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Wer fälscht hier eigentlich? Über "Was Jesus wirklich gesagt hat" von Franz Alt

"Man könnte das Buch einfach zu den zahlreichen anderen Büchern stellen, die Jesus anders sehen als die christlichen Kirchen. Wenn Franz Alt nur nicht alle paar Seiten im Tone höchster Entrüstung den Evangelisten Fälschung vorwerfen würde".

Dieses Buch erhebt hohe Ansprüche. In ihm möchte Franz Alt "den Versuch machen, an Hand der 100 wichtigsten Worte Jesu" "hinter der bisherigen Drohbotschaft Jesus seine ursprüngliche Frohbotschaft erkennbar werden zu lassen" (S. 12). Dabei stützt sich Alt auf die "Rückübersetzung" der uns im Neuen Testament nur Griechisch überlieferten Worte Jesu ins Aramäische, die Sprache, die Jesus tatsächlich gesprochen hat, durch Günther Schwarz, einem protestantischen Pastor.

Mit einen vernichtenden Ergebnis. Schwarz/Alt: "Das meiste von dem, was die Christenheit glaubt, Jesus hat es nicht gelehrt, und das meiste von dem, was Jesus gelehrt hat, die Christenheit weiß es nicht" (S. 9). Nicht nur habe der griechische Text (des Neuen Testamentes) meist den Sinn dessen verfehlt, was Jesus in Wirklichkeit, auf Aramäisch, gesagt habe. Schwarz/Alt beschuldigen die Evangelisten der Fälschung.

Aber zunächst sei festgehalten. Es steht viel Schönes, Frisches, Wunderbares in Franz Alts Buch: Alts ständiges Insistieren, dass Jesus eine Frohbotschaft und eben keine Drohbotschaft verkündet habe, dass da jemand ist, der sich nach uns sehnt (36), dass allen die Rettung angeboten wird; die Übersetzung des Wortes "pisteuein" ("glauben") im Munde Jesu mit "vertrauen" (155) ; auch die Imperative für ein umweltfreundliches Leben, die Alt aus den Worten Jesu herausliest.

Was stört ist die Penetranz, mit der Alt seine Frohbotschaft vorträgt. Jesus sage "Samen wachsen 'von selbst'. Von Chemie, Pestiziden und Fungiziden hat er nichts gesagt" (71). Ja, ja, in der Tat! Schwarz gehe es "nicht um Dogmen, sondern um die Wahrheit" (76) wow! Jesus "meinte: Vergesst Religionen und Konfessionen" (30). Und natürlich wirft Franz Alt den katholischen Heiligkeiten, Eminenzen, Exzellenzen, Monsignori und Domkapitularen Jesus harsches Verbot, sich Rabbi oder Abba nennen zu lassen (172), um die Ohren. Stimmt ja alles, nur nicht gerade originell. Selbst das bei Spiegel-Online-Foristen regelmäßig bemühte Bild von den "älteren Männern in Frauenkleidern": Franz Alt lässt es nicht aus (107).

Hier ein paar Beispiele der Schwarzschen "Rückübersetzung". Aus Mt. 5: 28: "Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht...." wird "jeder der seine Frau willkürlich verstößt". Aus Lukas 14: 26: "Wenn jemand zu mir kommt und Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben nicht hasst, dann kann er nicht mein Jünger sein," macht Schwarz: "Wenn jemand zu mir kommt und nicht zurückstellt sein eigenes Selbst, ist es unmöglich, dass er mein Jünger sei." Alts Kommentar zum griechischen Lukas: "Was soll dieser menschenfeindliche Unsinn?" (20). Aus dem "Schwertwort" "Ich bin nicht gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen...., sondern das Schwert" (Mt. 10: 34) macht Schwarz "Ich bin nicht gekommen, um Kompromisse zu machen! Sondern ich bin gekommen, um Streitgespräche zu führen".

Franz Alt kommentiert den griechischen Lukastext: "Wie will eine Kirche glaubwürdig sein, die ihren Anhängern solch einen Unsinn nahebringen will?" (74). Auch Jesu hartes Mühlsteinwort (der Kinderschändern nach Mt. 18: 6 um den Hals gehängt wird) wird bei Schwarz aufgeweicht, denn, so Alt: "Kann der liebevolle und barmherzige Jesus so etwas Brutales gesagt haben" (111)? Zu Jesu Aufforderung, "sich selbst zu verleugnen" (Mt. 16: 24) meint Alt: "So einen Unsinn soll Jesus gelehrt haben?" (158). Bei Schwarz wurde daraus, "sich selbst zu erkennen". "Rückübersetzung"? Jesu Abschiedswort (Mt. 28: 18) "mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel wie auf Erden..." sei eine "Fälschung".

