Liebe Brüder und Schwestern! 

Kontaktaufnahmen zu anderen Menschen sind uns derzeit zum Problemfall geworden.

Ansprechen im Wartezimmer des Arztes, die Frage nach dem Weg, Smalltalk an der Haltestelle, selbst nonverbale Kommunikation wie ein kräftiger Händedruck oder ein freundliches bis vielsagendes Lächeln, all dies ist uns durch eine mögliche Ansteckungsgefahr versagt und verschwindet durch selbstdisziplinierte Distanznahme oder hinter Gesichtsvermummungen, die einem Menschen das wichtigste nehmen, was er hat: die Persönlichkeit, die man in der Regel am Mienenspiel des Gesichts festmachen kann.

Wie so Vieles, so ist auch dieser Bereich natürlicher Menschlichkeit der Virus-Aufregung zum Opfer gefallen. 

Aber auch ohne Corona ist die menschliche Kommunikation in ihrer ursprünglichen Form lange beschädigt und der Elektronik zum Opfer gefallen. Das Gespräch an Haltestelle entfällt, weil jeder mit seinem Smartphone beschäftigt ist oder kleine Knöpfe in den Ohren hat, die ihn mit Musik berieseln und gegen die Außenwelt abschotten. Im Wartezimmer hat in der Regel entweder auch die Unterhaltungselektronik das Feld erobert oder es sind Chats über WhatsApp oder SMS, die das Gespräch mit dem sichtbaren Gegenüber ersetzen, und bei der Wegsuche hilft die zuverlässige Computerstimme aus dem Navigationsgerät und macht die Frage an einen zufällig daherlaufenden Passanten überflüssig. Man will die Botschaften, aber man will nicht unbedingt den Botschafter. Selbst das Telefonieren, wie aktuelle Studien belegen, ist unter Jugendlichen in die Krise geraten. Sie sind von einer gewissen Hilflosigkeit befallen, was das das Sprechen anbelangt und fühlen sich sicherer auf der rettenden Insel kleiner Short Messages, die man behände ins Smartphone eintippen kann.

Wenn wir heute vom Gespräch Christi mit Seinen Jüngern hören, dann ist der Fall ähnlich gelagert. Die Apostel erwarten Anweisungen, Botschaften, Tipps, wenn es um die Frage nach dem Ziel und dem Wert des Lebens geht. Sie möchten wissen, wie der Plan lautet, nach dem sie vorgehen sollen. Und deswegen sind sie überfordert mit der Antwort, die Christus gibt. Denn es ist keine neutrale Nachricht, es ist keine Info aus dem himmlischen Internet zur Stillung ihrer Frage nach der Wegrichtung. Es ist keine Bedienungsanleitung für das menschliche Leben und sein Gelingen. Die Antwort ist kein Text, es ist eine Person: Jesus Christus. Und prompt sind die Jünger überfordert. Thomas, der diese Überforderung auf den Punkt bringt, stellt die entscheidende Nachfrage: „Wir wissen nicht wohin Du gehst!“

Denn das, was die Jünger erwartet hatten – eine moralische sonst wie geartete Routenplanung - war ausgeblieben. Christus hatte nur davon gesprochen, dass Er etwas vorbereitet hat, dass Er am Ziel eine Heimat schaffen würde. Aber Er hatte nicht „getwittert“ oder „gesimst!“, wie man dorthin gelangt.

Die Nachfrage bringt es nun an den Tag. Es ist keine Landkarte, keine Info, keine „App“, es ist eine Person, die der Schlüssel ist, um das Ziel zu erreichen: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“! – antwortet der Herr.

Damit ist für die Jünger eines klargestellt, was auch für die Kirche insgesamt und zu allen Zeiten wichtig war und ist: Wenn man wissen will, wo der rechte Weg ist, dann genügt es nicht, eine Auskunft zu suchen, wie diejenige, die aus dem Internet oder aus einem elektronischen Informationskanal kommt und bei der dann alles Mögliche von Richtigem und Falschem die Rede ist.

Wer wissen will, wie es mit dem rechten Weg bestellt ist und dabei an Jesus Christus gerät, muss wissen, dass Er nicht nur der Auskunftgeber ist, sondern der Weg selbst. Und das bedeutet, dass es beim christlichen Glauben nicht in erster Linie darum geht, einen Katalog von Vorschriften zu befolgen, sondern in erster Linie, sich an Jesus Christus persönlich zu halten.

