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Rod Dreher: "Das progressive Christentum ist das Wohlstandsevangelium der Linken"

Rod Dreher

Mit dem Erscheinen der "Benedict Option" im Jahr 2017 (deutsche Erstauflage 2018) trat mit Rod Dreher ein christlicher Autor ins internationale Rampenlicht, der bereits zehn Jahre zuvor als "Crunchy Con" in seinem gleichnamigen Buch für eine konservative Gegenkultur abseits vom republikanischen Mainstream geworben hatte. In einem neuen Interview mit "Réaction. Almanach europäischen Denkens" spricht der Intellektuelle und Autor unter anderem über die Kirchenkrise und die Frage nach einer christlichen Politik.

CNA Deutsch veröffentlicht einen kurzen Auszug mit freundlicher Genehmigung.

Gerade in jüngster Zeit wurde den Kirchen in Deutschland vorgeworfen, nur ein Sprachrohr der Regierung zu sein, z.B. in Fragen der Flüchtlingspolitik und im Umgang mit populistischen Parteien. Könnte es sein, daß zu viel Nähe zum Staat den Kirchen in Europa eher geschadet als genützt hat?

Ja, ich denke, das trifft zu. In seinem berühmten "Angriff auf die Christenheit" schreibt Kierkegaard, daß das Christentum aufhört zu existieren, wenn jeder in einer Gesellschaft Christ ist, einfach deshalb, weil er in diese Gesellschaft hineingeboren wurde. Ich habe Kierkegaard zum ersten Mal an der Universität gelesen, als ich mir nicht sicher war, ob ich an Gott glaubte. Ich war in einer protestantischen Familie in einer Kleinstadt aufgewachsen. Wir gingen selten in die Kirche, aber meine Eltern glaubten, daß wir alle gute Christen seien, einfach weil alle in unserer Stadt getauft waren. Christ zu sein, war das Gleiche wie ein guter Bürger zu sein. Es war die weiße Mittelschicht beim Gebet. Dabei ist bemerkenswert, daß wir so gelebt haben, obwohl es keine formale Verbindung zwischen Kirche und Staat gab, wie in weiten Teilen Europas. Es war eine Mentalität.

Als ich etwa 15 Jahre alt war, entschied ich, daß dies bürgerlicher, konformistischer Unsinn war. Ich hatte mit dem Christentum abgeschlossen. Glücklicherweise begegnete ich einige Jahre später, als ich im College war, Kierkegaard – und erfuhr, daß ich mit einer verfälschten Version des christlichen Glaubens aufgewachsen war. Ich habe einen Freund, der Pastor der Southern Baptists ist und sagt, daß der Tod des kulturellen Christentums – womit er die Art bürgerlicher Selbstgefälligkeit meint, mit der wir beide im Süden aufgewachsen sind – eine gute Sache ist, weil er die Forderungen des Evangeliums deutlicher macht. Viele Menschen werden Christus zum ersten Mal begegnen.

Das ist eine spezifisch protestantische Sichtweise der Dinge, aber ich verstehe, was er meint. Gegen Ende meiner Jahre als Katholik wurde mir unter anderem klar, daß es keine Möglichkeit gab, herauszufinden, wer um mich herum in der Gemeinde – in jeder Gemeinde! – an die Lehren der Kirche glaubte oder sich sogar darum kümmerte, worin sie bestanden. Sehr viele katholische Gemeinden in den USA fungieren als Sakramentfabriken. Oft gibt es keinen gemeinsamen Sinn für Zweck, keinen Sinn für Mission, kein Gefühl, daß es eine transzendente Dimension in unserem Glauben gibt. Wenn Sie sich die sozialwissenschaftliche Forschung an jüngeren Generationen von Amerikanern – insbesondere Katholiken – ansehen, werden Sie feststellen, daß sie theologisch unbeleckt sind. Ich schreibe über einige dieser Forschungen in meinem Buch. Es ist schrecklich. Aber es ist nicht ihre Schuld. Es ist die Schuld von uns älteren Christen. Wir haben ihnen nichts gegeben.

