Freitag, Dezember 05, 2025 Spenden
Ein Dienst von EWTN News

Menschenwürdige Arbeit ist weit mehr als ein Mittel zum Überleben: Vatikanvertreter bei UN

Christian Peschken (EWTN) im Gespräch mit Erzbischof Ettore Balestrero, dem Ständigen Vertreter des Heiligen Stuhls bei der UN in Genf

Menschenwürdige Arbeit ist weit mehr als ein Mittel zum Überleben – sie ist Ausdruck der Würde und Teilhabe des Menschen. Christian Peschken (EWTN) im Gespräch mit Erzbischof Ettore Balestrero, dem Ständigen Vertreter des Heiligen Stuhls bei der UN in Genf.

Eure Exzellenz, Papst Leo XIV. nennt Arbeit, Bildung, Wohnen und Gesundheit die Grundlagen echter Sicherheit. Doch Hand aufs Herz: Tut die UN, die Völkergemeinschaft, wirklich genug, um dieses grundlegende Recht weltweit durchzusetzen oder zu verteidigen?

Anständige Arbeit ist gewiss eine Frage des Überlebens, doch sie ist weit mehr: Sie ist Ausdruck der Würde des Menschen und gehört zum innersten Kern seines Gedeihens. Wo menschenwürdige Arbeit fehlt, dort sinken Personen in Armut hinab und vermögen oftmals nicht einmal das tägliche Brot zu sichern. Der Mangel an würdiger Arbeit mindert zugleich die moralische Gestalt des Menschen, raubt ihm die Möglichkeit, seine gottgegebene Berufung in Fülle zu entfalten.

Durch die Arbeit vermag der Mensch für sich und seine Familie zu sorgen, einen tieferen Sinn im Leben zu entdecken und in die Gemeinschaft einzutreten, die ihn trägt. Ja, Arbeit antwortet auf das tiefste Sehnen des Herzens – auf den Durst nach Gott selbst. In ihr wird der Mensch Teilhaber am schöpferischen Wirken des Schöpfers.

Darum ist menschenwürdige Arbeit eine wahrhaft mächtige Kraft der Erneuerung von Gesellschaften. Die Völkergemeinschaft hat dies erkannt: So bekennt sich die Agenda 2030 in ihrem Ziel 8 ausdrücklich zu dauerhaftem, inklusivem und nachhaltigem Wachstum sowie zu voller, produktiver Beschäftigung und anständiger Arbeit für alle. Schon vor mehr als 25 Jahren hat die Internationale Arbeitsorganisation ihre „Agenda für menschenwürdige Arbeit“ begründet – aus dem Bewusstsein heraus, dass Arbeit ein unersetzliches Mittel zur Überwindung der Armut und zur Förderung des Lebens in seiner Fülle ist.

Millionen Menschen – besonders im globalen Süden – arbeiten unter ausbeuterischen Bedingungen, ohne Rechte und ohne Schutz. Was ist die Botschaft der Kirche für Regierungen und Unternehmen, die Profit über Menschenwürde stellen?

Die Botschaft ist, so würde ich sagen, eindeutig und unmissverständlich: Wandelt euer Herz und stellt die menschliche Person unerschütterlich in die Mitte allen wirtschaftlichen Handelns. Ein wahrhaft erneuertes Wirtschaftsmodell – eines, das wir anerkennen und berücksichtigen müssen – verwirft den Gewinn nicht schlechthin. Es bekräftigt jedoch mit Nachdruck ein grundlegendes Prinzip: Die Würde der menschlichen Person darf niemals auf dem Altar des Profits geopfert werden.

In diesem Zusammenhang tragen die Regierungen die Verantwortung, Gesetze zu erlassen und durchzusetzen, die die Rechte der Arbeiter schützen, und dabei mutig der Versuchung zu widerstehen, Investitionen durch den Abbau wesentlicher Arbeitsstandards anzuziehen. Ebenso sind Unternehmen berufen, ethische Geschäftspraktiken zu pflegen, die ihre soziale Verantwortung ernsthaft respektieren. Sie müssen sicherstellen, dass diese Prinzipien über ihre komplexen globalen Lieferketten hinweg verlässlich verwirklicht werden – und so eine Kultur der Gerechtigkeit und der menschlichen Würde in jedem Bereich ihres Handelns fördern.

