar Protestant, habe aber dem Papst einen Treue–Eid geschworen, der jetzt in Lebensgefahr sei. Die Deutschen stünden vor den Toren Roms. Ihn in dieser Lage im Stich zu lassen, wisse er deshalb "mitt eren nit zu verantwurten".

Am 6. Mai fallen dann die Deutschen mit "Luther, Luther"–Geschrei in die Stadt ein, das in den Ohren der Römer so fürchterlich klingt wie zu unserer Zeit die "Allahu–Akbar"–Schreie der Söldner des "Islamischen Staates" in Syrien. Der "Sacco di Roma" hat begonnen, ohne Halten und Pardon. Doch bevor sich die hungernden und demoralisierten Landsknechte ans allgemeine Morden und Sengen und Brennen und Plündern machen, wollen sie sich den Papst greifen und brechen vom Gianicolo–Hügel durch die Porta Cavallegeri in die Viertel ringsum den Vatikan ein.

Am Obelisken vor Sankt Peter aber, der damals noch auf dem Platz der römischen Erzmärtyrer zwischen dem Campo Santo Teutonico und der Großbaustelle des neuen Petersdoms in den Himmel ragt, stehen ihrer Übermacht von 22.000 Mann die insgesamt 147 Schweizer Gardisten mit ihrem Hauptmann mit gefällten Lanzen und Hellebarden entgegen. Alle werden niedergemacht.
Kaspar Röist selbst wird zunächst verwundet und danach seiner Treue zum Papst wegen vor den Augen seiner Frau Elisabeth Klingler von katholischen Spaniern niedergemacht, deren besondere Brutalität legendär ist. Kein Gardist flieht, keiner ergibt sich. Alle sterben den Martertod für ihren Treue–Eid auf dem Platz der römischen Erzmärtyrer.

Papst Clemens VII. aber ist nicht unter ihnen. Er ist auch nicht bei den rund zweihundert Römern, die vor der Furie der Eindringlinge in den Petersdom geflüchtet sind, wo sie vor dem Hochaltar über dem Petrusgrab allesamt niedergemacht werden. Denn während der Heerhaufen der Schweizer Garde zu seinem Schutz den Heldentod stirbt, hat der Hellebardier Herkules Göldli mit 42 restlichen Gardisten den Pontifex Maximus und das unersetzliche Schweißtuch Christi über den Fluchtweg des Passetto vom Apostolischen Palast in die unbezwingbare Engelsburg zu dessen Kommandeur Hernando de Alarcón in Sicherheit gebracht.

Das anschließende Gemetzel und die Verheerung Roms ist eine Orgie von Folterungen, Massenvergewaltigungen in Nonnenklöstern, Plünderungen, Erpressungen von Lösegeldern. Zahllose Reliquien und Kunstschätze werden zerstört, liturgische Geräte geraubt und eingeschmolzen. Blutrausch hat die entfesselten Banden ergriffen. "LUTHER" kratzt ein Landsknecht mit der Spitze seines Schwertes in Raffaels Fresko vom "Triumph des Altarssakraments" in den Papstgemächern, und unter der letzten Trutzburg von Papst Clemens in der Engelsburg grölen die Soldaten "Vivat Lutherus Pontifix!". Es ist ein apokalyptisches Höllengericht, mit dem in Rom die Neuzeit beginnt. Im "Sacco di Roma" haben sich die deutschen "lanzichenecchi" für immer wie ein Brandmal in die Sprache Dantes eingenistet – als fernes Echo dieser Tage.

Verglichen mit dieser Tragödie mutet daher heute vieles wie eine Farce an, was wir zuletzt an Stimmen nördlich der Alpen gehört haben, die sich wieder an Rom und seinem Reiz abarbeiten, wie etwa in dem Appell Muriel Waegers, der Co–Geschäftsleiterin des Dachverbands für lesbische, bisexuelle und queere Frauen in der Schweiz, die Ende März 2021 wieder den Abzug der Garde aus Rom verlangt, wie damals, als der Zürcher Stadtrat Hauptmann Kaspar Röist den Befehl zur Rückkehr in aussichtsloser Lage gab, Anno Domini MDXXVII. Warum? Darum: "Wir wissen," sagt Frau Waeger, "dass einige Mitglieder der Garde homosexuell sind. Wir können nicht dulden, dass diese Soldaten, die in der Schweiz ausgebildet wurden, (im Vatikan) die Diskriminierung des Landes erleiden müssen, in das sie zum Dienst geschickt werden."

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Schließlich unterstütze die Schweiz die päpstliche Truppe auch finanziell, "um einem Land zu dienen, das nicht allen Menschen die gleichen Rechte garantiert und sie offen diskriminiert". Das aber stelle einen Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz der Schweizer Verfassung dar.

Die Mehrzahl der Stimmen und Appelle der deutschen Bischöfe, und die Appelle der über zweihundert Theolog*innen und zahllosen Pfarrer, die sich inzwischen ähnlich kühn gegen Rom stellen, müssen wir hier nicht alle wiederholen. Der Ton und die Musik sind bekannt. Es klingt nach einer Art "Sacco Soft", wobei sich den antipäpstlichen Landsknechten von damals inzwischen auch etliche Landsmägde hinzugesellen für das geplante große deutsche Regenbogenfest der deutschen Katholik*innen im Mai, im Protest gegen die Schlüsselgewalt des Bindens und Lösens der Päpste der römisch–katholischen Kirche – wobei neue Medien heute schon wieder eine ähnliche Rolle spielen wie in der Gutenbergschen Revolution.

Ist ganz Deutschland (Germania omnis) deshalb schon von Papstgegnern besiegt und besetzt? Nein. Natürlich nicht. "Ein von unbeugsamen Germanen bevölkerter Rest hört nicht auf, den Gegnern der Ultramontanen Widerstand zu leisten," wie der Brief unseres Mitbruders aus Wittenberg bezeugt – und der Anlass eines neuen und drängenden Appells an den Heiligen Vater sein könnte, für Kaspar Röist doch bitte und endlich einen Seligsprechungsprozess einleiten zu lassen als himmlischen Ehrenmann und treuen evangelischen Märtyrer für den Schutz der römischen Päpste, in wirklich wahrer Ökumene, und am besten zugleich mit Pastor Dietrich Bonhoeffer! Mögen sie beide zu neuen Patronen der armen Deutschen werden. Denn beide standen und verharrten doch bis zum letzten Atemzug unter dem Kreuz, von dem es in Rom schon seit dem Jahr 312 heißt: "IN HOC SIGNO VINCES".

Zuerst veröffentlicht im Vatican-Magazin 5/2021. 

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