Andererseits könnte man argumentieren, daß die Kultur, die Normen und das soziale Leben in Europa (z.B. der umfangreiche Wohlfahrtsstaat, die niedrigen Kriminalitätsraten, das gesamte Strafsystem) immer noch christlicher sind als die weitläufige Gewerbefläche, die sich Amerika nennt. Während also viele Europäer die Kirche ablehnen mögen, ist sie in ihre DNA eingebaut, und sind sie in gewisser Weise nicht christlicher, indem sie sich dagegen auflehnen so wie ein wütender Sohn sagt, er werde nicht wie sein Vater sein?

Das mag stimmen. In den USA ist das moralisch und theologisch konservative Christentum seit mindestens 40 Jahren eng mit der Republikanischen Partei verbunden. Dies hat es in den Augen vieler junger Menschen – sogar junger Menschen, auf Seiten der politischen Rechten – in Verruf gebracht. Kann man es ihnen verübeln? Es fühlt sich extrem falsch an, den nationalistischen Pomp in einigen evangelikalen Kirchen dieser Tage zu beobachten. Es sieht aus wie Kitsch für alte Leute. Jüngere Christen – progressive, aber auch ernsthafte Konservative – reagieren heftig auf das, was sie zu Recht als konservatives Christentum wahrnehmen, das eine Art Seelsorgeeinrichtung für die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung darstellt. Wenn das das Christentum sein soll, wollen sie nichts damit zu tun haben.

Auf der anderen Seite kann man das progressive Christentum schwerlich als Christentum überhaupt bezeichnen. Es ist die gleiche Art der Verehrung bürgerlicher Stereotype, nur mit mehr Fokus auf Sex als auf Geld. Haben Sie vom "Wohlstandsevangelium" gehört? Das ist eine protestantische Sekte, in der die Menschen – meist Arme und Angehörige der Arbeiterklasse – glauben, daß Gott will, daß sie reich sind, und daß, wenn sie nur oft genug beten, sie es werden. Nun, das progressive Christentum, mit seinem Schwerpunkt auf der sexuellen Befreiung, ist das Wohlstandsevangelium der Linken. Es ist die Frohe Botschaft als Fake News.

Ich bin hoffnungsvoller was die Zukunft des Christentums in Europa anbelangt als früher, ehrlich gesagt. Wenn man die Statistiken von diesseits des Ozeans liest, sieht es schrecklich aus – und das sind sie auch! Aber wenn ich in Europa bin, um Vorträge zu halten, ergibt sich ein anderes Bild. Die meisten meiner Leser sind Katholiken im Alter von 40 Jahren und jünger. Sie haben die Entchristianisierung ihrer Gesellschaften durchlebt und wollen wissen, wie sie in dieser Zeit der Dunkelheit dem Glauben treu bleiben können. In den USA muss ich die meisten Christen noch davon überzeugen, daß wir uns in einer schweren Krise befinden; das ist kein Problem mit jungen europäischen Christen. Glücklicherweise leben die Europäer in Kulturen, die seit vielen Jahrhunderten christlich sind. Es ist eine Tragödie, daß die meisten Europäer heute das unglaubliche Erbe alter Kirchen und andere konkrete Zeugnisse der christlichen Kultur nicht zu schätzen wissen. Aber sie existieren. Im Januar war ich in der Kathedrale in Valencia und sah eine Reliquie von St. Vincent dem Märtyrer. Es war seine Hand und ein Teil seines Armes. Wer ist das? fragte ich mich. Dann habe ich ihn auf meinem iPhone nachgeschlagen. Der erste Märtyrer Spaniens, der im Jahr 304 unter der Diokletianischen Verfolgung getötet wurde! Mein Gott, können Sie sich vorstellen, was das für einen Amerikaner bedeutet? Und ganz in der Nähe, in einer Seitenkapelle der Apsis, befindet sich ein Gemälde mit Märtyrern aus dem spanischen Bürgerkrieg – Menschen aus dieser Domgemeinde. Die historische Kontinuität ist atemberaubend. Das ist überall in Europa so und nirgendwo in Amerika.

Das ganze Interview lesen Sie in "Réaction. Almanach europäischen Denkens".

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(Die Geschichte geht unten weiter)

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