Denn die Antwort, die Er auf die Frage nach dem Weg zum Leben gibt, ist nicht die eines Navigators oder Kommunikators, der unpersönlich und nüchtern den Weg erklärt. Die Antwort Christi ist vielmehr: Glaubt an Gott und glaubt an mich! Das Christentum – so werden wir heute unterrichtet - ist nicht ein Bauplan für eine bessere Welt aus dem YouTube-Kanal eines Jesus von Nazareth. Das Christentum ist noch vor aller Botschaft eine lebendige Beziehung zu einer Person – zur Person Jesu Christi. Wer wissen will, wohin die Reise geht, muss sich daher mit Ihm verbinden, Ihm anvertrauen, mit Ihm leben, mit Ihm eins werden. Dann ist er auf dem Weg. Dann fließt in ihm das Leben, dann lebt er in der Wahrheit.

In den vielen Unsicherheiten unserer Tage, was richtig und falsch, zielführend und abwegig ist, in Zeiten prekärer Verwirrungen, in denen erdrutschartig manches unter den Füßen schwankt, gerade jetzt, wo sich in der Panik um das ungelöste Problem, wie es um das Diesseits bestellt ist, wenn es kein Jenseits gibt, die Frage mehr als je aufdrängt: „Wohin sollen wir gehen?“, darf es als eine grandiose Erleichterung empfunden werden, dass wir einen Gott haben, der sich nicht nur mit einer Auskunft oder gar Ideologie an uns wendet, sondern der selbst unsere Wahrheit und unser Leben sein will.

Diese Erleichterung wird jedoch nur der finden, der Christus nicht wie einen Internetkanal behandelt und Ihn nur dann befragt, wenn es unbedingt sein muss. Die Befreiung von der Unsicherheit, ob es einen Weg gibt und wenn ja, wohin er führt, wird nur derjenige erleben, der sich selbst stets und immer neu mit Christus verbindet.

Und das heißt im Konkreten: der betet, der die Sakramente als wesentliche Stärkung und Korrektur auf dem Weg empfängt und darüber hinaus im Gehorsam gegenüber den Wegweisungen, und das heißt, im Gehorsam den Geboten gegenüber lebt. Weil sich darin nicht nur die Gefolgschaft, sondern vor allem die Liebe zu Christus manifestiert.

Nach dem Weg fragen, bedeutet – christlich gesehen – nichts anderes, als sich dem Weg anzuvertrauen, der Christus ist. Und der nicht bloß unpersönliche Weltanschauungen feilbietet, Nettigkeiten empfiehlt oder Banalitäten ausgibt, sondern der uns als Erlöser mit sich selbst beschenkt und deswegen auch ganz haben will. Wir sollen mit Ihm sein, wenn wir den Weg gehen wollen, der ins Leben führt.

Es wird nötig sein, dies mehr und mehr als Christen in unseren Tagen nach vorne zu bringen. Es genügt nicht, als Christen gegen die Corona-Krise Herzen ins Fenster zu hängen oder die Welt mit Botschaften wie „Bleibt gesund!“ oder „Wir bleiben zuhause!“ zu langweilen. Es braucht Menschen, die den Fragenden, die wie Thomas wissen wollen, wo der Weg ist, sagen: Ich weiß es, denn ich lebe mit, aus und in dem, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist - Jesus Christus. Das Christentum, das will uns das heutige Evangelium in Erinnerung rufen, ist eben nicht der Beipackzettel zum Heil, nicht eine Nachricht zur Verbesserung der Welt, das Christentum ist die Gemeinschaft derer, die ohne Distanz sind zu dem, der uns höchst leibhaft erlöst hat. Und der deswegen nicht nur will, dass wir Ihm zuwinken, sondern uns mit Ihm verbinden, so wie jetzt in dieser Eucharistie, die unser Leben ist.

Amen

Dr. Guido Rodheudt ist Pfarrer von St. Gertrud in Herzogenrath und Gründer des "Netzwerks katholischer Priester". Seit Ausbruch der Coronavirus-Krise überträgt er täglich die Feier der heiligen Messe über das Internet. 

Das könnte Sie auch interessieren: 

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Autoren wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch.