25. Juli 2022
Michelle Bachelet, Hohe Kommissarin für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen (UN) in Genf, sagte: "Bei allen Unterschieden zwischen seinen Mitgliedern bleibt dieser Rat von zentraler Bedeutung für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte, die das Herzstück unserer gemeinsamen Menschlichkeit bilden. Er hat bewiesen, dass er dazu in der Lage ist, und deshalb ermutige ich Sie alle, weiterhin den Dialog zu suchen, bereit zu sein, dem anderen zuzuhören, die jeweiligen Standpunkte zu verstehen und aktiv daran zu arbeiten, eine gemeinsame Basis zu finden, um dauerhafte Lösungen für die Herausforderungen zu finden, die uns alle bedrohen. Die Arbeit dieses Rates wird auch durch die Stimmen und die Beteiligung der Zivilgesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt bereichert, und ich ermutige den Rat, den Beitrag und die Beteiligung an diesem Forum zu erhalten und zu verstärken."
Der Schutz und die Förderung der Menschenrechte bilden das Herzstück unserer gemeinsamen Menschlichkeit, so Bachelet in ihrer Rede während der 50. Versammlung des Menschenrechtsrates im Juni. Ein Thema der Sitzungen waren die Menschenrechte von Migranten.
Migrant kommt vom lateinischen Verb "migrare" und bedeutet so viel wie mit seiner Habe an einen anderen Ort zu ziehen, um dort zu wohnen.
Nicht zuletzt angesichts der Flüchtlingswellen aus Ländern wie Syrien, Afghanistan oder jüngst der Ukraine verschmelzen die Begriffe, da manche Flüchtlinge auch Asylsuchende bzw. Asylanten sind. Andere können, nachdem sie geflohen sind und Asyl erhalten haben, auch Migranten werden.
Migranten, Asylanten, Flüchtlinge, und ob die Aufnahmeländer ihren Verpflichtungen zur respektvollen, würdevollen Behandlung dieser Menschen nachkommen, darüber diskutierte der Menschenrechtsrat bei der UN in Genf. Der Heilige Stuhl war auch mit dabei und lamentierte, dass zu viele Länder dem eben nicht nachkommen bzw. solche Rechte verletzen.
EWTN sprach mit dem Vertreter des Heiligen Stuhls bei der UN in Genf, Erzbischof Fortunatus Nwachuwku.
Exzellenz, können wir den Begriff "Migrant" definieren oder ist er ein Sammelbegriff, der Flüchtlinge und Asylbewerber einschließt?
Vielen Dank. Wie Du ja sicher weißt, gibt es keine internationale rechtliche oder technische Definition des Wortes Migrant. Aber aus dem allgemeinen Sprachgebrauch heraus sagen wir, dass ein Migrant jemand ist, der an einem anderen Ort als seinem gewöhnlichen oder üblichen Aufenthaltsort lebt oder dahin umzieht. Dies kann innerhalb desselben Landes oder über internationale Grenzen hinweg geschehen. Es kann dauerhaft oder vorübergehend sein. Aber in der Regel ist eine solche Bewegung die Folge einer Reihe von Gründen. Das ist die Migration als Ganzes.
Der Unterschied zwischen einem Migranten und einem Flüchtling liegt im Wesentlichen in der Entscheidung. Ein Migrant ist eine Person, die sich dafür entscheidet, den Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts zu verlassen. Der Flüchtling ist eine Person, die gezwungen ist, den Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts zu verlassen, und der Flüchtling ist auf der Suche nach einem Obdach.
Das Wort Asyl kommt aus dem Griechischen und bedeutet "unberaubt", "sicher". Es ist also eine Art Zufluchtsort. Ein Asylbewerber ist also eine Person, die sich von einem Ort entfernt, an dem sie sich bedroht fühlt oder ihr Leben oder ihre Sicherheit bedroht ist, um ein Asyl, einen Zufluchtsort, einen Ort des Schutzes zu finden.
Das ist der Unterschied zwischen einem Migranten und einem Flüchtling oder einem Asylbewerber.