Der Heilige Stuhl betont seit Langem Solidarität und Gerechtigkeit. Doch die Realität sieht oft anders aus: Ein globales Wirtschaftsmodell, das von Profit und Gier getrieben ist, lässt Millionen Menschen zurück. Versuchen internationale Institutionen wie die Vereinten Nationen tatsächlich, diese Strukturen zu verändern – weg von kurzfristiger Gewinnmaximierung, hin zu echter Verantwortung für die Armen und Ausgeschlossenen? Oder bleibt es am Ende doch nur bei großen Worten und schönen Erklärungen?

Die Vereinten Nationen und ihre verschiedenen Organisationen haben, so glaube ich, den Versuch unternommen, ein neues wirtschaftliches Paradigma zu begründen. Sie betonen etwa, dass Entwicklung nicht einfach mit wirtschaftlichem Wachstum gleichzusetzen ist. Vielmehr gilt es, die Art dieses Wachstums zu prüfen – wie es zustande kommt und wie es die Schwächsten unter uns betrifft. Doch die harte Realität zeigt: Das gegenwärtige globale Finanzsystem vermag den Bedürftigen nicht ausreichend zu helfen. Es verfehlt das Gemeinwohl und – wie wir oft sagen – lässt die Verwundbarsten zurück. Die Ergebnisse der aktuellen Entwicklungsmodelle vertiefen den Graben der Ungleichheit, anstatt ihn zu schließen.

Betrachten wir die Dimension der Verschuldung im Jahr 2025, so stehen viele arme Länder vor einem bitteren Dilemma: Sollen sie erdrückende Schulden tilgen oder in die Entwicklung ihrer Menschen investieren? Sollen sie Gläubiger bezahlen oder Schulen und Gesundheitsversorgung sichern? Tragischerweise sind es fast immer die Ärmsten, die die größte Last tragen, durch schmerzhafte Einschnitte bei Gesundheit, Bildung, Infrastruktur und sozialem Schutz.

Darum ruft das Heilige Jahr 2025 zur Entschuldung auf – nicht als Akt der bloßen Wohltätigkeit, sondern als grundlegende Frage der Gerechtigkeit. Leider bleibt die ehrgeizige Rhetorik, die wir hören, allzu oft ohne ebenso ehrgeizige Taten.

Weltweit sind Systeme der sozialen Absicherung für Milliarden der verletzlichsten Menschen unzugänglich. Sie fallen durch jedes Netz – ohne Schutz, ohne Perspektive. Welche konkreten Schritte sind notwendig, damit soziale Sicherheit endlich nicht mehr als Almosen betrachtet wird, sondern als grundlegendes Recht, als Ausdruck menschlicher Würde? Und wer trägt hier die Verantwortung – Regierungen, die oft wegblicken, oder internationale Organisationen, die zu langsam handeln?

Die Statistiken sind ernüchternd. Über vier Milliarden Menschen – erschütternde 50 Prozent der Weltbevölkerung –, die in Entwicklungsländern und in den verwundbarsten Gemeinschaften leben, haben keinerlei Form von sozialem Schutz. Dieses Fehlen ist nicht bloß ein wirtschaftliches Problem; es ist eine Verletzung der menschlichen Würde. Es erzeugt Zorn, schürt Spannungen und schafft fruchtbaren Boden für mögliche Konflikte und Spaltungen. Allzu viele politische Entscheidungsträger und Unternehmen betrachten Systeme der sozialen Sicherheit weiterhin lediglich als Kostenfaktor oder Last, statt sie als grundlegende Menschenrechte anzuerkennen.

Zugleich müssen wir einräumen, dass manche Industrieländer mit untragbar teuren Systemen ringen, die das Risiko bergen, kommende Generationen zu belasten. Systeme der sozialen Sicherung – einschließlich Einkommensunterstützung, Renten, Krankenversicherung und selbst Arbeitslosenleistungen – müssen grundlegend neu gestaltet werden. Sie dürfen nicht als optionale Hilfe für Bedürftige betrachtet werden, sondern als integraler Bestandteil eines umfassenden, langfristigen Gesellschaftsvertrages, der Gerechtigkeit und Gleichheit für gegenwärtige wie auch für zukünftige Generationen gewährleistet.

