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Gott ruft, Gott überrascht, Gott liebt: Die Papst-Predigt in Sofia (Bericht & Wortlaut)

Papst Franziskus predigt in Sofia, Bulgarien am 5. Mai 2019

Gott ruft, Gott überrascht, Gott liebt: Das war die Botschaft der Predigt von Papst Franziskus bei der Feier der heiligen Messe in der bulgarischen Hauptstadt. Rund 7.000 Gläubige und Besucher nahmen nach offiziellen Angaben an der Eucharistiefeier teil.

Der Pontifex sprach auf dem Prinz-Alexander-Platz in Sofia über diese drei "wunderschönen Tatsachen" mit Blick auf die Szene des Tagesevangeliums: Johannes schildert dort die Erscheinung des auferstandenen Jesus bei den wieder zum Fischfang zurückgekehrten Jüngern am Ufer des Sees Genezareth.

"Die gute Nachricht von der Auferstehung hatte keine Wurzeln in ihren Herzen geschlagen. Der Herr weiß, wie stark für uns die Versuchung ist, zu unserem früheren Leben zurückzukehren", sagte Franziskus.

Doch auf das wiederholte Scheitern der Menschen antworte Jesus mit seinem geduldigen Ruf, ihm nachzufolgen.

"Jeden Tag ruft er uns auf, unsere Liebesgeschichte mit ihm neu aufleben zu lassen, uns auf ihn, der Neuheit ist, neu zu gründen."

Und wen Gott ruft, den wird er auch überraschen, so wie Jesus die Jünger im Johannesevangelium mit vollen Netzen überraschte, fuhr Franziskus fort – und dazu ermutige, die Netze selber immer wieder neu auszuwerfen.

"Es ist der Herr der Überraschungen, der die lähmenden Verhärtungen löst und Mut gibt, Verdacht, Misstrauen und Angst zu überwinden, welche sich hinter der Haltung 'Das-haben-wir-immer-so-gemacht' verstecken."

Das sei auch die Kraft der Christen, "die wir jeden Tag erneuern sollen", betonte der Papst: "der Herr liebt uns. Christ sein ist ein Ruf zum Vertrauen, dass die Liebe Gottes größer ist als jede Begrenzung oder Sünde".

Denn letztlich, betonte der Pontifex am 5. Mai 2019, könne so jeder Christ erfahren und leben, was die Frohe Botschaft bedeute: "Gott ist Liebe, die liebt, die sich verschenkt, die ruft und überrascht".

Als zweiter Papst der Geschichte besucht Franziskus auf seiner 29. Auslandsreise, die vom 5. bis 7. Mai dauert, Bulgarien - und am kommenden Dienstag auch Nordmazedonien. Der Papst verbringt den größten Teil der Reise in den bulgarischen Städten Sofia und Rakovski, bevor er am 7. Mai in Skopje landet.

In Bulgarien ist die Mehrheit - 65 Prozent - der Bevölkerung bulgarisch-orthodoxen Glaubens, während 10 Prozent der Bevölkerung Muslime sind. Katholisch sind nicht einmal 0,8 Prozent der Bevölkerung.

CNA Deutsch dokumentiert die deutsche Übersetzung des vollen Wortlauts der Predigt, wie sie der Vatikan zur Verfügung gestellt hat.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Liebe Brüder und Schwestern, Christus ist auferstanden!

Das ist ein wunderbarer Gruß, mit dem sich die Christen in eurem Land die Freude des Auferstandenen in dieser österlichen Zeit zusprechen.

Die gesamte eben gehörte Szene, die am Ende der Evangelien beschrieben wird, hilft uns, in diese Freude einzutauchen. Der Herr lädt uns ein, andere damit anzustecken, indem er uns an drei wunderschöne Tatsachen, die unser Leben als Jünger Christi kennzeichnen, erinnert: Gott ruft, Gott überrascht, Gott liebt.