In Ihrem Beitrag bei der Versammlung des Menschenrechtsrates erwähnten Sie die sogenannten "Pushback-Praktiken", d. h. die Zurückweisung von Migranten oder ihre zwangsweise Rückführung in ihr Heimatland. So unhöflich und unmenschlich dies auch sein mag, aber ist dies nicht Teil der Souveränität der Staaten und der Frage, wie die Menschenrechte weltweit durchgesetzt werden können, und wie dies damit im Grunde genommen diese Souveränität der Staaten außer Kraft setzt?
Danke für die Frage. Das Thema Pushback, auch Abschiebung genannt, ist ziemlich wichtig, weil viele Länder – eigentlich alle Länder, die ich kenne – versuchen, den Zustrom von Ausländern in ihr jeweiliges Gebiet so weit wie möglich zu kontrollieren. Und einige Länder sind offener als andere, aber praktisch jedes Land versucht, sich auf sein internes Gleichgewicht und seine Interessen zu konzentrieren. Bei den internationalen Abkommen geht es darum, die Länder zu ermutigen, bei der Steuerung des Einflusses von Fremden auf ihr Territorium offener zu sein und insbesondere auf lebensrettende Maßnahmen zu achten.
Der UN-Sonderberichterstatter empfahl den Ländern, sich lebensrettende Maßnahmen zu eigen zu machen und diese in die nationalen Programme zur Behandlung von Menschen an ihren Grenzen zu integrieren. Und das war eine sehr positive Sache. Wir haben versucht, den Berichterstatter dabei zu unterstützen, denn der Heilige Stuhl besteht darauf, dass die Länder versuchen, die Pushback-Technik oder Zurückweisung zu vermeiden.
Anstelle von Abschiebung, fördern wir die Neuansiedlung. Das ist es, was wir auch "An" statt "Ab" nennen – Ansiedlung anstelle von Abschiebung. Ich denke, das ist wichtig. Wir können einen Staat nicht zwingen, gegen seine internen Interessen zu handeln. Aber wenn ein Staat ein internationales Abkommen gebilligt oder unterzeichnet hat, dann ermutigt die internationale Gemeinschaft den Staat, seine internationalen Abkommen und Verpflichtungen einzuhalten.
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Laut Statistischem Bundesamt in Wiesbaden war Europa im Jahr 2020 für die Migration in Deutschland besonders bedeutsam. Die meisten der 21,9 Millionen Personen mit Migrationshintergrund, also Migranten (nicht Flüchtlinge, nicht Asylanten) stammten aus der Türkei (12,6 Prozent), gefolgt von Polen (9,4 Prozent), Russland (5,6 Prozent), Rumänien und Italien (4,3 bzw. 4,2 Prozent). Kasachstan und Syrien sind mit Anteilen von 5,2 bzw. 4,6 Prozent die wichtigsten nicht-europäischen Herkunftsländer. Mittelfristig wird sich der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund weiter erhöhen. Und noch einmal zur Klarstellung: Diese Zahlen beziehen sich auf Migranten, nicht auf Flüchtlinge und Asylanten, dazu gibt es seperate Statistiken.
Exzellenz, aus christlicher, biblischer Sicht, wie fordert uns die Bibel auf, den Anderen, den Nächsten, den Migranten zu behandeln?
Ich danke auch für diese Frage, denn das ist ein sehr wichtiges, tiefgreifendes und umfassendes Thema, und ich werde versuchen, mich so kurz wie möglich zu fassen.
Ich möchte zunächst auf etwas bedeutsames hinweisen. Am Anfang der Bibel haben wir die Geschichte von Kain und Abel, und wir lesen im Buch Genesis, Kapitel 4, dass Kain aus Neid seinen Bruder Abel getötet hat. Nun, man hätte erwartet, dass eine Person, die sich eines so abscheulichen Verbrechens schuldig gemacht hat, seinen Bruder aus Neid zu töten, auf höchst unbarmherzige Weise behandelt worden wäre.
Und Gott hat Kain in der Tat eine Strafe auferlegt. Wir lesen es in Genesis 4,12, dass Gott zu Kain sagte, er würde ein Flüchtling und ein Vagabund auf der ganzen Erde werden. Und dann sagte Kain zu Gott, dass ihn jemand töten könnte. Und Gott sagte etwas, das in Vers 15 wichtig ist. Er sagte, wenn jemand Kain tötet, wird seine Strafe siebenmal so groß sein wie die von Kain.
