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Das neugeborene Jesuskind als wahre Lichtquelle in der Nacht

Weihnachten (Gemälde von José Campeche)

Christbaumschmuck in allen Ehren, doch daran denken wir nicht, wenn wir „Licht“ hören, auch an keine Lichterketten, keine Lampe oder an den Vollmond. Ohne Licht wären wir nicht. Der Urknall war Licht. Und davor? War da nichts? Oder Gott allein, ohne Schöpfung? So oder so. Licht unterscheidet das Universum zuallererst vom Nichts. Licht taugt nicht für die Evolution. Es kennt keine Entwicklung. Vielleicht lässt sich das besser mit einer alten Anekdote verdeutlichen. Sie ging etwa so. Laurence Olivier, der begnadete Shakespeare-Schauspieler des letzten Jahrhunderts, sollte in einer Konzerthalle einmal den Schöpfungsbericht der Bibel vortragen, den damals noch so gut wie jedes Kind in Europa kannte: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut, und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht.“ In diesen dritten Satz der Bibel aber schlug Laurence Olivier seine Hörer nun mit einem winzigen Punkt in den Bann, den er in den Text schmuggelte: „Und es wurde.“ Punkt. Pause. „LICHT!“ Der Punkt war ein Atemanhalten. Das Wort danach so gewaltig, als hätte Olivier sich mit dieser einen Silbe selbst an die Schöpferhand geschmiegt. Mit dieser Metapher des Daseins, dem Hellwerden in der ersten Dämmerung des Universums. Es war ein genialer Einfall. Denn Licht fällt ein. Es ist der Einfall Gottes in die Welt.

Am ehesten denken wir deshalb bei Licht natürlich an die Sonne, die es jeden Morgen neu hell werden lässt. Kein Wunder, dass ihr von Ägypten bis Mexiko göttlicher Rang beigemessen wurde, bis hin zur Sonne Algeriens, die Albert Camus noch so hymnisch zu verklären wusste. Scheint die Sonne rings um das Mittelmeer vielleicht heller? Schwer zu sagen. In der bewohnten Welt scheint sie jedenfalls kaum irgendwann gleißender als gerade in diesen blauen Tagen im Winter in Rom, wenn die Sonne einem auch Mittags auf den Plätzen geradewegs in die Augen scheint und die Pflastersteine silbern und weiß aufglänzen lässt. Das ist Licht pur. In den dunkelsten Tagen des Jahres wird es hier am allerhellsten.

Kein Wunder, dass die Römer das Fest des SOL INVICTVS, des „unbesiegten Sonnengottes“, deshalb in diese Tage legten, wenn die Sonne an ihrem Tiefpunkt wieder neu Anlauf nimmt für die nächste Sommerhitze. Klar auch, dass die Christen des Westens diesen Platz im Kalender sogleich für Weihnachten eroberten, sobald sie öffentlich feiern durften. Für den 25. Dezember 336 ist das Fest ihrer Erinnerung an Christi Geburt erstmals in Rom belegt. Nach Jahrhunderten der Verfolgung hatte Kaiser Konstantin ihnen 23 Jahre zuvor die Freiheit geschenkt. Christen verehrten weder Kaiser noch Sonne oder Mond als göttlich, sondern begriffen, wie schon die Juden, alle Himmelskörper nur als Geschöpfe, die Gott selbst („am vierten Schöpfungstag“) für die Menschen geschaffen hatte. Dennoch war ihr Glaube von allem Anfang an eine Religion des Lichts. Johannes, der bis zum Tod Marias bei der Mutter Jesu wohnte, fängt sein Evangelium nicht mit der Geburt Christi, sondern als neuen Schöpfungsbericht an: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott.“ Und das Wort war Fleisch geworden und in ihm „war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.“

Die Evangelien sind voll von diesem Leuchten. „Ihr seid das Licht der Welt!“ sagt Jesus denen, die ihm folgen. „Gott von Gott, Licht vom Licht“, heißt es im ersten gemeinsamen Glaubensbekenntnis der Christen im Jahr 325 über den „Sohn Gottes“, die „Sonne der Gerechtigkeit“. Die Kunst hat es später in zahllosen Krippendarstellungen festgehalten: mit dem Neugeborenen als wahrer Lichtquelle in der Nacht – bis zu Grünewalds Darstellung der Auferstehung in Colmar als Explosion des Lichts in den Kosmos hinein. Doch was soll das heißen, dass „das Leben das Licht der Menschen“ ist? Weder die Nacht noch der Kosmos sind Feinde des Lebens. Das ist nur der Tod, als letzter Gegensatz zum Licht. Deshalb ist die Geburt Christi bedeutsamer für die Geschichte der Menschen als die Geburt jeder Super-Nova. Weihnachten wäre bedeutungslos, hätte Maria in dieser Nacht nicht den geboren, der 33 Jahre später das Dunkel des Todes für immer überwunden hat. In ihm hatte das Licht seinen göttlichen Ursprung offenbart.

Als Dante im Jahr 1320 einen Pilger am Ende der kosmischen Reise seiner „Göttlichen Komödie“ zu der Kraft führte, die „die Sonne und die Sterne bewegt“, blendete sie deshalb im innersten Lichtkreis nicht ein noch gleißenderes Leuchten oder ein noch hellerer Schein. Sondern da wartete in der Mitte des Lichts ein Gesicht auf sie, in dem sie sich selbst erkennen. Das sei „etwas vollkommen Neues“, entfuhr es bei dieser Entdeckung selbst Benedikt XVI. mit fast 80 Jahren noch voller Staunen wie einem Kind: „Gott, das unendliche Licht, besitzt ein menschliches Gesicht.“ In Jesus wurde das Urlicht des Urknalls zum leisen Leuchten auf dem Gesicht des Säuglings. In diesen Zügen verlor der bedrohliche Götterhimmel für immer seinen Schrecken. Nur in diesem angstfreien Raum konnte das Licht der Vernunft schließlich so hoch geschätzt werden und so hell erstrahlen wie nirgendwo sonst, in einer Aufklärung, wie sie keine andere Zivilisation je hervorgebracht hat.

Die Welt des Heilands ist dadurch nicht zu einer heilen Welt geworden. Jeder Christbaum erinnert zwar immer noch an den Strauch, „der brennt und nicht verbrennt“. Die Christenheit insgesamt aber scheint ein hoffnungsloser Fall, mit ihrem Streit, ihrer Zerrissenheit, ihren großen Sünden. Das „Geheimnis des Bösen“ ist in ihr nie erloschen. An vielen Orten gleicht sie einem abgebrannten Haus. Doch innen, unter der Asche, glüht auch immer noch dieses Licht in ihr, oft nur als göttlicher Funken. Und in jeder Generation finden sich Menschen, die aus ihm das Feuer der Liebe neu anfachen, zu nie verlöschendem Licht. Das sind die Heiligen oder Seligen, die Lichter in der Finsternis, wie Mutter Teresa oder Karol Woityla. „Gott, zu dir rufen wir“, rief unter ihnen Dietrich Bonhoeffer in Deutschlands dunkelsten Tagen. „In uns ist es finster, aber bei dir ist Licht.“ – „Geh, leises Licht, in diesem Dämmer vor mir her!“ schrieb hundert Jahre vor ihm John Henry Newman. „Führ Du mich ’raus / aus dieser dunklen Nacht. Ich bin hier fremd. Führ’ mich nachhaus’! / Führ meinen Fuß, und führ ihn Schritt für Schritt. / Das ferne Ziel muss ich nicht sehn. Doch Du, geh mit mir mit!“

Ursprünglich zu Weihnachten 2011 erschienen.

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

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