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Das bayerische Loreto – Ein Kommentar zum Monat der heiligen Engel (Teil 1)

Wallfahrtskirche Sossau

Engel haben Hochkonjunktur. Nicht nur in der Esoterikszene gibt es detaillierte Anleitungen, wie man mit den ausseridischen Lichtgestalten in Kontakt treten kann, um sich Gesundheit, Wohlstand und beruflichen Erfolg zu sichern, sondern auch in jedem Schreibwarenladen kann man Glückwunschkarten mit herzigen Englein kaufen. Engel sind in Mode – aber leider nur in einem verzerrten Bild dieser himmlischen Geister, die entweder als liebliche Kindlein oder magische Gestalten präsentiert werden. Die Heilige Schrift dagegen berichtet uns von hoheitsvollen Wesen, vor denen der sündige Mensch immer erschrickt, wenn sie sich im zeigen – nur Maria, die Sündenlose, fürchtet den Erzengel Gabriel nicht. Sie erschrickt aus Demut über die Anrede "Gnadenvolle". Sonntag für Sonntag bekennen wir die Existenz mächtiger Geistwesen, wenn wir beten, dass wir an den Schöpfer der sichtbaren und unsichtbaren (das sind die Engel) glauben. An diese mächtigen Kreaturen erinnert sich heute jedoch kaum einer mehr, vor allem dann, wenn ihr Handeln in der Welt konkret und greifbar wird.

Unsichtbare Geister, sichtbare Wunder

Dass Häuser durch die Lüfte fliegen, kann ein moderner, aufgeklärter Mensch kaum für wahr halten. Und doch ist das Haus von Nazareth, in dem Maria gelebt hatte, auf wunderbare Weise aus dem Heiligen Land nach Loreto in Oberitialien gebracht worden. "Kluge" Leute haben gemeint, dass Kreuzfahrer aus England – also "Angeln" – das heilige Haus Stein für Stein nach Italien gebracht hätten, und im Laufe der Zeit aus dem Begriff für Angelsachsen "Engel" wurde.  Diese Erklärung greift aber nicht, wenn man weiß, dass der hl. Ludwig, König von Frankreich, eben dieses Haus in Israel besucht und dort in frommer Verehrung Fresken anbringen lassen, die heute – unzerstört – im in jenem Gebäude zu sehen sind, über dem sich die herrliche Basilika von Loreto erhebt. Dieses kleine Haus im Inneren der großen Kirche hat übrigens keine Fundamente und steht trotzdem seit Jahrhunderten. An das Eingreifen der Engel in diese materielle, sichtbare Wirklichkeit mag man nicht glauben – wenn dann bekennt man sich zu inneren, spirituellen, geistlichen und ganz subjektiven Erfahrungen. Das Christentum aber weiß um die Menschwerdung Gottes, der sichtbar in diese Welt getreten ist und bis heute Wunder wirkt.

Das unbekannte bayerische Loreto

Im niederbayerischen Sossau in der Nähe Straubings steht eine vom hl. Acilius erbaute Kirche, von der die Legende sagt, dass Engel sie im Jahr 1177 über die Donau getragen haben, um das dort verehrte Gnadenbild in Sicherheit vor räuberischen Banden zu bringen. Diese hatten Pilger auf der anderen Seite des Flusses – im Ort Antenring – überfallen, ausgeraubt und nicht selten ermordet. Die Geschichte klingt so unglaublich – ja für viele unglaubwürdig! – wie der englische Transport des heiligen Hauses von Loreto, und doch hat auch die Wallfahrtskirche von Sossau kein Fundament und steht doch sicher bis heute an ihrem Platz in der Nähe der Donau.

Wen wundert’s, dass es Wunder gibt?

Bruce Marshall erzählt in seinem Roman "Das Wunder des Malachias" vom Streit eines aufgeklärten protestantischen Pfarrers, der historisch kritisch die Bibel zu lesen weiß, um aus ihr alles Wunderbare (für ihn Wunderliche) zu entfernen, und einem frommen, vielleicht etwas naiven katholischen Priester. Als auf dessen Gebet hin ein Haus von seinem Platz versetzt wird, bekehrt sich jedoch niemand zum Glauben an Gottes mächtiges Handeln in dieser Welt. Selbst durch Wunder wird der menschliche Verstand nicht gezwungen, an eine andere, unsichtbare Welt zu glauben. Die Rede von Engeln, die Häuser und Kirchen versetzen, klingt zu märchenhaft für den modernen Menschen. Aber nicht nur diese Geistwesen, sondern Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, ist für die meisten Zeitgenossen nichts anderes als eine mythische Gestalt, ein Superhero, ein inspirierendes Beispiel. Und sicherlich fragen sich viele, warum all diese Wunder vor Jahrhunderten geschehen sind und nicht heute. Also doch alles Legende einer leicht gläubigen Generation? – Wunder gibt es auch heute: in Lourdes gibt es unerklärliche Heilungen, P. Pio und Teresa von Konnersreuth, die nur von der Eucharistie lebte, sind Gestalten unserer Zeit. Freilich bleibt der Mensch frei – ja er muss es in Gottes Plan sein – zur Herausforderung des Glaubens ja oder nein zu sagen. Glaube und Liebe sind keine machbaren Reaktionen – selbst nicht wenn Gebäude durch Gottes Macht in den Wolken schweben.

Das tägliche Wunder, vor dem die Engel staunen

Vielleicht ist die Übertragung der Kirche von Sossau tatsächlich nur eine fromme Legende. Beweise, die jeden überzeugen, gibt es nicht. Die Möglichkeit aber, dass dieser Bericht wahr sein könnte, sollte man als gläubiger Christ nicht a priori ausschließen. Ein fliegendes Haus, das von Engeln getragen wird, ist für den Verstand eines Katholiken eine geringere Herausforderung als das Tag für Tag in jeder Kirche stattfindende Wunder der hl. Messe. Brot und Wein werden zum Leib und Blut Jesu – ganz wirklich und überhaupt nicht symbolisch. Wer daran glauben kann, der wird zwar kritisch bleiben, wenn er von Gebäuden hört, die über Nacht den Standort gewechselt haben, aber doch bekennen, dass bei Gott kein Ding unmöglich ist (vgl. Lk 1, 37).

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