Das bedeutet, Gott hat gesagt, dass sogar das Leben des schuldigen Kain heilig ist und geschützt werden sollte. Kain, derjenige, der seinen Bruder getötet hat, bleibt, auch wenn er bestraft wird, sein Leben lang heilig. Das ist etwas, das für uns Christen grundlegend ist. Das Leben ist heilig, auch das Leben der Person, die verurteilt wird. Wenn schon das Leben des Verurteilten heilig ist, dann wieviel mehr das Leben des Unschuldigen, des Migranten, Nicht-Migranten, des Geborenen und Ungeborenen. Das menschliche Leben ist heilig. Das ist die Grundvoraussetzung. Wenn wir also davon ausgehen, dass die Bibel uns sagt, dass das Leben Kains heilig ist, dann erkennen wir, dass das Leben eines jeden Migranten heilig ist. Einige dieser Migranten sind vielleicht Straftäter, die aus ihren Ländern fliehen, sie sollten dem Gesetz unterworfen werden, vielleicht ins Gefängnis kommen, aber auch ihr Leben ist heilig.
Es muss daher zu jeder Zeit den Schutz und Respekt des Lebens des Migranten geben.
Also die Achtung und der Schutz des Lebens, die Achtung und der Schutz der Würde des Migranten und dann die Einbeziehung des Migranten in den Aufbau des Gemeinwohls, das ist der erste Punkt. Aber auf einer breiteren Ebene würde ich sagen, dass die Position der Bibel zu Migranten von den Erfahrungen des Volkes Gottes im Alten Testament und des Sohnes Gottes im Neuen Testament beeinflusst ist.
Nun, die Erfahrung des Volkes Gottes im Alten Testament: Wie wir wissen, ist das Volk Gottes, im Alten Testament, Israel. Und der Text des Buches Deuteronomium, Kapitel 26, insbesondere in den Versen 5 bis 8, beinhaltet das, wo bei der Darbringung der Erstlingsfrüchte und des Zehnten derjenige, der das Opfer bringt, ein Glaubensbekenntnis ablegt.
"Mein Vater war ein umherziehender Aramäer. Er wanderte nach Ägypten aus und wurde dort zu einer großen, sehr bevölkerungsreichen Nation." – Dies fasst die Geschichte des Volkes Gottes zusammen, das zu Gott zurückkehrte und Abraham aufforderte, aus seinem Heimatland in Chaldia in das verheißene Land auszuwandern. Das steht in Genesis 12.
Nach dieser Erfahrung folgen die verschiedenen Wanderungserfahrungen des Volkes Israel, das Exil in Babylon und sogar in jüngster Zeit die Diaspora des Volkes Gottes. Sie haben also die Erfahrung gemacht, Migranten zu sein, Flüchtlinge zu sein, das ist ein integraler Teil ihrer Geschichte. Und das hat die Art und Weise beeinflusst, wie das Alte Testament von Migranten spricht, wie sie behandelt, respektiert und willkommen geheißen, ihr Leben, ihre Würde geachtet und geschützt werden sollten.
Im Neuen Testament: der Sohn Gottes, Gott in Menschengestalt, das fleischgewordene Wort Gottes. Laut Johannes 1,14 wurde Jesus Christus selbst schon als Kind zum Migranten.
Lesen wir das Matthäus-Evangelium, Kapitel 2, ab Vers 13. Als das Leben des Kindes Jesus bedroht war, wurde seinem Vater gesagt, er solle ihn mitnehmen und nach Afrika, nach Ägypten, fliehen, und er wurde zum Migranten. Und das sagt uns, dass Jesus selbst, der die Erfahrung eines Migranten gemacht hat, auch seine Jünger ausgesandt hat, um Migranten in der Welt zu werden.
Also, lesen wir zum Beispiel das zehnte Kapitel des Lukas-Evangeliums, wie es aussieht. Dort geht es um die Erfahrung von Migranten. Zuerst sendet Jesus seine Jünger aus, um zu predigen. Was werden sie tun? Sie werden von Ort zu Ort wandern. Und dann sagt er ihnen: Wenn die Menschen euch aufnehmen, wird das ein Segen sein. Aber diejenigen, die euch ablehnen wenn ihr kommt, schüttelt deren Staub von euren Füßen und bringt nicht den Staub der Ablehnung von Migranten zurück in meine Gemeinschaft.
