04 August, 2025 / 7:00 AM
Papst Leo hat vor wenigen Tagen angekündigt, den englischen Kardinal John Henry Newman zum Kirchenlehrer zu erheben. CNA Deutsch sprach mit Pater Hermann Geißler FSO über diese Ankündigung. Er ist der Autor des im Jahr 2023 erschienenen Buches „John Henry Newman – Ein neuer Kirchenlehrer?“ und Direktor des Internationalen Zentrums der Newman-Freunde in Rom.
Pater Geißler, was bedeutet es, wenn ein Heiliger zum Kirchenlehrer erhoben wird?
Kirchenlehrer sind Heilige, deren Leben und Lehre für die ganze Kirche eine eminent große Bedeutung haben. Sie sind wie Leuchten, an denen sich die Gläubigen, auch die katholischen Theologen, orientieren können. Ganz in der geoffenbarten Wahrheit verankert, tragen sie zur gesunden Entwicklung der Kirche und ihrer Lehre bei. Zu den Kirchenlehrern gehören herausragende Gestalten wie etwa Augustinus, Thomas von Aquin, Bonaventura, Theresa von Avila, Katharina von Siena oder Theresia von Lisieux. Newman wird der 38. Kirchenlehrer sein.
Kardinal Newman lebte im 19. Jahrhundert und war anglikanischer Priester, bevor er zum katholischen Glauben konvertierte und 1847 zum Priester geweiht wurde. Können Sie diesen Weg in groben Zügen nachzeichnen?
John Henry Newman wurde 1801 in London geboren. Nach seiner ersten Bekehrung (1816), die den jungen Gentleman zu einem gläubigen Jugendlichen wandelte, studierte er Theologie in Oxford und wurde anglikanischer Geistlicher. Als Professor in Oxford, begnadeter Prediger und hervorragender Erzieher erlangte er rasch ein hohes Ansehen. Zusammen mit einigen Gleichgesinnten bemühte er sich ab 1833, durch die „Oxford-Bewegung“ die anglikanische Staatskirche im Geist der Kirchenväter zu erneuern. Er wollte der Wahrheit dienen und sich vom milden Licht der Vorsehung leiten lassen.
Nach langem Suchen und Ringen wurde er 1845 in Littlemore von P. Domenico Barberi CP in die katholische Kirche aufgenommen, im damaligen England eine winzig kleine und in der Öffentlichkeit verachtete Gruppe. Nach seiner Priesterweihe in Rom gründete er das erste Oratorium in Birmingham. Er wirkte in der Pfarrseelsorge, gründete eine Schule und eine katholische Universität und verfasste zahlreiche Schriften zu aktuellen Fragen. Er setzte sich für die Förderung der Laien ein und begleitete unzählige Menschen auf ihrem Glaubensweg.
Oft wurde er nicht verstanden, ja zeitweise sogar der Häresie verdächtigt, weil er über neue Fragen nachdachte und seiner Zeit weit voraus war. Als Leo XIII. ihn 1879 zum Kardinal erhob, wurde er endgültig rehabilitiert. Der geniale Theologe und Schriftsteller wurde 1890 in Birmingham von Gott heimgerufen.
Wieso hat Papst Leo nun angekündigt, Kardinal Newman zum Kirchenlehrer zu erheben? Was macht ihn zum Kirchenlehrer?
Newman zählt zu den bekanntesten christlichen Denkern der Neuzeit. Er ist, wie Paul VI. schon 1975 formulierte, „ein immer hellerer Leuchtstern für alle, die eine klare Orientierung und eine sichere Führung in den Ungewissheiten der modernen Welt suchen“. Seine Werke bereichern die Theologie, sein Lebensweg berührt die Gewissen, seine Person hat anziehende Kraft auf viele Menschen.
Newmans ausgewogene Lehre zu grundlegenden Fragen des kirchlichen Lebens ist von großer Aktualität. Dazu gehören etwa seine Ausführungen über die Entwicklung der Glaubenslehre und die Kriterien zur Unterscheidung zwischen wahren und falschen Entwicklungen; über die Notwendigkeit des Zusammenwirkens von Bischöfen, Theologen und Laien in der Weitergabe des Glaubens; über die Einheit und Einzigkeit der Kirche Jesu Christi; über die Bedeutung des Gewissens, das er als Anwalt der Wahrheit in unserem Herzen verstand, und die Bedeutung der Kirche für die Gewissensbildung; über die Beziehung zwischen Glaube und Vernunft, die Bedeutung der Kirchenväter, die ganzheitliche universitäre Ausbildung.