Gott ruft. Alles geschieht an den Ufern des Sees Genezareth, dort wo Jesus Petrus berufen hatte. Er hatte ihn aufgerufen, seinen Beruf des Fischers aufzugeben, um Menschenfischer zu werden (vgl. Lk 5,4-11). Und jetzt, nach dem ganzen Weg, nach der Erfahrung, den Meister sterben zu sehen, und trotz der Botschaft von seiner Auferstehung kehrt er wieder zu seinem früheren Leben zurück: »Ich gehe fischen«, sagt er. Und die übrigen Jünger sind einverstanden: »Wir kommen auch mit« (Joh 21,3). Es sieht aus, als würden sie einen Schritt zurück machen; Petrus nimmt die Netze wieder auf, die er wegen Jesus zurückgelassen hatte. Die Last des Leidens, der Enttäuschung, ja sogar des Verrates war zu einem Stein geworden, der schwer von den Herzen der Jünger weggewälzt werden konnte; sie waren noch von der Last der Schmerzen und der Schuld verwundet. Die gute Nachricht von der Auferstehung hatte keine Wurzeln in ihren Herzen geschlagen. Der Herr weiß, wie stark für uns die Versuchung ist, zu unserem früheren Leben zurückzukehren. In der Bibel sind Petrus’ Netze ebenso wie die Fleischtöpfe Ägyptens Symbole der Versuchung einer Nostalgie der Vergangenheit. Man will etwas zurück von dem, was man hatte aufgeben wollen. Bei der Erfahrung von Scheitern, Leid und sogar nur von der Tatsache, dass die Dinge nicht so sind, wie man erhofft hatte, besteht immer eine subtile, gefährliche Versuchung zur Entmutigung und zur Antriebslosigkeit. Das ist die Psychologie des Grabes, die alles resignierend hinnimmt und uns zu einer bittersüßen Traurigkeit hinzieht, die wie eine Motte jede Hoffnung anfrisst. So entsteht die größte Gefahr innerhalb einer Gemeinschaft: der graue Pragmatismus des Alltags, bei dem allem Anschein nach alles normal weiterläuft, aber sich in Wirklichkeit der Glaube abnützt und ins Schäbige abgleitet (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 83).

Doch genau hier, bei Petrus’ Scheitern, tritt Jesus hinzu und beginnt von Neuem von vorne. Geduldig geht er ihm entgegen und sagt »Simon« (v. 15): das war der Name wie bei der ersten Berufung. Der Herr wartet nicht auf ideale Situationen oder Stimmungen, sondern er schafft sie. Er erwartet nicht, auf Menschen ohne Probleme, ohne Enttäuschungen, Sünden oder Fehler zu treffen. Er ist selbst der Sünde und der Enttäuschung entgegengetreten, damit er jedem Lebenden begegnen kann und zum Gehen auffordern kann. Brüder und Schwestern, der Herr wird nicht müde, uns zu rufen. Die Kraft der Liebe hat jede Prognose über den Haufen geworfen und weiß, wie man neu beginnt. Durch Jesus sucht Gott immer eine neue Gelegenheit zu gewähren. Auch mit uns macht er das so: Jeden Tag ruft er uns auf, unsere Liebesgeschichte mit ihm neu aufleben zu lassen, uns auf ihn, der Neuheit ist, neu zu gründen. Jeden Morgen sucht er uns dort auf, wo wir stehen und lädt uns ein »aufzustehen, auf sein Wort hin aufzuerstehen, nach oben zu blicken und daran zu glauben, dass wir für den Himmel, nicht für die Erde, für die Höhen des Lebens und nicht für die Niederungen des Todes geschaffen sind«. Er lädt uns dazu ein, den Lebenden nicht bei den Toten zu suchen (Homilie in der Osternacht, 19. April 2019). Wenn wir ihn aufnehmen, steigen wir höher auf und nehmen unsere beste Zukunft nicht wie eine Möglichkeit sondern als Realität an. Wenn der Ruf Jesu dem Leben eine Orientierung verleiht, dann verjüngt sich das Herz.

