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Vatikanvertreter bei UN: Kirche kann „nicht als digitale Umweltpolizei auftreten“

Erzbischof Ettore Balestrero, dem Ständigen Vertreter des Heiligen Stuhls bei der UN in Genf

Die Kirche steht in Zeiten digitaler Umbrüche vor der Aufgabe, Orientierung zu geben und die Würde des Menschen zu schützen – im Netz wie in der realen Welt. Sie setzt sich für Religionsfreiheit, den Schutz von Frauen und klare ethische Leitlinien ein, damit Technologie dem Menschen dient. Über diese Themen sprach Christian Peschken (EWTN) mit Erzbischof Ettore Balestrero, dem Ständigen Vertreter des Heiligen Stuhls bei der UN in Genf.

Exzellenz, wie kann die katholische Kirche dazu beitragen, dass Informationen – besonders in Wahlzeiten – online mit Würde und Wahrhaftigkeit geteilt werden, statt zur Spaltung oder Manipulation beizutragen?

Die Kirche versteht, dass sie nicht als digitale Umweltpolizei auftreten kann. Ihre Aufgabe besteht darin, die Menschen zu informieren, in ihnen ein tiefes Verantwortungsbewusstsein für den Umgang mit Medien zu fördern, Inhalte zu schaffen und Informationen online zu teilen. All dies bedeutet, Urteilsvermögen und kritisches Denken zu fördern, damit die Menschen bewusste Nutzer der Medien bleiben und nicht deren ahnungslose Opfer werden.

Für jene, die sich in digitale Abhängigkeiten verstricken, bietet die Kirche Nähe und den Glauben an die Möglichkeit der Veränderung. Das letztliche Ziel ist es, die Menschen aus den goldenen Gefängnissen verzerrter digitaler Erzählungen in einen weiteren, reineren Raum zu führen, in dem Wahrheit wirklich geatmet werden kann.

In Bezug auf Wahlen wahrt die Kirche politische Neutralität, befähigt jedoch die Gläubigen, indem sie sie in den zentralen Prinzipien der katholischen Soziallehre und den Werten des Evangeliums schult. So können sie Wahlversprechen und Nachrichten kritisch durch eine moralische Linse prüfen, die Wahrheit und Würde über Manipulation stellt. Das ist die Haltung der Kirche in dieser Sache.

In Ihrer Stellungnahme vor der UN in Genf fordern Sie digitale Räume, die auch religiösen und moralischen Perspektiven offenstehen. Glauben Sie, dass heutige globale Plattformen – oft geprägt von säkularen Gesellschaften – diesen Raum fair bieten? Und welche Rolle kann die UN spielen, um dieses Gleichgewicht zu wahren?

Trotz der oft einseitigen Ausrichtung privater Plattformen und ihrer Algorithmen glaube ich, dass es ein deutliches Bedürfnis nach religiösen und moralischen Inhalten gibt, das in diesen digitalen Räumen immer stärker zum Ausdruck kommt. Es sind die einzelnen Inhaltsschaffenden, die diese Plattformen wirklich prägen und damit einen mächtigen Weg eröffnen, traditionelle Kanäle zu umgehen.

So erleben wir derzeit eine lebendige katholische Influencer-Kultur, in der Priester, Ordensleute und Laien gleichermaßen ein Fenster in das Leben mit Christus öffnen. EWTN hat zahlreiche solcher Persönlichkeiten. Ebenso prägen Gestalten wie Father Mike Schmitz oder die „Hallow“-App – die weltweit größte christliche Gebets-App – sowie der eigene „Pontifex“-Account des Papstes mit über 18 Millionen Followern diese Entwicklung. All dies zeugt von einer bedeutenden Wirkung.

Ich denke, es findet derzeit eine stille Wiederbelebung statt, besonders unter der sogenannten Generation Z, vor allem in Ländern wie Frankreich, England oder den USA, wo soziale Medien eine entscheidende Rolle im Glaubensweg spielen. In Frankreich zeigen Daten etwa, dass rund 40 Prozent der Katechumenen zwischen 18 und 24 Jahre alt sind und 80 Prozent angeben, soziale Medien hätten bei der Entdeckung oder Vertiefung ihres Glaubens eine Rolle gespielt. Nahezu 85 Prozent von ihnen folgen christlichen oder katholischen Influencern. Selbst bei sensiblen moralischen Themen wie Abtreibung zeigt sich auf Plattformen wie TikTok eine nahezu gleich starke Präsenz beider Seiten – sowohl der Gegner als auch der Befürworter.

Dies verdeutlicht, wie junge Generationen diese Räume nutzen, um Kultur und Diskurs mitzugestalten. In diesem Sinne können die Vereinten Nationen eine wesentliche Rolle spielen, indem sie Räume der Freiheit, des Respekts und echter Nichtdiskriminierung schaffen, in denen auch religiöse und moralische Perspektiven faire Aufnahme finden.

Der Vatikan spricht von einer wachsenden Marginalisierung des Christentums, selbst in Demokratien. Wie kann die Kirche religiöse Stimmen schützen, ohne sich politisch zu positionieren oder den Eindruck zu erwecken, Sonderrechte zu fordern?

Auch wenn man im Westen tatsächlich eine wachsende Ausgrenzung des Christentums beobachten kann, ist es wichtig zu erkennen, dass das Christentum weltweit – besonders im Osten und Süden – weiter wächst, trotz neuer Herausforderungen. Ebenso entscheidend ist zu verstehen, dass die Kirche, wenn sie die Religionsfreiheit verteidigt, nicht um Sonderrechte bittet und sich auch keiner politischen Richtung anschließt. Sie verteidigt vielmehr die menschliche Würde selbst.

