29. November 2020
Das Bonmot von Theodor Heuss, dass das Abendland auf drei Hügeln ruhe: dem Golgatha, der Akropolis in Athen und dem Kapitol in Rom, fällt immer noch hin und wieder in politischen Sonntagsreden. Dass also das römische Rechtsempfinden, die griechische Philosophie und das Christentum Fundament von allem sei, was uns als Europäer ausmache. Das habe ich schon als Schüler gern geglaubt und glaube es immer noch, auch wenn ich mir nicht mehr sicher bin, was die europäischen Staatenlenker von diesem Glauben noch teilen.
Europa ruht natürlich auf dem Abendland. Aber unter den drei Hügeln verdient natürlich die Schädelstätte den allerersten Rang. Ohne den Golgotha wären wir nicht das geworden, was wir heute gerade noch sind. Gewiss: die römische Kirche hat das Rechtsempfinden von Rom übernommen und weiterentwickelt, Griechisch ist die Sprache der Evangelien und wir müssen uns nur die Aristoteles-Rezeption der Scholastik vor Augen führen, um zu erkennen, wieviel an unserem Denken und unserer Bildung griechisch ist. All das aber wäre es nicht ohne das Erlösungswerk Christi. Das Recht wäre nichts ohne die Bergpredigt, die Philosophie nichts ohne den Tod und die Auferstehung Christi.
Die Akropolis ist längst zerfallen und zu einem Museum geworden, auf dem Kapitol in Rom thront das Rathaus der ewigen Stadt. Das Schiff Christi aber kreuzt immer noch auf dem Meer der Zeit, auch wenn es schlingert und immer wieder zu kentern scheint. Ohne den Golgotha, den Hügel des Erlösungswerks Christi ist Europa vollständig undenkbar. Und ausgerechnet dieser Hügel steht nicht im Abendland, sondern im Osten, wo das Licht herkommt, im Heiligen Land, im Heiligabendland!
Umso erfreulicher ist es, dass uns dieser geistige Kontinent in unserer Zeit nun wieder neu vor Augen gestellt wird – in einem gewichtigen Doppelpack von Paul Badde. Dieses Paket besteht aus seinem "Abendland", das gerade frisch aus der Druckerei gekommen ist, und seinem "Heiliges Land" von 2008. Vielen Spuren dieses jüdisch-christlichen Traums ist Paul Badde nun vor Jahren schon über viele Orte und Relaisstationen nachgereist, weil er wusste, dass das Abendland sich Jahrhunderte lang vom irdischen zum himmlischen Jerusalem ausstreckte, auch über viele Umwege und Irrwege, deren Gefahren und Fallen, was Badde ebenfalls akribisch im Bordbuch seiner Abendland-Recherche festhält.
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Und im Spiegel seines neuesten Werks, des "Abendlandes" beginnt das "Heilige Land – Auf dem Königsweg aller Pilgerreisen" richtig zu leuchten. Denn in diesem Buch finden wir die bedeutendsten Orte vom Geheimnis der Menschwerdung Gottes an der Schnur des Rosenkranzes aufgereiht, wo die zu jeder Perle gehörende Stätte auch tatsächlich aufgesucht wird: Wort für Ort und Ort für Wort – von der Geburtsgrotte in Nazareth bis zur Grabeskirche in Jerusalem mit dem "Brunnenraum" unserer Geschichte, wie Paul Badde ihn nennt, dem Heiligen Grab.
Deswegen erinnere ich mich, während ich diese Zeilen schreibe, an den 29. September 2019. Damals, vor nur einem Jahr, das mir inzwischen – ins Unendliche gedehnt durch Corona - wie eine Ewigkeit vorkommt, feierte Kardinal Sarah sein 50jähriges Priesterjubiläum im Petersdom unter der Cathedra Petri. Für mich war es ein kleines Wunder, dass ich dabei sein durfte. Die Feier war zum Hinknien schön. Beim Auszug aus der Apsis nach dem Pontifikalamt entdeckten wir dann aber am Fuß der linken Bronzesäule, die den Baldachin über dem Papstaltar mit drei anderen mächtigen Säulen über der Confessio trägt, wie verloren und vergessen einen kleinen bronzenen Rosenkranz vom Sockel herabbaumeln. Gianlorenzo Bernini hat diese "Confessio" hier im Jahr 1633 über dem Grab Petri fertiggestellt.