Alt zitiert Schwarz: "Jesus hat von Abba alle Vollmacht erhalten, allen Menschen den Weg zum Vater zu zeigen. ...also eine begrenzte Vollmacht. Denn hätte Jesus alle Macht im Himmel und auf der Erde, dann trüge er die Verantwortung für die satanischen Zustände auf der Erde" (33). Markus 16: 16 ("... wer aber nicht glaubt, soll dem Gericht verfallen"; Schwarz' Rückübersetzung: "Jeden, der Gott nicht vertrauen wird, ihn kann er nicht wiederbeleben lassen") kommentiert Alt: "Eine brutalere und fundamentalere Fälschung der Jesus-Gesinnung ist kaum denkbar" (144).

Die Logik der Schwarzschen "Rückübersetzung" scheint keine Sprachlogik zu sein, sondern die Logik, die schon Wilhelm Busch trefflich auf den Punkt gebracht hat: "Und so schließt er messerscharf, nicht sein kann was nicht sein darf." Eine alte Interpretationsregel besagt, dass gerade Worte Jesu, die zunächst ein Ärgernis zu erregen scheinen, stehen gelassen werden sollten. Franz Alt dagegen spült Jesus' manchmal harte Aussagen prinzipiell weich.

Ein Paradebeispiel Schwarzscher "Rückübersetzung" ist sein Versuch zu zeigen, dass "das Papsttum auf einer Fälschung" beruhe (21, 170 ff.). Das geht so: Im NT steht bei Matthäus 16: 19 das Wort Jesu, in dem er Petrus "die Schlüssel des Himmelreiches" übergibt. In der "Rückübersetzung" streicht Schwarz dieses Petruswort und versetzt es in den Verklärungsbericht (Mt. 17: 5) als an Jesus gerichtetes Wort vom Himmel: Nach dem Vers "Dies ist mein geliebter Sohn.... Auf ihr sollt ihr hören" – womit bei Matthäus die göttliche Stimme endet - fügt Schwarz ein: "Denn er ist der Fels. Auf diesen Felsen werde ich meinen Tempel bauen ..." "Fälschung"?

Die Frage ist erlaubt: Wer fälscht hier eigentlich?

Und es kommt dick bei Franz Alt: Jesus "kennt keinen 'dreieinigen' Gott und keinen 'allmächtigen' Vater... " (21 f.). Er ist nicht Gott, sondern ein "mächtiges Geistwesen" so wie "Satan" (96)! Er "lebte, bevor er Mensch wurde, als Geistwesen einzigartig und in unmittelbarer Nähe zu Gott" (92). "Die Kreuzigung hat er überlebt" (21 f.) , hat dann allerdings seinen "materiellen Körper in einen nicht materiellen, verklärten Körper umgewandelt" (178). Denn "wir wissen, dass Jesus nicht davon ausgeht, dass sein Vater gegen seine eigene Schöpfungsordnung verstößt und 'Tote' zum Leben erweckt.... Dass Gott eine Leiche aufrichtet, ist gottwidrig. ..." (181). Wilhelm Busch lässt grüßen.

Worin besteht dann nach Alt unsere Erlösung? Nicht in einer Auferweckung von den Toten. Denn nach Alt "gibt es keinen Tod, ... sondern Verwandlung, Reinkarnation und Erneuerung" (135). "Auferstehung" sei auf Aramäisch "Wiederbelebung", und so wie bei Jesus Wiederbelebung "die Rückkehr des Feinstoffleibs Jesu in seinen grobstofflichen Leib" (89) bedeute, so besteht unsere Erlösung im Übergang "unseres zeitlichen, grobstofflichen Hierseins" in "unser ewiges Sein in der feinstofflichen, geistigen Welt Gottes". Aber, und das ist Alts entscheidender Punkt: Diesen Eintritt in die "geistige Welt Gottes" "müssen wir schon selbst (er)arbeiten" (134). Wir kommen erst hinein, wenn wir "die Einlassbedingungen" (170) erfüllt haben. Alt spricht von "hinüberzureifen in die geistige Welt", durch "lebenslange geistige Lebendigkeit, verbunden mit steter Lernbereitschaft und Entwicklungsfreudigkeit" (170). Alt: "Der Nazarener setzte ... auf die unsterbliche Energie von Menschen" (99).

