09 Juni, 2024 / 8:00 AM
Die rot-grün-gelbe Bundesregierung beschließt derzeit einige Gesetze (bzw. bereitet sie vor), die mit der christlichen Weltanschauung – teils heftig – kollidieren. Im Brennpunkt steht der Lebensschutz, aber auch der Schutz der freien Meinungsäußerung.
Jahrzehntelang war das Verhältnis zwischen der Bundesregierung und den christlichen Kirchen ungetrübt und von Kooperation sowie gegenseitigem Respekt gekennzeichnet. Mit der gegenwärtigen Bundesregierungen gibt es größere Differenzen. Das betrifft insbesondere aktuelle Gesetzesbeschlüsse und -vorhaben.
Abtreibung
In den vergangenen 50 Jahren sind in Deutschland 6,5 Millionen Kinder im Mutterleib getötet worden, so die offizielle Statistik. Die Dunkelziffer ist unbekannt. Das Bundesverfassungsgericht hat den Bundestag verpflichtet, zu überprüfen, ob die vorhandene Regelung dem Lebensschutz gerecht wird (BVerfGE 88, 203). Dies ist nie erfolgt. Im aktuellen Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP vielmehr darauf geeinigt, eine Kommission einzurichten, die prüfen sollte, ob „Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches“ möglich sind. Die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin hat ihren Bericht zur Neuregelung von Schwangerschaftsabbruch und Leihmutterschaft am 15. April vorgelegt.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) hatte bereits vorher mit ihrer Forderung, das Verbot vorgeburtlicher Kindstötungen aus dem Strafgesetzbuch (§ 218) zu streichen, für Schlagzeilen gesorgt. Die Vorschläge der Kommission gehen in diese Richtung.
Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings schon mehrfach in Sachen Lebensschutz geurteilt und dabei Hürden aufgestellt. Die Bundesregierung ignoriert dies offenbar. Bereits frühzeitig (BVerfGE 39, 1) stellte das höchste Gericht fest: 1. Das sich im Mutterleib entwickelnde Leben steht als selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung. Die Schutzpflicht des Staates […] gebietet, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen. 2. Die Verpflichtung des Staates, das sich entwickelnde Leben in Schutz zu nehmen, besteht auch gegenüber der Mutter. 3. Der Lebensschutz der Leibesfrucht genießt grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren. 4. Eine Fortsetzung der Schwangerschaft ist unzumutbar, wenn der Abbruch erforderlich ist, um von der Schwangeren eine Gefahr für ihr Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes abzuwenden. Darüber hinaus steht es dem Gesetzgeber frei, andere außergewöhnliche Belastungen für die Schwangere, die ähnlich schwer wiegen, als unzumutbar zu werten und in diesen Fällen den Schwangerschaftsabbruch straffrei zu lassen.
Die Empfehlungen der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission können deshalb nur umgesetzt werden, wenn das Bundesverfassungsgericht seine bisherige Rechtsprechung zurücknimmt. Es würde sich in einem Ausmaß unglaubwürdig machen, der historisch einmalig wäre. Welches Urteil würde noch Rechtssicherheit bieten können, wenn das Gericht hier einknicken würde? Deshalb sind nur kleinere Korrekturen zu erwarten – wenn überhaupt –, die keine wesentliche Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung beinhalten. In zentralen Fragen besteht ein unauflösbarer Gegensatz, zum Beispiel, wenn die Kommission von einem „Recht auf Schwangerschaftsabbruch“ spricht. Oder es im Bericht der Kommission heißt: „Ob dem Embryo/Fetus der Schutz der Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) zugutekommt, ist fraglich.“ Nein, das Bundesverfassungsgericht hat das Gegenteil festgestellt! Auch 1993 hatte das Urteil von 1975 bestätigt und bekräftigt (BVerfGE 88, 203): „Dieses Lebensrecht (des Kindes) wird nicht erst durch die Annahme seitens der Mutter begründet.“
Die Aussage, „dass die Menschenwürdegarantie durch einen Schwangerschaftsabbruch im Regelfall nicht verletzt wäre“, ruft bei jedem logisch denkenden Menschen – nicht nur bei Juristen – Verwunderung hervor. Wie kann die Menschenwürde stärker verletzt werden als durch eine gewaltsame Beendigung des Lebens? Wie kann man die Rechtsprechung intensiver ignorieren? Der Kommission gelingt keine nachvollziehbare Argumentation.
