1. September 2016
Viel nackte Haut bedeckt die Atlantikküste Frankreichs dort, wo sich Urlauber von der Sonne das braune oder manchmal auch rote Kleid anziehen lassen, das später als Beweismittel der Erholung dienen soll. Die alte Weisheit, dass mit der Kleidung auch die sozialen Unterschiede zwischen den Menschen verschwinden, verliert in einer Zeit, in der die plastische Chirurgie aus dem Menschen ein erstaunliches Kunstwerk machen kann an Substanz. In diesem Sommer geht es an den Stränden jedoch nicht nur um ein Outing der Fitness und der Größe des Budgets für den Schönheits-Doc – das Schwimmvergnügen wird für einige gewollt oder ungewollt auch zu einem religiösen Statement.
Es scheint zunächst fast lächerlich wenn ein halber Kontinent das mediale Sommerloch damit zu füllen versucht, dass an einem französischen Strand einige Frauen anstatt einem Badeanzug, einem Bikini, oder eben Garnichts eine Art etwas zu weiten Neoprenanzug mit Kapuze tragen. Die Hitze mit der dieses Thema in Frankreich diskutiert wird, weist jedoch darauf hin, dass es hier nicht nur um das Problem der Vereinbarkeit von individuellen Keuschheitsvorstellungen und Hygienevorschriften geht. Der große Wert, der hier angegriffen scheint, ist die Laizität als Grundfeste des postrevolutionären Frankreichs. Warum jedoch die religiös motivierte Wahl der Badebekleidung überhaupt zu einer politischen Kategorie werden kann, wird erst dadurch verständlich, dass es nicht nur die Trennung von Religion und Politik ist, die gefordert wird, sondern die vollständige Trennung von Religion und Gesellschaft.
Der Weg, den unser großer Nachbar geht, um der Religion den richtigen Platz in der Öffentlichkeit zuzuweisen, kann sowohl für die Politik, als auch für die Katholische Kirche in Deutschland als Vergleichsmoment von Nutzen sein.
Ein persönlicher Einblick in die Auswirkungen der laizistischen Politik auf die Religiosität der Katholiken, ließ mich zu nächst ein wenig neidisch werden. Die Kirche in Frankreich hat nicht nur die lebendigsten und für junge Katholiken attraktivsten geistlichen Gemeinschaften der letzten Jahrzehnte hervorgebracht – ich denke da etwa an die Communauté Saint Martin, die nicht nur in Frankreich junge Männer anzieht, oder die Gemeinschaften von Jerusalem, die es schaffen, das monastisches Ideal in unserer Zeit authentisch zu leben – sondern kann auch eine Erfolgsgeschichte der überlieferten Liturgie vorweisen, die in Frankreich konstant viele Menschen in die Kirchen zieht. Besonders hier ist das Bild der Gemeinde zumeist ein völlig anderes als man es aus Deutschland vielleicht kennt. Rein äußerlich zeigen sich enge Familienverbände mit meist mehr als drei oder vier Kindern, die durch homogen klassische Frisur und Kleidung schon von weitem als Teil des katholischen Milieus identifiziert werden können. Natürlich ist dieses Bild etwas überzeichnet. Es zeigt jedoch, wie die Verbannung des Religiösen aus dem politischen Bereich dazu führt, dass die für einen Christen immer existierende Notwendigkeit der sozialen Konsequenz seines Glaubens sich in einer Realisierung der eigenen Vorstellungen in einem geschlossenen gesellschaftlichen Mikrosystem niederzuschlagen scheint. Man könnte meinen, der Säkularismus mache die Menschen in ihrer Glaubensausübung weniger politisch und mehr spirituell – betrachtet man jedoch die inneren politischen Diskussionen des französischen Katholizismus, scheinen diese oft mehr durch das Milieu, als durch einen direkten Bezug auf die kirchlichen Lehren geprägt zu sein. Im Milieu verbinden sich Traditionen und Ideenwelten einer bestimmten bürgerlichen oder aristokratischen Klasse mit der katholischen Glaubenswelt. Die Verwurzelung im Glauben geht mit der Verwurzelung im Milieu einher. Dies mag vielleicht erklären, wie die für einen ultramontan geprägten Deutschen sehr schwer verständliche enge Verbindung von Katholizismus mit einem leidenschaftlichen Patriotismus funktionieren kann.
Es ist sicher nur ein schmaler Einblick in das vielseitige katholische Leben in Frankreich, den ich gewinnen konnte. Ohne Frage liegt dessen eigentliche und große Stärke in der lebendigen Spiritualität und der typisch christlichen Betonung der Gemeinschaft.
