19. Dezember 2020
In der Adventszeit begleitet uns Christen das bekannte Lied “Tochter Zion“ nach dem Text von Johann Friedrich Ranke, komponiert von Georg Friedrich Händel. Auch wenn wir uns in der Familie zu Schriftlesung und Gebet als Hauskirche versammeln, mögen wir in diesem Jahr mit vielleicht gedämpfter Freude in Anbetracht der Zeitläufte, aber doch voll Hoffnung und in gläubiger Zuversicht dem “Sohne Davids“ das “Hosianna“ singen. Der Herr kommt. Bereiten wir ihm die Wege?
Jesus zieht auf dem Fohlen einer Eselin nach Jerusalem ein, gemäß dem Wort des Propheten Sacharja. Für die jüdischen Zeitgenossen, so schreibt Benedikt XVI., sei Jesu Einzug “voll geheimnisvoller Bezüge“ gewesen. Er zieht ein auf einem “geliehenen Esel“, den die Jünger ihm zuführen und “den er gleich hernach seinen Besitzern zurückgeben lässt“.
In allem sei das “Motiv des Königtums und seiner Verheißungen“ gegenwärtig: “Auch dass es sich um ein Tier handelt, auf dem noch niemand gesessen hat, verweist auf königliches Recht.“ Der “angebundene Esel“ verweise “auf den Kommenden“, dem die Völker Gehorsam schuldeten. Der verheißene König wird nicht als politischer Befreier oder machtvoller Held angekündigt. Er sammelt nicht Armeen von Kriegern um sich. Nicht mit den Insignien säkularer Macht und Hoheit ist er ausgestattet. Auf einem Fohlen zieht er ein, auf dem Jungen eines Lasttieres.
Benedikt XVI. schreibt, dass die Prophetenworte auf die “Auslegung der Seligpreisungen“ verweisen würden, auf das rechte Verstehen der Gestalt Jesu: “Er ist ein König, der die Kriegsbogen zerbricht, ein König des Friedens und ein König der Einfachheit, ein König der Armen.“ Er herrscht über ein Reich, “das von Meer zu Meer geht und die ganze Welt umspannt“. Das “weltumfassende Reich Jesu“ werde in den “Gemeinschaften des Brotbrechens“ sichtbar, in der “Gemeinschaft Jesu Christi“ (Joseph Ratzinger: Jesus von Nazareth. Zweiter Teil: Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung. Freiburg im Breisgau 2010, 18 f.).
Wenn wir heute diese Verheißung lesen und bedenken, so können wir uns fragen, ob wir wirklich wissen, wer unser König ist, und ob wir so leben, wie der Herr und die Kirche uns lehren. Oder wollen wir manchmal nicht lieber unsere eigenen Reiche bauen? Treibt es uns nicht in die Öffentlichkeit, um ein anderes Königtum zu errichten, das in der Welt und in den Medien auf mehr Zuspruch und Anerkennung stößt? Wen begrüßen wir tatsächlich mit “Hosianna“? Wem jubeln wir zu? Wessen Botschaften erreichen unser Herz? Wir leben im Advent – ist uns das bewusst? Rechnen wir mit seiner Wiederkehr in Herrlichkeit?
Was Jesus Christus uns bringt und schenkt, woran er uns teilhaben lässt, können wir nicht mit den Verständnisweisen dieser Welt erfassen. Er verhandelt nicht über Waffenstillstand und Abrüstung, er bringt den Frieden Gottes. Seine Hoheit ist nicht herrschaftliches Gebaren, sondern Güte und Barmherzigkeit. Die Nähe zu den Armen ist ihm wesentlich, die Liebe zu den Sanftmütigen und den Milden. Wir dürfen das vielleicht auch so verstehen: Jesus Christus ist der König jener, die keine oder eine nur sehr schwache Stimme haben – und möglicherweise denken wir an die Ungeborenen, deren Leben bedroht ist, an Kinder, die niemand haben möchte und um die sich niemand liebevoll kümmert, an die Sterbenden, die auf dem Weg ins Vaterhaus sind, an die Menschen in aller Welt, die Hunger und Armut leiden. Trotzdem sind viele von ihnen doch auf eine gewisse Weise manchmal so viel reicher als die Satten und Mächtigen, vielleicht auch als wir selbst: Denn die Armen, die reinen Herzens sind, hoffen auf Gottes Liebe.
Benedikt XVI. fährt fort: “Jesus erhebt in der Tat einen königlichen Anspruch. Er will seinen Weg und sein Tun von den Verheißungen des Alten Testaments her verstanden wissen, die in ihm Wirklichkeit werden. Das Alte Testament spricht von ihm – und umgekehrt: Er handelt und lebt im Wort Gottes, nicht aus eigenen Programmen und Wünschen heraus. Sein Anspruch gründet im Gehorsam gegenüber dem Auftrag seines Vaters. Sein Weg ist ein Weg im Innern von Gottes Wort.“ (ebd., 19) Dies ist eine Erinnerung, zugleich aber auch eine Mahnung für die Christen zu allen Zeiten. Wir sind dazu aufgerufen, von uns selbst abzusehen, nicht unsere Pläne und Absichten zu verfolgen, sondern mit hörendem Herzen aus dem Wort Gottes zu leben, um gleichförmig zu werden mit Christus oder, anders gesagt, als Weltchristen der Taufberufung zu entsprechen.
Der Advent, die letzten Tage vor Weihnachten bieten gute Gelegenheiten zu Besinnung und Einkehr, zur geistlichen Schriftlesung und zum Gebet, in der christlichen Familie oder in der meditativen Betrachtung, die jedem Einzelnen möglich ist. Vielleicht werden dann wir alle, Sie und ich, noch “Tochter Zion“ singen oder leise summen. Der “Hosanna-Ruf“ könnte uns gegenwärtig werden, wenn wir auf die Krippe zugehen. Benedikt XVI. sagt, in diesem Ausruf verbinden sich “vielschichtige Empfindungen“: “Freudiger Lobpreis an Gott im Augenblick dieses Einzugs; Hoffnung, dass die Stunde des Menschen angebrochen sei und zugleich Bitte darum, dass das Königtum Davids und in ihm das Königtum Gottes über Israel neu sich ereigne.“ (ebd., 21) Uns alle bewegen Gedanken und Empfindungen besonderer Art in diesen nicht einfachen Zeiten. Mögen wir im späten Advent von innen her aufbrechen, unser Herz bereiten, mit gläubiger Hoffnung und Zuversicht. Mich begleitet seit langem ein Gedanke von Marianne Oswald über die Heiligen Drei Könige: “Reiche, kluge, vorurteilslose Männer zogen in die Fremde, um einen König zu finden. Sie fanden ein spielendes Kind. Aber sie glaubten und fanden Gott.“ Wir alle können heute nichts Besseres tun, als in wenigen Tagen schon zur Krippe zu gehen: Transeamus usque Bethlehem.
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