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Eucharistisch leben: Eine Betrachtung zum Fronleichnamsfest

Papst Franziskus trägt den Leib Christi am 3. Juni 2018

Zu meinen kostbarsten und schönsten Erinnerungen gehören die Fronleichnamsfeste. Dieser vorsommerliche Tag zeigte den Glanz der Wahrheit. Meine kindliche Vorfreude war sehr groß, auch weil ich wusste, dass ich an diesem Hochfest von einer lästigen Pflicht befreit war: Die Zwangsanstalt Schule mit ihrem Stundenplan verlor jede Macht über mich. Katholische Kinder waren – auch an einer staatlichen Schule – in der Diaspora vom Unterricht befreit. Protestantische Mitschüler stutzen bereits, wenn sie den Namen des Festes aussprachen und zu verstehen suchten. Fronleichnam? Das höre sich ja wie "froher Leichnam" an. Einige Kinder und Jugendliche betonten, zumindest an diesem Tag, ihre Strebsamkeit. Solche Bekenntnisse kehrten alle Jahre wieder. Manche sagten, sie würden lieber freiwillig zur Schule gehen als zur Kirche. Gelegentlich wurden höhnische Bemerkungen geäußert. Erklärt wurde, warum die Bildungsanstalt der Kirche immer vorzuziehen sei. Ich hingegen freute mich besonders an diesem Hochfest so sehr - und tue das bis heute -, dass ich römisch-katholisch war, dass ich der Kirche Christi Glied sein und bleiben darf.

So erinnere ich mich dankbar und froh, wie gewiss viele von uns, an Glanz, Pracht und Herrlichkeit, an die festlich geschmückte Kirche, an die Prozession, an die eucharistischen Hymnen und an die liebevoll geschmückten Altäre in den Straßen meiner Heimatstadt, wenn wir feierlich singend und betend den Leib Christi begleiteten, vom Glauben von innen her geführt. Die Schar der Erstkommunionkinder folgte der Monstranz. Hinter den Fenstern sah man gelegentlich neugierige Gesichter hinausschauen: Was ging dort auf der Straße vor sich? Der eucharistische Segen wurde an jedem Altar erteilt, und die Pilgergemeinschaft der Gläubigen ging in die Welt hinaus, im Gebet verbunden. Sie schauten auf den Leib Christi in der Monstranz, manchmal sicher auch plaudernd und nicht ganz aufmerksam und andächtig, aber doch mit dem Herrn auf dem Weg – und darauf kommt alles an. Die Prozession endete mit dem "Te Deum".

Am Nachmittag fand ein großes Familienfest mit einem reichhaltigen Kuchenbüffet statt, ein fröhliches Beisammensein, bunt gestaltet von tüchtigen Helfern. Die Familie, also die Familie Gottes, traf sich im Pfarrgarten und feierte dankbar – und manches Kind, so auch ich, verdrängte so gut wie möglich, dass am nächsten Tag nicht die Glocke der Kirche rufen würde, sondern die Schulglocken bimmelten, die ich am Fronleichnamsfest ignorieren durfte. Die Freude am Glauben trug durch die Kümmernisse, Beschwerlichkeiten und Tristesse des Alltags. Der eucharistische Segen war der Stadt erteilt worden, einer Stadt, die gar nichts so recht von der Gegenwart des Herrn im Allerheiligsten Sakrament zu wissen schien und vielleicht auch nichts wissen wollte. Oder verbarg sich hinter stillen Blicken aus den Fenstern doch eine geheime Sehnsucht nach Gott und Seiner Kirche? Vielleicht hätte auch so mancher Mitschüler, der sich hinter Hohn und Ironie versteckte, doch mitgehen oder wenigstens sich die festliche Prozession anschauen wollen? Das Fronleichnamsfest zeigt auf wunderbare Weise, dass in der Familie Gottes weder eine ständische Ordnung vorherrscht noch ein weltlicher Korpsgeist, sondern dass die gläubigen Katholiken gemeinsam auf Christus schauen, gemeinsam singen, gemeinsam knien und gemeinsam anbeten. Wir sind in, mit und durch Christus verbunden, und wir stehen nicht allein vor Gott, sondern im Wir der Kirche aller Zeiten und Orte. Die siebte Strophe des eucharistischen Hymnus "Adoro te devote" des heiligen Thomas von Aquin schenkt eine Anschauung von der Sehnsucht auf den verheißenen Himmel: "Jesus, den verborgen jetzt mein Auge sieht, stille mein Verlangen, das mich heiß durchglüht: Laß die Schleier fallen einst in Deinem Licht, daß ich selig schaue, Herr, Dein Angesicht."

