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Warum das Christentum eine gefährliche Sache ist

Die Basilika vom Heiligen Herzen Jesu — Sacre-Coeur — in Paris.

Das Christentum ist offenbar eine gefährliche Sache. Jesus sagt den Seinen im heutigen Evangelium dreimal, sie sollten sich nicht fürchten. Offenbar hatten sie Angst. Vermutlich hatten sie Angst, weil sie von Jesus als Messias sprachen, über Jesus als Sohn Gottes sprachen, sich zu Jesus bekannten, weil sie von seiner Sache sprachen. Er sagt ausdrücklich: Fürchtet euch nicht, wenn ihr euch vor den Menschen zu mir bekennt. Jesus war klar: Sich zu ihm zu bekennen, von seiner Sache zu sprechen, war gefährlich.

Warum war es gefährlich: Weil es offenbar gegen den Strich der öffentlichen Meinung ging. Warum ging es gegen die öffentliche Meinung? Weil ein grundlegender Aufruf Jesu lautete: Kehrt um. Ihr seid auf den falschen Weg, ihr bewegt euch in die verkehrte Richtung.

Dahinter steht offenbar die Überzeugung Jesu, dass die Menschheit in die verkehrte Richtung marschiert, auf dem falschen Weg ist. Und wer darauf aufmerksam macht, macht sich unbeliebt. Er ist wie ein Verkehrspolizist, der alle Autos umdrehen lässt. Und das ist schwierig. Alle langen sich zunächst an den Kopf und fragen sich: Spinnt der Polizist? Sollen wir ihn umlegen?

Und nun langt Jesus dazwischen und sagt ganz einfach: Habt keine Angst, fürchtet euch nicht. Mit anderen Worten: Vertraut auf mich. Vertraut auf mich, denn ich weiß um eure Angst und ich bin auf euerer Seite. Auch wenn sie euch Übles tun, ich bleibe auf eurer Seite. Also Christsein ist gefährlich.

Aber dann kommt noch ein zweiter Satz: Fürchtet den, der Leib und Seele ins Verderben stützen kann. Also: Es gibt den, der Leib und Seele ins Verderben stürzen kann. Also es gibt den Teufel, den Satan. Macht Jesus also Angst vor dem Satan? Will er uns, den Menschen, Angst einjagen? Ist Jesus der Angstmacher. Ist Christentum die Religion, die Angst macht?

Ich meine: Die Antwort lautet so: Das Leben ist eben kein Spaziergang, keine Wellnessunternehmung, sondern eine Herausforderung. Denn wenn man nicht gegensteuert, siegt nur der Egoismus. Nächstenliebe, Respekt und Solidarität muss der Mensch lernen. Er kann es lernen. Kinder können und müssen das Teilen erst lernen. Der Mensch steht ständig vor Entscheidungen. Er kann sich für Gerechtigkeit und Frieden entscheiden oder die Augen zumachen vor dem Elend des Anderen. Er kann sich um den Flüchtling wenigstens schwere Sorgen machen. Oder er kann sich sagen: Die anderen sollen Flüchtlinge aufnehmen. Er kann nur an sich denken oder eben an das Ganze der Gesellschaft.

Und Jesus sagt: Wenn ihr keine Angst habt und euch zu mir und meinem Auftrag bekennt, dann braucht ihr keine Angst zu haben, sogar die Haare auf eurem Haupt sind gezählt.

Ich komme nicht umhin, hier an dieser Stelle in der St. Ludwigskirche in München wieder einmal an Menschen zu erinnern, die keine Angst hatten, weil sie auf Jesus vertrauten. Ich denke an die Geschwister Scholl und ihre Mitstreiter. Hier um die Ecke erinnert der Name des Platzes an sie. Sie haben auf den Herrn vertraut und wir sind stolz auf sie. Aber sie kannten auch Jesus den Herrn. Zu ihrer Zeit kannten junge Studenten noch Jesus den Herrn. Wie steht es heute? Ich glaube unser Kirchenproblem ist heute vor allem: Es gelingt uns Priestern und den Religionslehrern zu schlecht, von Jesus zu sprechen und von Jesus zu überzeugen. Jesus ist in Europa der große bekannte Unbekannte unserer Zeit. Viele reden von ihm, aber wie wenige verlassen sich auf ihn so wie die Geschwister Scholl sich auf ihn verlassen haben. Und eine Dramatik unserer Zeit ist eben, dass wir übersehen oder übersehen wollen, dass Leben Dramatik ist. Wir hätten es gerne als Wellness, und es wird uns überall als Wellness angeboten. Schauen Sie auf die Werbung. Unser menschliches Leben ist aber Auseinandersetzung, Denken, Dramatik, Kampf. Und Jesus weist darauf hin: Habt keine Angst, denn ich bin bei euch bis ans Ende der Welt. Wir verdrängen oft die eigentliche Dramatik und brauchen statt dessen die Fußballdramatik oder den Fernsehkrimi gegen die Langeweile. Am Ende des Evangeliums hat es geheißen: Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater bekennen. Wer mich vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater verleugnen. Haben wir also keine Angst, fürchten wir uns nicht! Wer beim Herrn ist, ist in Sicherheit. Amen.

Pater Eberhard von Gemmingen SJ war von 1982 bis 2009 Redaktionsleiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan. 

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