24. Juni 2021
Vor mehr als zwei Jahren, am 2. Februar 2019, publizierte die vatikanische Kongregation für das katholische Bildungswesen eine wichtige Schrift zur vieldiskutierten Gender-Debatte. Es hat sehr, sehr lange gedauert bis zum Erscheinen der deutschsprachigen Fassung – warum eigentlich? Nichtsdestoweniger, endlich liegt der Text vor. Auf einige Aspekte dieses Schreibens sei verwiesen.
In Abschnitt 1 lesen wir: „Die anthropologische Desorientierung, die vielfach das kulturelle Klima unserer Zeit kennzeichnet, hat sicher dazu beigetragen, die Familie zu zerstören, mit der Tendenz, die Unterschiede zwischen Mann und Frau, die als schlichte Ergebnisse einer geschichtlich-kulturellen Konditionierung betrachtet werden, zu destabilisieren.“ Von solchen Auflösungserscheinungen berichtet die zeitgenössische Theologie in Deutschland eher selten.
Der „Synodale Weg“ begleitet die Vielfarbigkeit und Buntheit bestehender Lebens- und Beziehungsverhältnisse eher mit Sympathie. Positiv ist, dass in dem Dokument wissenschaftliche Forschungen von ideologischen Erstarrungen unterschieden werden. Geworben wird einerseits für einen Dialog, andererseits wird auch auf notwendige Abgrenzungen hingewiesen. In Abschnitt 4 steht: „In der Mitte des Jahrhunderts entsteht dann eine Forschungsrichtung, die darauf drängt, sowohl die äußere Bedingtheit als auch deren Einflüsse auf die persönlichen Determinationen zu betonen. Auf die Sexualität übertragen, wollten diese Forschungen zeigen, dass die sexuelle Identität mehr mit einer gesellschaftlichen Konstruktion zu tun hat als mit einer natürlichen oder biologischen Gegebenheit.“ Die Kongregation würdigt zahlreiche Forschungen, die der Würde der Person dienen und bestehende Machtverhältnisse in Familienstrukturen sowie auch in Beziehungen klarsichtig enthüllt haben. Auch ich würde sagen: Alles, was der Gleichberechtigung von Mann und Frau in Staat und Gesellschaft dient, ist zu begrüßen.
In den Abschnitten 19 und 20 wird allerdings entschiedene Kritik an bestimmten Richtungen der Gender-Theorien geübt: „Die Gender-Theorien – insbesondere die radikalster Form – zeigen einen fortschreitenden Prozess der De-Naturalisierung oder der Entfernung von der Natur hin zu einer totalen Option für die Entscheidung des emotionalen Subjekts. Mit dieser Haltung werden sexuelle Identität und Familie Dimensionen der postmodernen „Verflüssigung“ und „Fluidität“: gegründet allein auf eine falsch verstandene Freiheit des Fühlens und des Wollens statt auf die Wahrheit des Seins; auf das momentane Verlangen des emotionalen Impulses und auf den individuellen Willen. … Alle diese Theoriebildungen – von den moderaten bis hin zu den radikalsten – halten daran fest, dass das soziale Geschlecht (Gender) letztlich wichtiger ist als das biologische Geschlecht (Sex). Das bedeutet zunächst eine kulturelle und ideologische Revolution relativistischer Prägung, und dann, an zweiter Stelle, eine juristische Revolution, weil diese Ansprüche besondere individuelle und gesellschaftliche Rechte fördern.“ Manche dieser Theorien seien „völlig gelöst … von der biologischen Differenz zwischen Mann und Frau“.
In Abschnitt 25 heißt es: „Der Versuch, den konstitutiven Unterschied von Mann und Frau zu überwinden, wie es in der Intersexualität oder im Transgender der Fall ist, führt zu einer männlichen und weiblichen Ambiguität, die auf widersprüchliche Weise jene sexuelle Differenz voraussetzt, die man negieren oder aufheben will.“ Ob diese vatikanische Klarstellung von Moraltheologen und Bischöfen in Deutschland Zustimmung findet? Selbstverständlich werden in dem Dokument auch alle Diskriminierungen abgelehnt und scharf verurteilt. Mir scheint, dass liebevolle Achtsamkeit und respektvolle Sensibilität im Umgang mit der menschlichen Person und ihrer Emotionalität wie den Empfindungen sehr wichtig sind und dass jede Form von feindseligem Spott und zersetzender Ironie wie höhnischer Geringschätzung zurückzuweisen sind, im Sinne des Evangeliums. Ebenso wichtig ist es, im Sinne des Evangeliums, an das Naturrecht zu erinnern.
Die Bildungskongregation verweist darum auf das christliche Menschenbild, auf Schrift und Tradition, und bekräftigt in Abschnitt 34: „Es ist nötig, die metaphysische Wurzel der sexuellen Differenz zu unterstreichen: In der Tat sind Mann und Frau die beiden Modalitäten, in denen sich die ontologische Wirklichkeit der menschlichen Person ausdrückt und verwirklicht. Das ist die anthropologische Antwort auf die Negation der Dualität männlich und weiblich, aus der die Familie entsteht.“ Die Lehre der Kirche kommt insbesondere in Abschnitt 36 zum Ausdruck: „Die Familie ist der natürliche Ort, an dem diese Beziehung der Gegenseitigkeit und der Gemeinschaft zwischen dem Mann und der Frau volle Verwirklichung findet.“ Besonders in der christlichen Erziehung – in der Familie, aber auch in der Schule – soll dieses positive Bild der Familie sensibel vorgestellt werden.
In Abschnitt 46 heißt es darum: „Wenn Familie, Schule und Gesellschaft gemeinsam vorgehen, können sie Bildungs- und Erziehungsprogramme ausarbeiten, die zur Affektivität und zu einer Sexualität anleiten, die auf die Achtung des Leibes des Anderen ausgerichtet sind und auf die Zeiten der eigentlichen sexuellen und affektiven Reifung achten, indem sie den physiologischen und psychologischen Besonderheiten und ebenso den neurokognitiven Wachstums- und Reifungsphasen der Mädchen und Jungen Rechnung tragen, so dass sie sie auf gesunde und verantwortliche Weise in ihrem Wachstum begleiten.“ Dieses vatikanische Dokument, in dem auch die authentische Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils wiedergegeben wird und apostolische Schreiben der Päpste von Johannes Paul II. bis zu Franziskus Resonanz finden, sei allen Katholiken zur aufmerksamen Lektüre empfohlen.
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