Durch alle Bildungs- und Lebenswege, in die so manches Leid tief eingezeichnet ist, hebt und hält uns diese Aussicht und Sehnsucht, diese Hoffnung. Auf die Frage, der schon kleine Kinder buchstäblich hilflos ausgesetzt sind, nämlich – "Was möchtest du später denn einmal werden?" –, wusste ich nie eine Antwort. Muss ich erst etwas werden, um sein zu dürfen? Bin ich nicht schon, und darf ich nicht sein? Anders gesagt: Bin ich nicht vom ersten Moment an, von der Zeugung, gewollt, geliebt und gebraucht? Muss ich immerzu in einer säkularen Bewegung sein, mir Ziele setzen, Pläne machen und mich selbst verwirklichen? Genügt nicht, dass ich mich immer wieder zu Christus bekehre, zu Ihm hinwende? Selbstverwirklichung - das ist eine moderne, tückische Fantasie, ein Ziel für viele Menschen, das zu einem Alptraum werden kann, mitten im Leben. Ein Ziel, das den Frieden der Seele rauben und durch die Bindung an Sekundäres zu einer Entfremdung von Gott führen kann. Fronleichnam erinnert uns an die Mitte des Glaubens, an das Wesentliche, an Jesus Christus, leibhaft gegenwärtig im Sakrament des Altares. Wir tragen kein Symbol der frommen Erinnerung durch die Straßen, sondern den Leib des Herrn – und wir zeigen und bezeugen, dass wir uns nicht selbst verwirklichen müssen, sondern eucharistisch leben dürfen und leben möchten.

Der heilige Johannes Paul II. bezeichnet die Anbetung als eine "unerschöpfliche Quelle der Heiligkeit". Der Papst schreibt in der Enzyklika "Ecclesia de eucharistia" am 17. April 2003: "Die andächtige Teilnahme der Gläubigen an der eucharistischen Prozession am Hochfest des Leibes und Blutes Christi ist eine Gnade des Herrn, welche die teilnehmenden Gläubigen jedes Jahr mit Freude erfüllt." Die Eucharistie sei der "Schatz der Kirche" und das "Herz der Welt": "Würden wir die Eucharistie vernachlässigen, wie könnten wir unserer Armut abhelfen? … Im demütigen Zeichen von Brot und Wein, die in seinen Leib und in sein Blut wesensverwandelt werden, geht Christus mit uns; er ist unsere Kraft und unsere Wegzehrung, er macht uns für alle zu Zeugen der Hoffnung. Wenn vor diesem Mysterium der Verstand seine Grenzen erfährt, so erahnt doch das Herz, das von der Gnade des Heiligen Geistes erleuchtet ist, wie man sich davor verhalten und in Anbetung und grenzenloser Liebe darin versenken soll."

Am Fronleichnamsfest war uns Schülern in der Diaspora früher ein freier Tag geschenkt, ein Tag für unseren Heiland und Herrn – und wir wurden daran erinnert, dass wir nur einen Lehrer und Meister haben, in Zeit und Ewigkeit: Jesus Christus. In der ersten Strophe von "Adoro te devote" singen wir: "Tibi se cor meum totum subicit, quia te contemplans totum deficit." Unser ganzes Herz, also uns ganz als Person, schenken wir Christus. Gelingt uns das? Wir geben uns hin – oder, im Bewusstsein unserer Sünde und Unzulänglichkeit, unserer Ängstlichkeit und Schwäche, wir möchten uns ganz Christus hingeben und ihm nachfolgen, am Fronleichnamsfest und an allen Tagen, die uns sind geschenkt sind und noch geschenkt sein werden. Papst Benedikt XVI. sagte in der Homilie am Fronleichnamsfest 2005: "Wir tragen Christus, der in der Gestalt des Brotes gegenwärtig ist, durch die Straßen unserer Stadt. Wir vertrauen diese Straßen, diese Häuser – unser tägliches Leben – seiner Güte an. Mögen unsere Straßen Jesu Wege sein! Mögen unsere Häuser für ihn und mit ihm sein! Möge unser tägliches Leben durchdrungen sein von seiner Gegenwart. Mit dieser Geste tragen wir vor seine Augen die Leiden der Kranken, die Einsamkeit der Jungen und Alten, die Versuchungen, die Ängste – unser ganzes Leben. Die Prozession will ein großer, öffentlicher Segen für diese unsere Stadt sein: Christus selbst ist der göttliche Segen für die Welt – der Strahl seines Segens breite sich über uns alle aus!" Wir wissen, wie sehr wir alle und wie sehr auch jene, die nicht an Ihn glauben können oder möchten, Seiner Gegenwart und Seines Segens bedürfen.

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Zuerst veröffentlicht am 19.6.2019. Hinweis: Meinungsbeiträge spiegeln die Ansichten der jeweiligen Autoren wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch.

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