Gott überrascht. Es ist der Herr der Überraschungen, der uns dazu einlädt, sich nicht nur überraschen zu lassen, sondern überraschende Dinge zu verwirklichen. Der Herr ruft die Jünger, als er ihnen mit ihren leeren Netzen begegnet, und macht ihnen einen ungewöhnlichen Vorschlag: tagsüber zu fischen, was bei diesem See unüblich war. Er flößt ihnen neues Vertrauen ein und bringt sie zum Handeln. Er ermutigt sie neu, zu riskieren; dazu, nichts und vor allem niemanden als endgültig verloren anzusehen. Es ist der Herr der Überraschungen, der die lähmenden Verhärtungen löst und Mut gibt, Verdacht, Misstrauen und Angst zu überwinden, welche sich hinter der Haltung „Das-haben-wir-immer-so-gemacht“ verstecken. Gott überrascht, wenn er ruft und dazu einlädt, nicht nur die Netze, sondern uns selbst weit auszuwerfen in die Geschichte hinein und das Leben und den Nächsten sowie uns selbst mit seinen Augen zu sehen, denn: »Hinter der Sünde sieht er Kinder, denen aufgeholfen werden muss; hinter dem Tod sieht er Brüder, die zur Auferweckung bestimmt sind; hinter der Trostlosigkeit sieht er Herzen, die zu trösten sind. Habt also keine Angst: Der Herr liebt dein Leben, auch wenn du selbst Angst davor hast, es anzusehen und es in die Hände zu nehmen« (ebd.).

So kommen wir zu der dritten Überzeugung des heutigen Tages. Gott ruft, Gott überrascht, denn Gott liebt. Die Liebe ist seine Sprache. Deshalb will er von Petrus und von uns, dass wir uns auf dieselbe Sprache einstellen: »Liebst du mich?«. Petrus nimmt die Einladung an und versteht endlich, nach so viel mit Jesus verbrachter Zeit, dass lieben heißt, nicht mehr im Zentrum zu stehen. Jetzt geht er nicht mehr von sich aus, sondern von Jesus: »Herr, du weißt alles « (Joh 21,17), antwortet er. Er erkennt an, dass er schwach ist, dass er nicht aus eigener Kraft vorangehen kann. Er baut auf den Herrn, auf die Kraft seiner Liebe, bis ans Ende. Das ist unsere Kraft, die wir jeden Tag erneuern sollen: der Herr liebt uns. Christ sein ist ein Ruf zum Vertrauen, dass die Liebe Gottes größer ist als jede Begrenzung oder Sünde. Ein großes Leid und Hindernis, auf dass wir heute stoßen, besteht nicht so sehr darin zu begreifen, dass Gott Liebe ist, sondern rührt daher, dass wir es geschafft haben, ihn so zu verkünden und zu bezeugen, dass für viele dies nicht sein Name ist. Gott ist Liebe, die liebt, die sich verschenkt, die ruft und überrascht.

Das ist das Wunder Gottes: er macht aus unserem Leben ein Kunstwerk, wenn wir uns nur von seiner Liebe führen lassen. In diesem gesegneten Land haben viele Osterzeugen aus einem einfachen Glauben heraus und mit einer großen Liebe wahre Meisterwerke geschaffen. Mit der Hingabe ihres Lebens wurden sie zu lebendigen Zeichen für den Herrn; sie haben mutig die Apathie überwunden und eine christliche Antwort auf die Probleme vor ihren Augen gegeben (vgl. Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus vivit, 174). Heute sollen wir auf das schauen und das entdecken, was der Herr in der Vergangenheit getan hat, damit wir uns mit ihm in die Zukunft aufmachen. Wir wissen dabei, dass er uns im Erfolg und im Versagen immer wieder aufrufen wird, die Netze neu auszuwerfen. Das, was ich den jungen Menschen im kürzlich veröffentlichen Apostolischen Schreiben gesagt haben, will ich auch euch sagen: Eine junge Kirche oder eine junge Person – jung nicht wegen des Alters sondern wegen der Kraft des Geistes – lädt uns dazu ein, die Liebe Gottes zu bezeugen. Eine Liebe, die anstachelt und die uns zum Einsatz für das Gemeinwohl bereitmacht, zum Dienst an den Armen, dazu, Hauptakteure einer Revolution der Liebe und des Dienstes zu sein, die der Krankheit eines konsumistischen und oberflächlichen Individualismus zu widerstehen wissen. Verliebt in Christus, lebende Zeugen des Evangeliums in jeder Ecke dieser Stadt (vgl. ebd. 174-175). Fürchtet euch nicht, die Heiligen zu sein, welche dieses Land braucht; mit einer Heiligkeit, die euch nicht Kraft, Leben oder Freude raubt. Ganz im Gegenteil: so werdet ihr und die Kinder dieses Landes zu denen, die der Vater erträumt hat, als er euch erschaffen hat (vgl. Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate, 32).

Gerufen, überrascht und eingeladen aus Liebe!

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