Die Frage vor deren Hintergrund mir die Betrachtung jedoch interessant scheint, ist eben die Auswirkung des Laizismus auf den Charakter der Religion im Land. Wenn die Religion keinen Platz im öffentlichen und politischen Raum hat, dann wird sie zum Milieu und ihre Forderungen werden vom Staat als Lobbyarbeit bewertet. In dieser Weise ist die Stellung des Islam und des Christentums in Frankreich völlig identisch – außer vielleicht, dass die Einheitstracht der typischen französischen Familien dem ästhetischen Empfinden der Franzosen eher zuspricht, als weite verhüllende Tücher.
Zieht man hier einen Vergleich zur deutschen Situation, wird zunächst deutlich, dass die immer noch privilegierte Position der Kirchen in Deutschland eine Milieubildung nicht unbedingt notwendig macht. Es ist sehr gut möglich, sich auch als Individuum öffentlich auf christliche Werte zu berufen. Politische Statements von Kirchenvertretern werden zwar vielleicht inhaltlich angegriffen, ihre Redeberechtigung jedoch nicht grundsätzlich in Frage gestellt.
Der Einfluss, den die Kirchensteuer auf die unterschiedliche Entwicklung in der Kirche in Deutschland und Frankreich hat, ist sicher grundlegend. Die französischen Bischöfe blicken - ebenso wie die Fassaden verschiedener Dorfkirchen - sicher mit etwas Neid auf die liquiden deutschen Nachbarn. Inwiefern dies gerechtfertigt ist, kann man in ein paar Sätzen wohl nicht beantworten. Maßgeblich scheint mit dabei jedoch die durchaus nicht eindimensionale Frage, ob das Geld die Kirche am Ende zur Freiheit oder in eine Abhängigkeit führt.
In beiden Fällen steht neben der Frage des Geldes auch die (möglicherweise damit verbundene) Frage der gesellschaftlichen Rolle der Kirche und wie diese genutzt wird. Die Bedeutung, die dem Christentum als Grundlage unserer Kultur immer noch, zumindest theoretisch, zugestanden wird, ist ein Erbe der jüngeren Geschichte, das uns langsam verloren geht. Meine erste Reaktion als geübter Diasporakatholik wäre zunächst offensiv: ‚Wenn wir nicht mehr öffentlich mitspielen dürfen, dann gehen wir in die Opposition, dann versuchen wir als kleine, starke Zelle, die Gesellschaft zu verändern.‘ Der Blick nach Westen ist dann ein guter Ratgeber. Natürlich stärkt es den Menschen, Teil einer festen, möglichst geschlossenen Gesellschaft von Gleichgesinnten zu sein. Man hat einen festen Schutzwall, der einen auch scharfe Angriffe leidlich ertragen lässt. Doch ist der Preis dafür die persönliche und die institutionelle Freiheit. Die Freiheit, als Christ auch in anderen Welten leben zu können, die Freiheit, das Evangelium überall zu leben und zu verkünden und die Freiheit, sich selbst allein Angriffen auszusetzen und daran seinen Glauben und seine Liebe wachsen zu lassen.
Das gesellschaftliche Bild der Katholiken in Deutschland ist – historisch bedingt - sehr viel weniger einheitlich als in Frankreich, wir sind keine Subkultur und das ist vielleicht unsere letzte große Chance. Leider machen wir zu wenig daraus. Die Rolle, die die Kirche in der Politik spielt, scheint meist eher dahin zu führen, dass die Kirche zu einem Werkzeug der Ausführung politischer Ziele wird, eine Art Wertelieferant, der im Bedarfsfall konsultiert werden kann. Die Kirche leidet daran, sie verscherbelt wertvolle Güter und wird weniger attraktiv, wenn dies auf Kosten des eigentlichen Schatzes geschieht - des von ihr verwalteten Weges zur Glückseligkeit. Und dennoch ist es nicht die Kirche, die den größten Schaden nimmt, wenn man das Christentum in die Verbannung schickt, sondern es ist die Gesellschaft als Ganzes. Die Manifestierung der christlichen Botschaft in der Gesellschaft ist keine Lobbyarbeit einer großen und dadurch bedeutenden Institution. Sie hat einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen, da sie freie und starke Individuen schafft, die in der Lage sind, als Souveräne eine Demokratie zu ermöglichen die durch zu stark bedeckende Bademoden nicht in ihren Grundfesten erschüttert werden kann.
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