Es stimmt, was Kardinal Joseph Ratzinger schon 1990 gesagt hat: „Newman gehört zu den großen Lehrern der Kirche, weil er zugleich unser Herz berührt und unser Denken erleuchtet.“
Die englische Werkausgabe, die weitgehend im Internet verfügbar ist, umfasst auch die Schriften Newmans aus der anglikanischen Zeit. Wie sind diese Schriften aus katholischer Sicht zu bewerten?
Als Katholik hat Newman selbst fast alle seine Schriften aus der anglikanischen Zeit mit wenigen Änderungen neu aufgelegt. Seine anglikanischen Predigten sind tief in der Schrift verwurzelt und führen die Hörer in die Geheimnisse des christlichen Glaubens ein. Seine Vorlesungen über die Rechtfertigung sind von den Kirchenvätern inspiriert und mit dem katholischen Glauben konform. Seine Studie über die Entwicklung der Glaubenslehre hat ihm geholfen, die Schwierigkeiten in Bezug auf die katholische Lehre auszuräumen, und hat so den Weg zur Konversion geebnet. Nur seine Schriften über die Kirche, vor allem über den Papst, den er lange Zeit als Antichristen betrachtete, musste er revidieren.
Neben theologischen Werken schrieb Kardinal Newman auch Romane. Was hat es damit auf sich?
In dem Roman „Verlust und Gewinn“, den er in Rom während seines Express-Noviziats 1847 in Vorbereitung auf die Gründung des Oratoriums in England verfasste, versuchte Newman, seine eigene Geschichte innerlich aufzuarbeiten. Durch seine Konversion hatte er fast alles verloren: seine Arbeit, seinen guten Ruf, seine Freunde. Zugleich aber fand er die wahre Kirche, „die eine Herde des Erlösers“, wie er am Tag seiner Aufnahme in die katholische Kirche schrieb.
In einem zweiten Roman mit dem Titel „Callista“ (1855) beschäftigte er sich mit dem Thema der Christenverfolgung in der jungen Kirche. Hauptfigur ist eine junge Frau namens Callista, die im 3. Jahrhundert lebt, nach langer Suche zum Glauben findet, Christin wird und schließlich wegen ihrer Weigerung, den Göttern zu opfern, als Märtyrin stirbt.
(Die Geschichte geht unten weiter)
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In England gab es nach Newman viele Bekehrungen zur katholischen Kirche. Hat er vielleicht eine besondere Bedeutung auch heute für die Ökumene?
Zweifellos ist Newman ein ökumenischer Heiliger. Die Einheit der Christen war ihm ein großes Anliegen. Seine Theologie ist ganz in der Schrift und in den Kirchenvätern verankert und kann deshalb Brücken zwischen den Konfessionen bauen. Als Katholik blieb er dankbar für den Glauben, der ihm in der anglikanischen Gemeinschaft geschenkt worden war, aber nach seiner Konversion bereichert wurde.
Seine Aufrichtigkeit in der Suche nach der Wahrheit, seine Verwurzelung im Gebet und seine Fähigkeit zum Dialog mit anderen machen ihn zu einem Heiligen mit eminent ökumenischer Bedeutung.
Wenn jemand, inspiriert von den Neuigkeiten über die Erhebung Newmans zum Kirchenlehrer, nun selbst etwas von ihm lesen will, wo sollte er beginnen? Gibt es überhaupt Werke, die leichter zugänglich sind?
Wunderschön und einfach sind die Gebete und Betrachtungen, die Newman uns geschenkt hat. Auch viele seiner Predigten sind leicht verständlich und bereichernd, ebenso die schon erwähnten Romane.
Ich würde aber jeder interessierten Person raten, zuerst eine gute Biografie über Newman zu lesen, etwa jene von Günter Biemer oder von Stephen Dessain. Dann kann man sich auch an seine größeren Werke heranwagen, etwa die Apologia pro vita sua.
Zuletzt noch eine persönliche Frage: Wie sind Sie der Person und dem Werk von Kardinal Newman begegnet?
Als ich 1988 in die geistliche Familie „Das Werk“ eintrat, wurde ich in den Sommermonaten in das Zentrum der Schwestern nach Littlemore gesandt – an den Ort, wo Newman in die katholische Kirche aufgenommen worden war. An dieser Gnadenstätte habe ich den großen englischen Gottsucher kennen und lieben gelernt und mich entschieden, eine Dissertation über das Gewissen bei Newman zu schreiben. Seither ist er mir ein ständiger Wegbegleiter.
Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.
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