29. April 2023
Über den Begriff des Gewissens herrschen viele Meinungen und Auffassungen, die von der Lehre der Kirche abweichen, aber bis weit in den Raum der Kirche hineinreichen. Die am 24. Mai 1990 mit Zustimmung von Johannes Paul II. publizierte Instruktion „Donum verititatis“ sorgt für Aufklärung. Kann sich ein Moraltheologe, der eine von der Lehre der Kirche abweichende Moraltheologie lehrt, auf sein Gewissen berufen? Kardinal Joseph Ratzinger legt dar: „Endlich kann auch der Hinweis, man müsse seinem Gewissen folgen, den Dissens nicht rechtfertigen, denn diese Pflicht wird ausgeübt, wenn das Gewissen das praktische Urteil im Hinblick auf eine zu treffende Entscheidung klärt, während es sich hier um die Wahrheit einer Lehraussage handelt. Wenn ferner der Theologe wie jeder Gläubige seinem Gewissen folgen muß, so ist er auch gehalten, es zu bilden. Das Gewissen ist keine unabhängige und unfehlbare Instanz, sondern vielmehr ein Akt des moralischen Urteils über eine verantwortliche Entscheidung. Das richtige Gewissen aber ist ein Gewissen, das durch den Glauben und das objektive Moralgesetz erhellt ist und damit auch den aufrichtigen Willen zum Erstreben des wahrhaft Guten voraussetzt.“
Das „richtige Gewissen“ des Theologen setze den „Glauben an das Wort Gottes“ voraus, ebenso die „Liebe zur Kirche, von der er seine Sendung erhält, und die Achtung vor dem mit göttlichem Beistand ausgezeichneten Lehramt“. Viele moderne Denker aber behaupten, aus Gewissensgründen nicht dem Lehramt der Kirche folgen zu können. Die Glaubenskongregation antwortet eindeutig darauf: „Dem Lehramt der Kirche ein oberstes Lehramt des Gewissens entgegenstellen heißt, den Grundsatz der freien Prüfung vertreten, was aber mit der Entfaltung der Offenbarung und ihrer Weitergabe in der Kirche sowie auch mit einer korrekten Auffassung der Theologie und der Funktion des Theologen unvereinbar ist. Die Glaubensaussagen sind nämlich nicht das Ergebnis einer rein individuellen Forschung und freien Kritik des Wortes Gottes, sie bilden vielmehr ein kirchliches Erbe. Wenn man sich von den Hirten trennt, die die apostolische Überlieferung lebendig halten, setzt man die Verbindung mit Christus unwiderruflich aufs Spiel.“ Die Kirche ist die Stiftung Jesu Christi und gemäß dessen Willen mit einer Hierarchie ausgestattet, „die zum Dienst am Evangelium und an dem daraus lebenden Volk Gottes bestellt ist“: „Hier liegt eine Regel vor, die sich aus dem eigentlichen Sein der Kirche ergibt. Deshalb darf man auf sie auch nicht schlicht und einfach Verhältnismaßstäbe anwenden, die ihren Seinsgrund in der Natur der bürgerlichen Gesellschaft oder in den Regeln haben, nach denen eine Demokratie funktioniert. Noch weniger darf man die Beziehungen im Inneren der Kirche nach der Mentalität der Welt, die sie umgibt, beurteilen (vgl. Röm 12,2).“ Wer sich auf die „mehrheitliche Meinung“ beruft und sich so etwa in Fragen der Moraltheologie gegen das Lehramt wendet, etwa unter Berufung auf einen „Konsens“ der Theologen oder unter Erhebung des Anspruchs, „der Theologe sei der prophetische Wortführer einer ‚Basis‘ oder autonomen Gemeinschaft, die damit die einzige Quelle der Wahrheit wäre“, der zeigt einen „schwerwiegenden Verlust des Sinns für die Wahrheit und des Sinns für die Kirche“. Theologie und Lehramt hätten verschiedene Aufgaben, müssten sich aber gegenseitig durchdringen und „für den Dienst am Volk Gottes einander bereichern“: „Kraft einer Autorität, die sie von Christus selbst bekommen haben, kommt es den Hirten zu, über diese Einheit zu wachen und zu verhindern, daß die mit dem Leben gegebenen Spannungen nicht zu Spaltungen ausarten. Indem sie die Einzelpositionen oder die Gegensätze übersteigt, muß ihre Autorität sie alle in der Integrität des Evangeliums vereinen, das das „Wort der Versöhnung“ ist (2 Kor 5,18-20). Den Theologen aber kommt es kraft ihres eigenen Charismas zu, auch ihrerseits an der Erbauung des Leibes Christi in Einheit und Wahrheit mitzuwirken, und ihr Beitrag ist für eine Evangelisierung der Welt, die die Kräfte des ganzen Gottesvolkes erfordert, mehr denn je notwendig. Stoßen sie auf Schwierigkeiten, die aus dem Charakter ihrer Forschung entstehen können, dann müssen sie die Lösung in einem vertrauensvollen Dialog mit den Hirten suchen, im Geist der Wahrheit und der Liebe, wie er die Gemeinschaft der Kirche kennzeichnet.“ Wer dem Wort der Kirche unter der Leitung des Lehramtes zustimmt – auch und gerade im Bereich der Morallehre –, der hört auf Christus, auf die Wahrheit. Nur das kirchlich gebildete Gewissen ist das richtige Gewissen. Es hört auf die Stimme Christi. Damit gelten die „Akte der Anhänglichkeit und Zustimmung“ gegenüber der Kirche einzig dem Herrn und „führen in den Raum wahrer Freiheit ein“.
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