11. April 2020
Das beliebteste Motiv der mittelalterlichen Literatur war die legendäre "Suche nach dem Heiligen Gral". Sie wurde zur Metapher für die ewige Suche des Menschen nach dem Göttlichen. Wir finden das Motiv des Heiligen Grals erstmals in einem epischen Werk des französischen Troubadours Chretien de Troyes (ca. 1150–1190), dem "Perceval".
Es blieb unvollendet, was den Deutschen Wolfram von Eschenbach (ca. 1160–1220) veranlasste, in seinem "Parzival" die ganze Geschichte zu erzählen. Sie handelt von einem jungen Adligen, der auszieht, sich als Ritter zu bewähren. Auf seiner Reise durch das Pyrenäenvorland wird er auf die Burg des siechen Gralskönigs Anfortas geladen, der auf Erlösung harrt und den nur der Empfang der Eucharistie am Leben hält. Parzival erlebt, wie der Gral, ein hell strahlendes Steingefäß, in feierlicher Prozession an ihm vorbei getragen wird, und ist doch noch nicht würdig, sein Geheimnis zu ergründen. Erst Jahre später offenbart ihm ein greiser Einsiedler am Karfreitag, was es mit dem Gral auf sich hat. Nach einer Lebensbeichte gelangt Parzival wieder auf die Gralsburg, zeigt sein Mitleid für den sterbenden König und folgt ihm auf den Thron, während sein muslimischer Halbbruder Feirefeiz die Taufe empfängt. Seitdem zog der Gral ganze Generationen in seinen Bann, die vergeblich nach ihm suchten. Selbst die Nazis, die in ihm ein christianisiertes Heiligtum aus der Heidenzeit sehen wollten, forschten in der Kathererburg Montsegur und dem Kloster von Montserrat, doch ohne Erfolg.
Erst heute wissen wir, dass der "Parzival" ganz andere Vorbilder hatte. Im Gralskönig Anfortas erkennt man König Alfonso I. von Aragon (1104–34), einen der Großen der spanischen Reconquista, der, schwer verletzt, sein Lebensende in dem Felsenkloster von San Juan de la Pena im Pyrenäenvor land verbrachte. Es liegt zu Füßen des "Pico de San Salvador", im mittelalterlichen Okzitanisch Mont Sant Salvatge, was der Gralsburg Munsalvaesche ihren Namen gab. Alfonso hieß in der Landessprache Aragons "Anforts", woraus bei Wolfram "Anfortas" wurde. Sein Kampfgefährte war ein junger französischer Ritter, Rotrou de Val Perche, der historische "Parzival". Und der Gral? Seit 1037 wurde, wie zeitgenössische Urkunden verraten, in San Juan de la Pena ein kostbares Steingefäß als Abendmahlskelch Jesu Christi verehrt. Eben deshalb verbrachte der König jede Fastenzeit in dem Kloster und wollte, gestärkt von der Eucharistie, auch dort im Angesicht der Reliquie sterben. Erst 1399 holte König Martin V. das kostbare Gefäß auf seine Residenz nach Saragossa, nicht ohne die Mönche zuvor reich zu entschädigen. Seit 1416 befindet es sich in Valencia, wo es 1437 den Domherren der dortigen Kathedrale anvertraut wurde. "Gral" oder "Greal" ist ein altspanisches Wort für ein becherförmiges Trinkgefäß, und nichts anderes ist der "Santo Caliz", der "Heilige Kelch". Erst mittelalterliche Goldschmiede gaben dem Trinkbecher aus kostbarem Achat, kombiniert mit einer Onyxschale, ihr heutiges Erscheinungsbild. Archäologen datierten das Steingefäß in das dritte bis erste Jahrhundert vor Christus. Unlängst wies die Kunsthistorikerin Ana Mafé in ihrer Dissertation nach, dass es ein typisch jüdischer Kiddush-Becher war, wie man ihn zur Zeit Jesu für die Pessachfeier verwendete. In römischen Katakomben will sie den Nachweis gefunden haben, dass er von Jerusalem aus zunächst in die Ewige Stadt kam und dort als Kelch Petri und der ersten Päpste diente. Eben das besagt die spanische Tradition: Erst der heilige Laurentius ließ ihn während der Christenverfolgung des Valerian auf das Landgut seiner Eltern bei Huesca in Aragon bringen. Die Formulierung "hunc praeclarum calicem" im römischen Kanon soll noch heute daran erinnern, dass einst Petrus und seine Nachfolger wie Jesus selbst in ihm Wein in das Blut Christi wandelten. Bei gutem Licht erscheint der Gralsbecher noch heute, als bestünde er aus steingewordenen Flammen. "Lapis exillis" nennt ihn Wolfram, was als "lapis ex stellis", "Stein von den Sternen" oder "aus Sternengestein", gedeutet wurde.
Tatsächlich ist der Begriff aber eine falsche Lesart einer Inschrift, die man auf dem Fuß des Kelches entdeckte und die auch der "Parzival" erwähnt. Sieht man in ihren Schriftzeichen kein kufisches Arabisch ("al-labsit as-sillis"), sondern frühes Hebräisch, haben sie eine ganz andere Bedeutung: "Yoshua Yahweh", "Jesus ist Gott", wie Gabriel Songel sie liest. Als "Zeugen für Christi Aufenthalt auf Erden" hatte Papst Johannes Paul II. den Gralskelch bei seinem Besuch in Valencia 1982 bezeichnet, als er mit ihm das Messopfer feierte. Auch Papst Benedikt XVI., der 2006 anlässlich des Weltfamilientreffens die Hafenstadt besuchte, ließ es sich nicht nehmen, mit "der berühmten und verehrten Reliquie des Heiligen Kelches" zu konsekrieren. So führt uns der Gralskelch aus Sternengestein wahrhaft zu den Ursprüngen der Eucharistie, dem Zentrum christlichen Lebens und Ziel alles irdischen Suchens und Strebens. Denn wer von Seinem Fleisch isst und Sein Blut trinkt, dem hat der Herr das Ewige Leben versprochen.
Zuerst veröffentlicht im Vatican-Magazin. Publiziert mit freundlicher Genehmigung.
Das könnte Sie auch interessieren:
"Erst vor vier Jahren wurde diese Tradition, die im Sacco di Roma 1527 an ein Ende kam, durch die Erzbischöfe Georg Gänswein und Edmund Farhat aus dem Libanon in Rom im "Jahr der Barmherzigkeit" wieder aufgenommen", schreibt Paul Badde https://t.co/j0ZrE7ppoC #OmnisTerra
In den Himmel verduftet – Der Heilige Laurentius ist der Humorist unter den Märtyrern https://t.co/5NOLljtAyp von Dirk Weisbrod #Märtyrer