23. Dezember 2020
Jeder vernünftige Mensch, ob gläubiger Christ oder nicht, wird sich nicht Risiken aussetzen, die er vermeiden kann. Jeder vernünftige Mensch, ob gläubiger Christ oder nicht, vertraut auch auf die evidenzbasierte Medizin. Jeder vernünftige Mensch wird möglicherweise staunen, wie Ute Teichert, Vorsitzende der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD), heute von der WAZ und anderen Zeitungen aus der Funke-Mediengruppe zitiert wird: "In diesem Jahr sollten Präsenzgottesdienste bundesweit untersagt werden. … Weil wir wissen, wie leicht sich das Virus gerade bei Gottesdiensten übertragen kann, dürfen wir zu Weihnachten angesichts der hohen Infektionszahlen kein zusätzliches Risiko eingehen."
Das steht im Gegensatz zu den Empfehlungen der "Leopoldina", die am 8. Dezember 2020 veröffentlicht und von verschiedenen katholischen Medien zitiert wurden: "»Die beiden großen Kirchen gehören zu den besonders regelkonformen Institutionen mit Blick auf die Einhaltung der coronabedingten Abstands- und Hygieneauflagen«, sagte Akademie-Mitglied Christoph Markschies ... Sie hätten meistens vorbildlich gehandelt. »Von daher bestand für die Leopoldina keine Notwendigkeit zu weitergehenden Empfehlungen mit Blick auf die Weihnachtsgottesdienste.«"
Ob es klug ist, vor Weihnachten die Verunsicherung zu vermehren? Wenn es Erkenntnisse zur Übertragung des Virus "gerade bei Gottesdiensten" gibt, warum werden sie nicht publiziert und erklärt? Wer naturwissenschaftlich argumentiert, wirbt um Einsicht, legt Argumente, Zahlen und Daten vor. Sonst bleibt eine Stellungnahme wie diese eine schnell sich verbreitende Meinung, die nicht zur Aufklärung beiträgt, sondern die Konfusion vermehrt. Was mich betrifft, so misstraue ich allen alternativen Heilverfahren jenseits der Schulmedizin, jeder mit Frömmelei verbundenen Naivität und Verschwörungstheorien jeglicher Art. Ich erwarte von der Medizin, dass sie evidenzbasiert ist, nicht mehr, nicht weniger.
Im August 2017 wurde das "Münsteraner Memorandum Heilpraktiker" publiziert, mit Blick auf die "Gefährdung durch das unkontrollierte Feld des Heilpraktikerwesens".
Die Autoren, darunter Ärzte, Medizinethiker und der renommierte Wissenschaftsphilosoph Paul Hoyningen-Huene, wählten einen pointierten Vergleich: "Es wäre undenkbar, Brückenbau auf der Grundlage spiritueller Statik zuzulassen oder jemandem die Steuerung eines Flugzeugs anzuvertrauen, dessen ganze Kompetenz in einem erfolgreich absolvierten Workshop über die Sage des Ikarus besteht." In der Medizin sollte also auch nicht spekuliert werden.
Wenn evidenzbasierte Forschungsergebnisse bestehen, dass Gottesdienste unter den bestehenden Hygieneauflagen zu einer leichten Ausbreitung des Corona-Virus führen, dann sollten sie zügig vorgestellt werden. Dann – aber auch nur dann – sollten auch meiner unmaßgeblichen Meinung nach öffentlich gefeierte Weihnachtsgottesdienste untersagt werden. Wenn diese evidenzbasierten Forschungsergebnisse aber nicht vorliegen sollten, warum hören wir dann kurz vor Weihnachten Statements dieser Art von besorgten Ärzten?
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