Religionsfreiheit bedeutet für die Kirche, dass jeder Mensch frei von Zwang leben und seinem Glauben – privat oder öffentlich, im Rahmen des Gemeinwohls – folgen darf. Diese Achtung grundlegender Rechte ist ein Zeichen echten menschlichen Fortschritts. Wenn die Kirche also die Religionsfreiheit unterstützt, tut sie das für alle Menschen, nicht nur für Katholiken, weil diese Freiheit in der universellen Würde jedes Menschen verwurzelt ist – unabhängig vom Glauben.

Wenn Katholiken daher politische Kräfte unterstützen, die die Religionsfreiheit besser schützen, geschieht das im Sinne der Freiheit selbst und der Bewahrung ihrer Überzeugungen – was zugleich ein Menschenrecht ist. Das bedeutet jedoch keine Parteinahme. Der beständige Einsatz der Kirche bei den Vereinten Nationen – etwa für verfolgte Christen oder für die Rohingya-Muslime – zeigt ihr klares Engagement für die Verteidigung dieses universellen Menschenrechts.

Angesichts der Geschwindigkeit digitaler Kommunikation und der Informationsflut: Wie können insbesondere junge Katholiken lernen, zwischen Wahrheit und Unwahrheit zu unterscheiden?

Für junge Menschen heute ist die digitale Welt nicht einfach nur ein Werkzeug. Sie ist ein Lebensraum, der ihr Verständnis von Zeit, Raum, sich selbst und anderen tiefgreifend prägt. Die virtuelle Welt bietet Verbindung und Gemeinschaft, darf jedoch nicht zu einer digitalen Abwanderung führen – einem Rückzug aus Familie, Kultur und religiösen Werten – oder in Einsamkeit und Selbstverlorenheit münden.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Um sich in dieser komplexen Landschaft zurechtzufinden, ist es entscheidend, junge Menschen zu verantwortungsbewusstem und kritisch reflektiertem Denken zu befähigen. Dazu gehört auch, sie zu sensibilisieren für die wirtschaftlichen Interessen und die subtilen, oft unsichtbaren Kontrollmechanismen, die Gewissen und sogar demokratische Prozesse beeinflussen können. Sie müssen verstehen, wie Plattformen häufig geschlossene Kreisläufe erzeugen, die Begegnungen mit Gleichgesinnten fördern, aber zugleich die Verbreitung von Fake News, Vorurteilen und Hass begünstigen. Diese Flut von Unwahrheiten spiegelt eine Kultur wider, die ihr Gespür für Wahrheit verloren hat.

Kurz gesagt: Junge Menschen müssen befähigt werden, digitale Kommunikation zu nutzen, anstatt von ihr benutzt zu werden – und kritisches Denken zu entwickeln. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass Eltern als erste Erzieher eine entscheidende Rolle dabei spielen, ihre Kinder auf diesem digitalen Weg zu begleiten und zu leiten.

Papst Leo XIV. ruft zu einem erneuerten gesellschaftlichen Bekenntnis zur Wahrheit auf. Welche konkreten Schritte sollten Regierungen, Technologieunternehmen und Glaubensgemeinschaften gemeinsam unternehmen, um Vertrauen und Transparenz im digitalen Raum wiederherzustellen?

Ein Leitfaden zur Wiederherstellung des Vertrauens im digitalen Raum ist der „Römische Aufruf zur KI-Ethik“, ein gemeinsames Dokument, das 2020 durch verschiedene Akteure ins Leben gerufen wurde – darunter die Päpstliche Akademie für das Leben, Microsoft, IBM, die FAO und die italienische Regierung. Dieser Aufruf zeigt, wie gemeinsame Verantwortung echten Fortschritt fördern kann. Im Mittelpunkt steht die künstliche Intelligenz, und sein zentraler Grundsatz besteht darin, sicherzustellen, dass digitale Innovation und technologischer Fortschritt stets am Menschen ausgerichtet bleiben. Aufbauend auf diesem Modell kann eine wirklich verlässliche und transparente digitale Öffentlichkeit nur entstehen, wenn sie auf bestimmten grundlegenden Prinzipien beruht.

Erstens: Transparenz – der digitale Raum muss für alle verständlich und nachvollziehbar sein.

Zweitens: Inklusion – niemand darf ausgeschlossen oder diskriminiert werden, die gleiche Würde jedes Menschen muss anerkannt werden.

Drittens: Verantwortlichkeit – es muss immer jemand Verantwortung für die geteilten Inhalte übernehmen.

Viertens: Unparteilichkeit – die digitale Sphäre darf keine Vorurteile schaffen oder verstärken.

Fünftens: Zuverlässigkeit – Informationen und Systeme müssen glaubwürdig und verlässlich sein.

Und schließlich Sicherheit und Datenschutz – der digitale Raum muss sicher gestaltet sein und die Privatsphäre der Nutzer achten und schützen.

Original-Interview aufgenommen in Genf von Alex Mur | Teamleitung Genf: Laetitia Rodrigues | Produktionsleitung: Patricia Peschken | Sprecher: Jan Terstiege | Redaktion, Moderation und Schnitt: Christian Peschken für Pax Press Agency im Auftrag von EWTN und CNA Deutsch.

Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

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