16. Januar 2021
Unser Beten und unser Leben heute drücken die Hoffnung und Erwartung auf die Wiederkunft des Herrn aus – oder nicht? Wissen wir eigentlich, dass wir im Vaterunser immer wieder darum bitten, dass sein Reich kommen möge?
Benedikt XVI. hat empfohlen, den Blick „freizuhalten zu Gott hin“ und wachsam zu bleiben: „Wachheit bedeutet zuallerst Offenheit für das Gute, für die Wahrheit, für Gott, mitten in einer oft unerklärlichen Welt und mitten in der Macht des Bösen. Sie bedeutet, dass der Mensch mit aller Kraft und mit großer Nüchternheit das Rechte zu tun versucht, dass er nicht nach seinen eigenen Wünschen lebt, sondern nach der Wegweisung des Glaubens.“
Freilich können wir uns zur Wachsamkeit bekennen und uns doch verschließen in der behaglichen, gemütlichen Sphäre eines ungestörten Dahinlebens, nicht gänzlich unbekümmert und sorglos, aber doch beruhigt und zufrieden. Wer nicht mehr ernsthaft mit Gott rechnet – ob getauft oder nicht –, mag noch christliche Werte schätzen, die abendländische Kultur anerkennen und in geselliger Runde für eine neue kirchliche Geschmeidigkeit, ganz auf der Höhe der Zeit, plädieren. Ausdruck der christlichen Existenzweise ist aber mitnichten ein blasiertes Kulturchristentum. Benedikt fragt deutlich mit Blick auf den wiederkommenden Herrn: „Erwarten ihn, oder erwarten wir ihn lieber nicht?“ (Joseph Ratzinger – Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. Zweiter Teil: Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung. Freiburg im Breisgau 2010, 313)
In der Apokalypse wird die Zusage der Wiederkunft gegeben, es ist der „hoffende Schrei nach der Nähe Jesu in einer Not, in der nur er noch helfen kann“. Benedikt XVI. fragt auch: „Sollte die verfallende Welt uns denn lieber sein als der Herr, auf den wir noch warten?“ Wir warten und hoffen auf das endgültige Kommen des Herrn. Zwar sei er mitten unter uns schon präsent, die Bitte um sein Kommen sei nicht bloß „futurisch“, sondern lebendige „Gegenwartserfahrung“ (ebd., 314) – in der Eucharistie: „Der Herr kommt durch sein Wort; er kommt in den Sakramenten, besonders in der heiligsten Eucharistie; er kommt durch Worte oder Ereignisse in mein Leben hinein.“ (ebd., 316)
Darüber hinaus denken wir an die Heiligen, in denen das Geheimnis und die Botschaft Christi neu gegenwärtig werden, in denen das Licht der Welt aufgeleuchtet ist. Die Heiligen, so Benedikt, bringen „neue Einbrüche des Herrn in die verworrene und von ihm wegtreibende Geschichte ihres Jahrhunderts“.
Es ist eine Erfahrung des technischen Zeitalters, so des 20. Jahrhunderts, in dem Wissen und Macht des Menschen so weit fortgeschritten zu sein schienen, dass Heilige gerade in der gläubigen Einfachheit sichtbar geworden sind – denken wir etwa an Bernadette Soubirous, an Theresia vom Kinde Jesus oder Bruder Konrad von Parzham. Wir hoffen auf ihre Fürsprache, ebenso wenden wir uns im Gebet an die großen Heiligen der Kirchengeschichte oder heute, im 21. Jahrhundert, auch an Johannes Paul II. und Mutter Teresa.
Beten wir heute eigentlich noch: Komm, Herr Jesus? Benedikt führt aus: „Können wir also um das Kommen Jesu beten? … Ja, wir können es. Nicht nur das: Wir müssen es! Wir bitten um Antizipationen seiner welt-erneuernden Gegenwart. Wir bitten ihn in Augenblicken persönlicher Bedrängnis: Komm, Herr Jesus, und nimm mein Leben hinein in die Gegenwart deiner gütigen Macht. Wir bitten ihn, dass er Menschen, die wir lieben oder um die wir Sorge tragen, nahe werde. Wir bitten ihn, dass er in seiner Kirche wirksam gegenwärtig werde.“ (ebd., 317) Ja, darum beten wir, darum bitten wir inständig und sehnsüchtig: Komm, Herr Jesus!
Benedikt schreibt, Jesus sei segnend aus der Welt geschieden, als er zum Himmel emporgehoben wurde: „Segnend geht er, und im Segnen bleibt er. Seine Hände bleiben ausgebreitet über diese Welt. Die segnenden Hände Christi sind wie ein Dach, das uns schützt. Aber sie sind zugleich eine Gebärde der Öffnung, die die Welt aufreißt, damit der Himmel in sie hineindringe, in ihr Gegenwart werden kann. … Im Glauben wissen wir, dass Jesus seine Hände segnend über uns ausgebreitet hält. Dies ist der bleibende Grund christlicher Freude.“ (ebd., 318)
Wir wissen auch: An Gottes Segen ist alles gelegen. Aber wissen wir es wirklich? Erfüllt uns diese Gewissheit im Glauben? Leben wir von innen her aus der Freude am Glauben – und strahlen wir diese Freude aus? Unser ganzes Leben wachsen wir vielleicht immer tiefer in den Glauben der Kirche hinein, oft in wechselvollen Wendungen, auf verschlungenen Pfaden, auch durch Anfechtungen hindurch. Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt, wie dies Kardinal Ratzinger vor 25 Jahren in dem bekannten Gespräch mit Peter Seewald, in dem Buch „Salz der Erde“, bereits gesagt hat. Darauf dürfen wir zuinnerst vertrauen. Diese eine Bitte begleitet vielleicht uns alle: Komm, Herr Jesus!
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