(Die Geschichte geht unten weiter)

Erhalten Sie Top-Nachrichten von CNA Deutsch direkt via WhatsApp und Telegram.

Schluss mit der Suche nach katholischen Nachrichten – Hier kommen sie zu Ihnen.

WhatsApp Telegram

Auf lokaler Ebene treten oft kirchliche Organisationen in die Bresche und erbringen wirksame soziale Schutzleistungen dort, wo Regierungen versagen. Diese Organisationen sollten offiziell anerkannt und gestärkt werden – als unverzichtbare Partner sowohl bei der Gestaltung als auch bei der Bereitstellung solcher entscheidender, das Gemeinwesen bewahrender Sicherungsnetze.

Exzellenz, die Kirche warnt, dass Armut nicht nur materiell ist, sondern tief in Strukturen verankert bleibt – Strukturen, die Ungleichheit und Ausbeutung gerade im Arbeitsmarkt zementieren. Welche Verantwortung haben Katholiken, insbesondere Unternehmerinnen und Unternehmer, diese Systeme nicht einfach hinzunehmen, sondern aktiv zu hinterfragen und zu verändern? Bedeutet katholisch sein in der Wirtschaft nicht auch, klare Konsequenzen zu ziehen – auch wenn das Profit oder Bequemlichkeit kostet?

Armut ist nicht nur strukturell, sondern auch geistlich. Doch lassen Sie mich eine Geschichte erzählen. Vor Jahrhunderten, im Heer des Kaisers Konstantin – um das Jahr 300 –, begegnete ein Soldat namens Martin in einer kalten Winternacht einem zitternden Bettler. In einem Akt tiefer Barmherzigkeit teilte er seinen eigenen Soldatenmantel in zwei Teile und gab dem Mann die eine Hälfte.

Noch in derselben Nacht hatte Martin eine Vision. Christus erschien ihm, gehüllt in eben jenen halben Mantel, den er verschenkt hatte, und sprach: „Was du diesem armen Mann getan hast, das hast du mir getan.“ Diese Begegnung verwandelte sein Leben: Martin verließ den Militärdienst und wurde stattdessen ein Soldat Christi. Schließlich diente er als Bischof, und heute wird er als Heiliger verehrt.

Diese Geschichte ist eine machtvolle Erinnerung: Ein einziger Akt des Mitgefühls kann ein enormes prophetisches Gewicht tragen. Martins Gabe durchbrach die starren Strukturen seiner Zeit und offenbarte eine tiefe Wahrheit – Christus findet sich nicht in vergoldeten Palästen, sondern in der Kälte, in den verletzlichen Orten, an denen die Vergessenen leben.

Heute sind katholische Geschäftsleute und Unternehmerinnen aufgerufen, die Bettler unserer Zeit zu erkennen – die Ausgegrenzten, die Marginalisierten, die Opfer ungerechter Systeme. Sie sind eingeladen, kleine Akte der Großzügigkeit zu vollbringen, auch nur einen Teil dessen zu teilen, was sie besitzen, zum Wohl derer, die nichts haben. Die Botschaft des Evangeliums ist keine bloße Theorie; sie ist ein Ruf zum Handeln, so bescheiden es sein mag, der jedoch tiefgreifend zum Gemeinwohl beitragen kann.

Original-Interview aufgenommen in Genf von Alex Mur | Teamleitung Genf: Laetitia Rodrigues | Produktionsleitung: Patricia Peschken | Sprecher: Jan Terstiege | Redaktion, Moderation und Schnitt: Christian Peschken für Pax Press Agency im Auftrag von EWTN und CNA Deutsch.

Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

Unsere Mission ist die Wahrheit. Schließen Sie sich uns an!

Ihre monatliche Spende wird unserem Team helfen, weiterhin die Wahrheit zu berichten, mit Fairness, Integrität und Treue zu Jesus Christus und seiner Kirche.

Spenden

Die Besten katholischen Nachrichten - direkt in Ihren Posteingang

Abonnieren Sie unseren kostenlosen CNA Deutsch-Newsletter.

Klicken Sie hier