11. Februar 2021
Der Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg gehört zu den prominentesten Kritikern der sogenannten „Gendersprache“. Ist er deshalb konservativ? Müssen Argumente sofort in Schubladen sortiert werden? Wer sich selbst als unpolitisch bezeichnet, argumentiert, steht und bewegt sich zugleich mitten in der Gesellschaft, in der er unausweichlich lebt. Indessen darf ein Katholik, der darauf hofft, der „Civitas Dei“ (also der „Bürgerschaft Gottes“) mehr, anders und tiefer verbunden zu sein als der „Civitas terrena“ (der „irdischen Bürgerschaft“), vielleicht die Formulierung des Unpolitischen aufgreifen und zum Nachdenken anregen.
Teile der jüngeren und älteren Mitglieder des „Synodalen Weges“, ob Kleriker oder Weltchristen, mehr noch Vertreter aus den Medien, arbeiten – ob absichtlich oder nicht – mit politischen Kategorien und Begriffen, wenn sie versuchen, die Beweggründe anderer einzuordnen, zu qualifizieren oder vielleicht sogar zu verstehen. Ich gestehe freimütig, dass ich sowohl konservativ als auch progressiv bin. Warum? Weil ich ganz und gar zu dem stehe, was Papst Franziskus in seinem Brief an das „pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ am 29. Juni 2019 geschrieben hat und zugleich bezweifle, dass der „Synodale Weg“ in Deutschland hiervon maßgeblich geprägt ist. Wer in kirchenpolitischen Kategorien denkt, würde Papst Franziskus, der die Priorität der Evangelisierung betont, als „konservativ“ bestimmen. Und ich denke mit dem Kirchenvater Ambrosius: „Ubi Petrus, ibi ecclesia.“ (= „Wo der Papst ist, ist die Kirche.“) Wenn unser Heiliger Vater konservativ ist, so bin ich das auch. Mir scheint aber weiterhin, dass nicht die Agenda des „Synodalen Weges“ oder die durchaus lebensbedrängenden Fragen vieler Einzelner – wiederum politisch formuliert – die „Avantgarde“ sind, also neue Ideen, aus denen wirklich neues kirchliches Leben erwächst, sondern dass es sich um ein im Wesentlichen klassisches Programm von Christen handelt, das in dieser oder ähnlicher Form schon oft artikuliert wurde, von Professoren, von Meinungsmachern, von streitbaren, eigensinnigen Geistern wie Eugen Drewermann und Uta Ranke-Heinemann und auch von Politikern, die führend sind in Laienorganisationen wie dem „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“. Wenn wir die Kirchengeschichte betrachten, so erwuchs die wahre Erneuerung der Kirche niemals aus einem Konvolut an vermeintlich avantgardistischen Ideen oder Absichten der Weltgestaltung. Die Heiligen, etwa die Gründer der Ordensgemeinschaften, gehören zu den Vorbildern im Glauben und zu den Erneuerern der Kirche. Ihr Beispiel macht Mut und schenkt Hoffnung, das gilt für Theresia vom Kinde Jesus genauso wie für Johannes Paul II., das gilt in gleicher Weise für uns namentlich unbekannte Märtyrer überall auf der Welt, die dem Glauben der Kirche im Leben und Sterben treu geblieben sind. Im Lauf meines Lebens habe ich die Kirche des Herrn stets als Herberge und Obdach erfahren, auch vor den Zumutungen in Schule, Universität, Gesellschaft und Politik. Die Kirche bezeugte die Wahrheit des Glaubens und die Wirklichkeit dessen, was in den Ordnungsschemata dieser Welt nicht zu fassen ist. Wegen der Treue zum Glauben der Kirche wurden viele von uns – ich auch – skeptisch belächelt, verhöhnt, manchmal angefeindet oder verlacht. Ich war, bin und bleibe davon überzeugt, dass die Kirche die Stiftung Jesu Christi ist. Wer darüber lachen möchte, der soll es tun – und weiß nicht, was er tut. All das Grimmige, Ironische und Gehässige hat viele von uns vielleicht traurig gemacht, aber im Innersten nicht beeindruckt. Auch deswegen widerspreche ich, wie unter anderem auch Kardinal Woelki, Erzbischof Gänswein und Bischof Voderholzer, jeder Rede von einer „DNA der Kirche“, in der die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche auf eine bloße Einrichtung dieser Welt reduziert werden soll.
Wer römisch-katholisch ist, sozusagen also Fundamentalist im Sinne des Credos der Kirche, so denke ich, der ist konservativ und progressiv: Es gilt zum einen, das Evangelium und die Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte, das „depositum fidei“ zu schützen, zu bewahren und zu verteidigen – und zu verkündigen. Zugleich wissen wir, dass die Kirche des Herrn ihre Bestimmung verfehlt, wenn sie sich als ein Museum für abendländische Kulturgeschichte versteht oder als ein zeitgeistliches Kulturchristentum begreift. Die Botschaft geht nach vorne, in die Zukunft. Progressiv sein heißt: zu evangelisieren, von Gott zu sprechen und als Christ in dieser Welt zu leben. „Ad gentes“ heißt das Missionsdekret des Zweiten Vatikanischen Konzils und bekundet: „In der gegenwärtigen Weltlage … ist die Kirche, die da ist Salz der Erde und Licht der Welt, mit verstärkter Dringlichkeit gerufen, dem Heil und der Erneuerung aller Kreatur zu dienen, damit alles in Christus zusammengefaßt werde und in ihm die Menschen eine einzige Familie und ein einziges Gottesvolk bilden. Im Dank gegen Gott ob der trefflichen Arbeit, die durch den hochherzigen Einsatz der ganzen Kirche bislang vollbracht wurde, will diese Heilige Synode deshalb die Grundsätze der missionarischen Tätigkeit umreißen und die Kräfte aller Gläubigen sammeln, damit das Volk Gottes, auf dem schmalen Weg des Kreuzes voranschreitend, die Herrschaft Christi des Herrn, vor dessen Augen die Jahrhunderte stehen, ausbreite und seiner Ankunft die Wege bahne.“ Die Kirche hat dieses Licht nicht aus sich selbst, weder aus einem Geist des Konservativismus oder des Progressismus: Licht kann die Kirche nur Christus schenken, wenn sie durchlässig ist für den Herrn, wenn Er in Seiner Kirche gegenwärtig ist und Sein Licht in der Kirche aufleuchtet. Die Kirche ist darum auch die größte internationale Hoffnungsbewegung, die ich kenne. Darum darf die Kirche nicht provinziell- und regionalkatholisch werden, sondern muss römisch-katholisch bleiben. Sie ist hineingesandt in die Welt, um die „Zeichen der Zeit“ – auch in Deutschland – im Licht des Evangeliums zu deuten. Wer sich daran orientiert, bewegt sich außerhalb kirchenpolitischer Denkschemata.
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