15. Januar 2022
Wir alle kennen Augenblicke, Momente und Erfahrungen, die uns weltlich hoffen lassen: Dass der Zug pünktlich ist, dass eine Freundschaft Bestand hat und sich weitet, dass uns dies oder jenes gelingen möge. In Krisenzeiten hoffen viele Menschen auf den Erhalt ihrer Arbeitsstelle. Auch der in der Corona-Zeit gängige Gruß „Bleib gesund!“ drückt eine Hoffnung, einen Wunsch aus. Benedikt denkt über die „kleineren oder größeren Hoffnungen, die uns Tag um Tag auf dem Weg halten“, in „Spe salvi“ nach.
Diese Hoffnungen sind alle menschlich verständlich, doch sie genügen nicht. Wir leben aus der „großen Hoffnung, die alles andere überschreiten muß“: „Diese große Hoffnung kann nur Gott sein, der das Ganze umfaßt und der uns geben und schenken kann, was wir allein nicht vermögen. Gerade das Beschenktwerden gehört zur Hoffnung. Gott ist das Fundament der Hoffnung – nicht irgendein Gott, sondern der Gott, der ein menschliches Angesicht hat und der uns geliebt hat bis ans Ende: jeden einzelnen und die Menschheit als ganze. Sein Reich ist kein imaginäres Jenseits einer nie herbeikommenden Zukunft; sein Reich ist da, wo er geliebt wird und wo seine Liebe bei uns ankommt. Seine Liebe allein gibt uns die Möglichkeit, in aller Nüchternheit immer wieder in einer ihrem Wesen nach unvollkommenen Welt standzuhalten, ohne den Elan der Hoffnung zu verlieren.“
Scheint aber nicht manchmal alles wie hoffnungslos geworden zu sein? Wirkt die Kirche nicht erschöpft, ausgezehrt und müde – oder wie ein „Lernort der Hoffnung“? Benedikt verweist auf das Geschenk und die Gabe des Gebetes und ermutigt zum Beten: „Wenn niemand mehr mir zuhört, hört Gott mir immer noch zu. Wenn ich zu niemand mehr reden, niemanden mehr anrufen kann – zu Gott kann ich immer reden. ... Wenn ich in eine letzte Einsamkeit verstoßen bin: Der Betende ist nie ganz allein.“
Der Betende ist nie allein – ein schönes Wort, ja mehr noch: eine Verheißung. Im Beten der Kirche weitet sich der Horizont. Wir erfahren, dass wir als pilgernde Familie Gottes unterwegs sind, verbunden mit unseren Schwestern und Brüdern im Glauben, die uns vorausgegangen sind, in Gemeinschaft mit der Kirche auf der ganzen Welt und mit den Heiligen. Wir lernen so – immer wieder neu – miteinander zu beten. Beten heißt nicht: Wünsche zu äußern, die an Fantasiegestalten wie die „gute Fee“ gerichtet wären. Wir haben keine Wünsche frei, aber wir dürfen wünschen und hoffen, den Willen Gottes zu erkennen und ihm zu entsprechen.
Benedikt XVI. legt dar: „Beten bedeutet nicht, aus der Geschichte auszusteigen und sich in den privaten Winkel des eigenen Glücks zurückzuziehen. Rechtes Beten ist ein Vorgang der inneren Reinigung, der uns gottfähig und so gerade auch menschenfähig macht. Im Beten muß der Mensch lernen, was er von Gott wirklich erbitten darf – was Gottes würdig ist. Er muß lernen, daß er nicht gegen den anderen beten kann. Er muß lernen, daß er nicht um die oberflächlichen und bequemen Dinge bitten darf, die er sich gerade wünscht – die falsche kleine Hoffnung, die ihn von Gott wegführt. Er muß seine Wünsche und Hoffnungen reinigen. Er muß sich von seinen stillen Lügen befreien, mit denen er sich selbst betrügt: Gott durchschaut sie, und die Konfrontation mit Gott nötigt ihn, sie selbst zu erkennen.“
So hat das Gebet eine „reinigende Kraft“, und es wird auch „geführt und erleuchtet“ von den „großen Gebetsworten der Kirche und der Heiligen, vom liturgischen Gebet, in dem der Herr uns immer wieder recht zu beten lehrt“. Beispiele hierfür sind der Rosenkranz, das Vaterunser und das Ave Maria: „Im Beten muß es immer dieses Ineinander von gemeinschaftlichem und persönlichem Gebet geben. So können wir mit Gott reden, so redet Gott zu uns. So geschehen an uns die Reinigungen, durch die wir gottfähig werden und die uns befähigen, den Menschen zu dienen. So werden wir der großen Hoffnung fähig, und so werden wir Diener der Hoffnung für die anderen: Hoffnung im christlichen Sinn ist immer auch Hoffnung für die anderen. … [Die christliche Hoffnung] ist aktive Hoffnung gerade auch in dem Sinn, daß wir die Welt für Gott offenhalten. Nur so bleibt sie auch wahrhaft menschlich.“
Im Beten also wird unser Herz weit. Wir öffnen uns für Gott und so auch einander. Wir sehen nicht auf uns selbst, sondern wenden den Blick von uns auf den Willen Gottes. Die Schönheit des Gebetes müssen wir immer neu entdecken, leben und lieben lernen. Der „Elan der Hoffnung“, von dem Benedikt XVI. spricht, erwächst also nicht aus Strukturdebatten, Statements und dem bunten Strauß an im Letzten unerheblichen kirchlichen Reformprogrammen, die es immer wieder gegeben hat und immer wieder geben wird, sondern aus dem Beten. Das ist eine sehr realistische Einsicht, denn Schwung, Elan und Erneuerung erwachsen nicht aus Streit und Debattierlust, sondern aus der Begegnung im Gebet mit dem liebenden, gütigen und barmherzigen Gott.
Die Geistlichen Betrachtungen zu den Enzykliken Papst Benedikt XVI. finden Sie hier im Überblick.
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