Also nicht Gnade, durch die auch nach einem total verpfuschten Leben im Tode alles noch gut und heil werden kann, sondern Ergebnis unserer eigenen Arbeit. "Wir (sind) selbst für unser Leben verantwortlich... An unseren Fehlern müssen wir schon selbst arbeiten" (136) "... Wir sind hier, um zu lernen. Entweder wir wollen lernen. Oder wir müssen leiden. Da ist Gott unnachsichtig" (137). Wir müssen "durch bewusstes Handeln tauglich geworden (sein), in Gottes Reich eingelassen zu werden" (89). Und da wir das in einem Leben nicht hinbekommen, müssen wir durch "viele Leben und viele Wiedergeburten" (22) gehen, wobei Alt sich ausschließlich auf zwei Stellen stützt, Joh. 3: 3 und Mt. 18, 3 ("wenn ihr ... nicht wie die Kinder werdet", was bei Schwarz in "wenn ihr nicht wiederholt geboren werdet" "rückübersetzt" wird, 134 s.). Nach Alt besteht also unsere Erlösung durch Jesus Christus nicht darin, dass er uns unsere Sünden verzeiht und zum Vater holt, sondern darin, dass wir über zahlreiche Wiedergeburten die Chance erhalten, uns in die "geistige Welt" hochzuarbeiten. Erlösung ist unsere eigene Leistung. Alt zitiert einen Physikprofessor Hans-Peter Dürr: "Es gibt keine Materie", Materie sei lediglich "geronnener, erstarrter Geist". Die Funktion Jesu besteht einzig darin, uns Anleitungen zu geben, wie wir an uns arbeiten können, und uns Mut zuzusprechen, alle erhielten über Wiedergeburten die Chance, schlussendlich in die Geisteswelt einzugehen.

Hier zwei Beispiele dafür, was das bei Alt bedeutet. Eines der Worte, die Millionen Menschen seit 2000 Jahren tiefen Trost geschenkt haben, sprach Jesus zu einem der mit ihm gekreuzigten Verbrecher: "Heute noch wirst Du mit mir im Paradiese sein" (Luk. 23: 43). Aber nach Alt hätte sich der gute Mann getäuscht, wenn er das wörtlich genommen hätte. Was Jesus wirklich gesagt habe sei (nach Schwarz): "Eines Tages (Hervorhebung FMS) wirst du sein mit mir im Paradies" (81). Kommentar Alt: "Ganz so schnell kommt niemand in den Himmel. Auch die 'Reifeprüfung' braucht wohl ihre Zeit".

Der zweite Text ist das wunderbare Gleichnis vom guten Vater im 15. Kapitel bei Lukas. Sein verlotterter Sohn kommt zurück und bekennt seine Schuld, aber der Vater umarmt ihn einfach und dann beginnt das große Festmahl, bei Jesus das Bild dafür, wie es im Himmel sein wird. Aber nach Alt hat sich der junge Mann zu früh gefreut. Zwar ginge es hier um "Einlass in die Gottesherrchaft", aber wieder "auch erst nach vielen Wiedergeburten" (133).

Man könnte das Buch einfach zu den zahlreichen anderen Büchern stellen, die Jesus anders sehen als die christlichen Kirchen. Wenn Franz Alt nur nicht alle paar Seiten im Tone höchster Entrüstung den Evangelisten Fälschung vorwerfen würde, gespickt mit Adjektiven wie "brutal", "boshaft", "fundamental", "teuflisch", "betrogen und belogen" (144), "Unsinn", "ein fürchterliches Gottesbild" (166), "Schamlosigkeit" (158), "Teufelswerk" (167) u.Ä. Ein wenig Bescheidenheit hätte dem Buch nicht geschadet.
Tatsache ist, dass außer einigen außerhalb des NT überlieferten Worten alles, was Jesus gesagt hat, uns nur in den vier griechisch geschriebenen Evangelien überliefert ist. Wenn Schwarz nun diesen Text ins Aramäische, die Sprache Jesu, "rückübersetzt", und dann Stellen im griechischen NT, wo in der "Rückübersetzung" etwas anderes herauskommt, als Fälschungen bezeichnet, dann beweisen er und Franz Alt einen bemerkenswerten Grad von Chuzpe.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Andererseits, wäre das Christentum 2000 Jahre lang tatsächlich einer Fälschung aufgesessen, dann wäre Jesu Zusage, alle Tage bis ans Ende bei seiner Kirche zu sein (vgl. Mt. 28: 20), nichts als heiße Luft gewesen. Ebenso wie die Überzeugung, der Heilige Geist - den Alt allerdings nicht akzeptiert - würde seine Kirche nicht im Irrtum belassen. Dann wäre das Christentum nichts als ein Missverständnis, und 2000 Jahre lang - genauer, bis Günther Schwarz seine "Rückübersetzung" verfertigt hatte - wäre der wirkliche Jesus vergessen gewesen. Ein solcher Jesus wäre in der Tat nicht auferstanden, sondern eben schon seit 2000 Jahren mausetot.

Franz Magnis-Suseno ist Jesuit und emeritierter Philosophieprofessor in Jakarta.

Das Buch von Franz Alt, "Die 100 wichtigsten Worte Jesu. Wie er sie wirklich gesagt hat", ist im Gütersloher Verlagshaus (2016) erschienen und hat 189 Seiten.

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Hinweis: Buchbesprechungen spiegeln die Meinung des Autors wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch.

 

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