Und dann, im selben Kapitel über die Mission der Apostel und Jünger Jesu als Umherziehende, die das Wort Gottes bringen, lesen wir diese Geschichte von Vers 25 bis 37 über den Wanderer, der halb tot auf seinem Weg zurückgelassen wurde. Und wir sehen die Geschichte des barmherzigen Samariters, wie er den Migranten behandelte, der von Räubern schlecht behandelt wurde. Und Jesus gibt uns dort ein Beispiel dafür, wie man Migranten behandeln sollte.
Und dann noch weiter, im selben Kapitel, von Vers 38 bis 42, sehen wir Jesus wieder als einen Migranten, der vorbeikommt und von der Frau namens Martha in ihrem Haus willkommen geheißen wird. Papst Franziskus sagt uns in seinem Kommentar zu diesem Text, dass Jesus, bevor er zum Lehrer wird, zuallererst ein Besucher, ein Pilger ist. Migranten könnten also auch Pilger sein. Migranten sind auch Besucher und Jesus sagt uns, wie wir sie behandeln sollen.
Wir könnten sogar noch weiter gehen. Wir könnten über weitere Texte sprechen, in denen Jesus zu uns spricht und uns die Erfahrung der Migration von Menschen vor Augen führt. Man denke an den letzten Auftrag, den er seinen Jüngern gab (Mk 16,15). Er sagt ihnen: Geht in die ganze Welt und verkündet die gute Nachricht. So werden sie in die ganze Welt gehen, um die gute Nachricht zu verkünden. Was werden sie sein? Sie werden Migranten sein, aber Migranten, die das Wort Gottes tragen. Der Standpunkt der Bibel zu Migranten ist also sehr klar.
Ich möchte Ihnen nur einen Fall nennen. Das Buch Levitikus, Kapitel 19, spricht über die Beziehung zwischen uns und unseren Nachbarn. In Vers 10 heißt es ausdrücklich – und die Bibel spricht nicht von Migranten, die Bibel spricht von Fremden. Sie spricht also von der Behandlung der Fremden, die kommen. Die Bibel stellt sie im Allgemeinen auf die gleiche Stufe wie die Armen, die Witwen und die Bedürftigen, die unserer Aufmerksamkeit bedürfen, die unserer Aufnahme bedürfen, die unserer Solidarität bedürfen.
Ein Christ kann daher nicht ablehnen einen Migranten, einen Fremden, als seinen oder ihren Nächsten aufzunehmen.
Während seiner Apostolischen Reise nach Malta im April mahnte Papst Franziskus: "Der andere ist kein Virus, sondern Person." In seiner Begegnung mit Migranten sagte der Papst, es sei sein Traum, dass Migranten nach der Erfahrung einer Aufnahme, die reich an Menschenfreundlichkeit und Geschwisterlichkeit ist, selbst zu Zeugen und Förderern der Aufnahme und der Geschwisterlichkeit werden könnten. Und was für uns unmöglich sei, das sei für Gott nicht unmöglich.
"Ich halte es für sehr wichtig, dass die Migranten in der heutigen Welt zu Zeugen der menschlichen Werte werden", sagte der Heilige Vater. "Es sind Werte, die ihr in euch tragt, die zu euren Wurzeln gehören als kostbares Erbe der Menschlichkeit – das ist der richtige Weg! Der Weg der Geschwisterlichkeit und der sozialen Freundschaft. Hier findet sich die Zukunft der menschlichen Familie in einer globalisierten Welt."
Original-Interview aufgenommen in Genf von Kameramann Andriy Ryndych | Deutsche Sprecher: Christine Wolff, Jan Terstiege | Redaktion, deutsche Übersetzung, Moderation und Schnitt: Christian Peschken für Pax Press Agency, Sarl. Im Auftrag von EWTN.
Hinweis: Dieser Blogpost – sein Inhalt sowie die darin geäußerten Ansichten – sind kein Beitrag der Redaktion von CNA Deutsch. Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln zudem nur die Ansichten der jeweiligen Autoren wider. Die Redaktion von CNA Deutsch macht sich diese nicht zu eigen.
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