Die Kommission schlägt etwa vor, dass Schwangerschaftsabbrüche in der Frühphase der Schwangerschaft rechtmäßig sein sollten. Eine solche Regelung verstößt aber gegen zwei zentrale Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat: 1. Die Menschenwürde der befruchteten und eingenisteten Eizelle gilt von Anfang an. 2. Eine pauschale Freigabe für einen (befristeten) Zeitraum ist mit der dem Gesetzgeber auferlegten Lebensschutzpflicht unvereinbar. Denn es müssen Gründe vorliegen, die vor der Wertordnung des Grundgesetzes Bestand haben.
Der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) hat deshalb den Bericht der Kommission der Bundesregierung „in großer Sorge wahrgenommen“. Die katholischen Bischöfe halten es für „unverzichtbar“, „die Würde des noch nicht geborenen, aber bereits gezeugten und sich als Mensch entwickelnden Kindes im Mutterleib im Blick zu behalten“. Die vom Gesetz vorgesehene verpflichtende Beratung vor einer Abtreibung sei Teil der gesellschaftlichen Verantwortung. Damit widersprechen sie dem Vorschlag der Kommission, auf die Beratungspflicht zu verzichten.
Bereits die von der Ampelregierung gewählte Bezeichnung als „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ stellt ein politisches Framing dar. Die Absicht, durch den Titel die Blickrichtung zu verschieben, ist durchschaubar und unseriös. Mediziner haben eine andere Blickrichtung: In ihrem Gelöbnis (Genfer Gelöbnis, „hippokratischer Eid“) gibt es für Ärzte keine Abstufung im „höchsten Respekt vor menschlichem Leben“.
In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine (FAZ) stellen der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhard, der katholische Moraltheologe Jochen Sautermeister von der Universität Bonn sowie der Bonner Rechtswissenschaftler Gregor Thüsing kritisch fest: „Die Kommission erkennt in ihren Abwägungen an, dass die geltende Beratungsregelung für die betroffenen Frauen nicht nur eine Pflicht bedeutet, sondern insbesondere für Frauen, die aus Kontexten von Gewalt oder erheblichem Druck kommen, den Zugang zu Hilfe sichert, die ihnen sonst möglicherweise verschlossen bliebe. Dass die Kommission die Beratungspflicht in ihren Empfehlungen gleichwohl zur Disposition stellt, ist sinnwidrig.“
Auf der Grundlage des unantastbaren Wertes des menschlichen Lebens hat sich das kirchliche Lehramt stets gegen Abtreibung ausgesprochen. Es geht von der Überzeugung aus, dass ein menschliches Wesen immer etwas Heiliges und Unantastbares ist, in jeder Situation und jeder Phase seiner Entwicklung: „Unter allen Verbrechen, die der Mensch gegen das Leben begehen kann, weist die Vornahme der Abtreibung Merkmale auf, die sie besonders schwerwiegend und verwerflich machen. […] Sie ist nie ein Mittel, um andere Schwierigkeiten zu lösen“ (Dignitas infinita 47).
Leihmutterschaft
Im zweiten Teil befasst sich der Bericht der von der Bundesregierung beauftragten Kommission mit der Frage nach einer rechtlichen Regelung, die auch in Deutschland die Eizellspende und die Leihmutterschaft ermöglichen würde. Bisher sind beide Methoden gesetzlich verboten.
Die Regierungskommission stellt mehrere Möglichkeiten vor, Eizellspenden und Leihmutterschaft für zulässig zu erklären. Dem widersprechen die katholischen Bischöfe. Solchen Möglichkeiten für Paare oder Einzelpersonen, die auf anderem Weg keine Kinder bekommen können, stehen ihrer Ansicht nach zahlreiche Fragen und Bedenken gegenüber. So weisen sie auf die Benachteiligung von Frauen hin, die ihren Körper bzw. ihre Eizellen für solche Verfahren zur Verfügung stellen. Die Bischöfe warnen vor einer allgemeinen Kommerzialisierung menschlicher Fortpflanzung und raten dringend, keine Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen vorzunehmen.
(Die Geschichte geht unten weiter)
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Noch deutlicher hat sich der Vatikan in der Erklärung Dignitas infinita über die Würde des Menschen zu den Gefahren der Leihmutterschaft geäußert und darauf hingewiesen, dass das „unermesslich wertvolle Kind zu einem bloßen Objekt wird“. Leihmutterschaft sei verwerflich, „da sie die Würde der Frau und des Kindes schwer verletzt. Sie basiert auf der Ausnutzung der materiellen Notlage der Mutter. Ein Kind ist immer ein Geschenk und niemals ein Vertragsgegenstand.“
Warum drohen Gefahren für die Meinungsfreiheit zu christlichen Überzeugungen? Darüber mehr in der nächsten und letzten Folge dieser Reihe über Kirche und Staat. Die bisher erschienenen Folgen finden Sie HIER.
Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.
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