Die unscheinbare Schnur im Sockel der Altaranlage muss hier aber wohl gleichsam als Signatur des Jahrtausendkünstlers Bernini verstanden werden, dem das barocke Rom die unverwechselbar signifikanten Züge seiner schönen Gestalt verdankt, wie den Petersplatz mit seinen Kolonnaden, den Vierströme- Brunnen auf der Piazza Navona und andere Meisterwerke mehr.
Jetzt aber erkenne ich in Berninis Rosenkranz auch die Triebfeder Baddes für dessen staunenswerte Produktivität und Kreativität, die der fe-Medien-Verlag und sein Verleger Bernhard Müller in diesem Jahr – Corona sei ausnahmsweise Dank! – mit ebendiesem wunderbaren Doppelpack vorstellt und dokumentiert. Denn auch in seinem Abendland hat Badde die wichtigsten Orte ja schon wie an einer Perlenschnur aufgereiht. Es ist ein europäischer Rosenkranz, beginnend in Patmos, wo der greise Johannes seine Apokalypse schreibt, in einer Zeitreise hinüber zum Beispiel nach Ephesus oder Aachen, zu Karl dem Großen, nach Lüttich und Orvieto zur Entstehung des Fronleichnamsfestes, nach Paris mit seinen Widersprüchen oder zum Antlitz Christi in der römischen Veronika und dem zweiten Grabtuch nach Turin. Das himmlische Jerusalem der Apokalypse, die Eucharistie und das Antlitz des Herrn sind denn auch die Leitmotive dieser Raum-Zeit-Reise, die unter Baddes Händen zum abendländischen Lobpreis und einem ergreifend spannenden Bittgebet werden.
Und auch der Turm zu Babel, der den Anfang der Chronik in einem Gemälde des holländischen Meisters Marten van Falckenburg ziert, ist ein Sinnbild des Abendlands, mit seinen Etagen, Räumen und Gängen. So verschachtelt wie seine Geschichte und seine Fährnisse, aber auch ein Sinnbild für die große Versuchung des Abendlandes: Hoch hinaus zu wollen und tief zu fallen. Auch diese Erkenntnis bereitet uns Paul Badde in beiden Büchern. Lepanto vor Patras aber, einer der wichtigsten Orte Europas, kommt nicht in seinem Abendland vor, sondern in seinem Heiligen Land, als heilige und dramatische Schnittmenge der beiden Räume, wo Maria selbst dem Abendland auf überwältigende Weise zu Hilfe gekommen ist.
Die Gottesmutter nämlich ist in jedem Raum zu Hause in diesem alten Turm der Zeiträume. "So ist es auch mit dem Rosenkranz, dem Lieblingsgebet der Gottesmutter," schrieb der Autor vor zwölf Jahren am Ende seines Heilig-Land-Buches. "Wer ihn in die Hand nimmt, den nimmt die Madonna an die Hand. Er heiligt jeden Raum, wo er gebetet wird. Der Rosenkranz macht jedes Land zu Heiligem Land. Natürlich ist darum auch in Fatima Terra Sancta oder in Lourdes, Mexiko, Kevelaer, Altötting, Santiago de Compostela. An jedem Pilgerziel und Pilgerweg ist Heiliges Land. Jede Kirche ist ein Fenster zum himmlischen Jerusalem – mit dem Rosenkranz aber auch jede Gefängniszelle, jedes Krankenzimmer."
Und in Rom – selbstverständlich! Wo dann auch der Doppelpack der beiden Bücher endet, wenn Papst Franziskus mit dem "Eucharistischen Antlitz" des Herrn, wie der heilige Johannes Paul das Allerheiligste nannte, das Abendland und die gesamte bedrohte Welt segnet, vor einem leeren und mit dem Blaulicht der Polizei beleuchteten Petersplatz: Welch ein Bild von diesem Hügel Roms! Und was bleibt uns zu tun? Folgen wir Paul Badde auf seinem Pilgerweg von Jerusalem nach Rom! Steigen wir vom Turm von Babel hinunter, aus seinen Gängen und Etagen und stellen wir uns auf den größten der drei Hügel des Heiligabendlandes, um zu beten: "Der für uns am Kreuz gestorben ist." Und: "Der von den Toten auferstanden ist". Die innerste Kammer des Abendlands ist die von einem römischen Legionär mit einer Lanze durchbohrte Herzkammer Jesu, die nach drei Tagen wieder neu zu schlagen und zu leben begann. Wohl nur so werden wir dieses überwältigende Gemeinwesen durch die Jahrtausende, das sich Abendland nennt, verstehen und ganz neu lieben lernen.
Paul Badde, "Abendland: Die Geschichte einer Sehnsucht", ist im Fe-Medienverlag erschienen und hat 464 Seiten.
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