13. Mai 2023
In der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ werden Abtreibungen in Abschnitt 51,3 „verabscheuungswürdige Verbrechen“ genannt. Der heilige Johannes Paul II. tritt in der am 25. März 1995 publizierten Enzyklika „Evangelium vitae“ energisch und konzilsgemäß für den unbedingten Lebensschutz ein. Er benennt den „Umfang und die Schwere der Angriffe auf das Leben“, nennt Kriege, Völkermorde und viele Formen der menschenverachtenden Gewalt. Ebenso spricht er von absichtlich herbeigeführten Hungersnöten und dem „skandalösen Waffenhandel“. Zugleich kritisiert der Papst die Zerstörung der Natur und herrschende Praktiken der Sexualität, „die nicht nur in moralischer Hinsicht unannehmbar, sondern auch Vorboten schwerwiegender Gefahren für das Leben sind“.
Besonders hebt Johannes Paul II. die skandalöse Meinungsbildung und das gesellschaftliche Denken über Abtreibung hervor. Angriffe auf das Leben würden „im Bewußtsein der Öffentlichkeit den ‚Verbrechenscharakter‘ verlieren und paradoxerweise ‚Rechtscharakter‘ annehmen, so daß eine regelrechte gesetzliche Anerkennung durch den Staat und die darauf folgende Durchführung mittels des kostenlosen Eingriffs durch das im Gesundheitswesen tätige Personal verlangt wird“. Der Wert des Lebens erleide „eine Art ‚Verfinsterung‘“ in der Welt voller moralischer Unsicherheiten und Irritationen. Eine „wahre ‚Kultur des Todes‘“ wird erkennbar und gefördert „ von starken kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Strömungen, die eine leistungsorientierte Auffassung der Gesellschaft vertreten“. Johannes Paul II. formuliert deutlich: „Wenn man die Dinge von diesem Gesichtspunkt her betrachtet, kann man in gewisser Hinsicht von einem Krieg der Mächtigen gegen die Schwachen sprechen: das Leben, das mehr Annahme, Liebe und Fürsorge verlangen würde, wird für nutzlos gehalten oder als eine unerträgliche Last betrachtet und daher auf vielerlei Weise abgelehnt. Wer durch seine Krankheit, durch seine Behinderung oder, noch viel einfacher, durch sein bloßes Dasein den Wohlstand oder die Lebensgewohnheiten derer in Frage stellt, die günstiger dastehen, wird zunehmend als Feind angesehen, gegen den man sich verteidigen bzw. den man ausschalten muß. Auf diese Weise wird eine Art ‚Verschwörung gegen das Leben‘ entfesselt.“ Hohe Summen wurden in die Entwicklung pharmazeutischer Mittel investiert, die „die Tötung des Fötus im Mutterleib ermöglichen, ohne die Hilfe eines Arztes in Anspruch nehmen zu müssen“: „Die diesbezügliche wissenschaftliche Forschung scheint fast ausschließlich darum bemüht zu sein, zu immer einfacheren und wirksameren Produkten gegen das Leben zu gelangen, die zugleich die Abtreibung jeder Form sozialer Kontrolle und Verantwortung entziehen sollen.“
1995 und auch heute noch wird behauptet, dass die „allen zugänglich gemachte Empfängnisverhütung das wirksamste Mittel gegen die Abtreibung“ sei: „Sodann wird die katholische Kirche beschuldigt, de facto der Abtreibung Vorschuß zu leisten, weil sie weiter hartnäckig die moralische Unerlaubtheit der Empfängnisverhütung lehrt.“ Heute fordern – nicht nur, aber vor allem in Deutschland – katholische Theologen und Bischöfe eine Neuerfindung der katholischen Sexuallehre. Bis weit in die Kirche hinein reicht die Ablehnung des Naturrechts. Die Absichten zielen darauf, die lebensfreundliche Moral- und Sexuallehre durch eine zeitgeistliche Allerweltsmoral zu ersetzen, in der nahezu alles erlaubt ist.
Johannes Paul II. spricht sich gegen die „Verhütungsmentalität“ aus. Die dieser „innewohnenden Pseudowerte verstärken nur noch diese Versuchung angesichts der möglichen Empfängnis eines unerwünschten Lebens“: „In der Tat hat sich die Abtreibungskultur gerade in Kreisen besonders entwickelt, die die Lehre der Kirche über die Empfängnisverhütung ablehnen. Sicherlich sind vom moralischen Gesichtspunkt her Empfängnisverhütung und Abtreibung ihrer Art nach verschiedene Übel: die eine widerspricht der vollständigen Wahrheit des Geschlechtsaktes als Ausdruck der ehelichen Liebe, die andere zerstört das Leben eines Menschen; die erste widersetzt sich der Tugend der ehelichen Keuschheit, die zweite widersetzt sich der Tugend der Gerechtigkeit und verletzt direkt das göttliche Gebot ‚du sollst nicht töten‘.“
Johannes Paul II. leugnet nicht die möglichen existenziellen Schwierigkeiten, die dazu führen, dass Personen sich auf den Weg zu Empfängnisverhütung und Abtreibung begeben, doch „selbst solche Schwierigkeiten“ können „niemals von der Bemühung entbinden, das Gesetz Gottes voll und ganz zu befolgen“. Er stellt zugleich klar, dass die meisten dieser Fälle in einer Mentalität des Hedonismus und der Verantwortungslosigkeit in Bezug auf Sexualität bestimmt werden. Die Grundlage hierfür sei oft ein „egoistischer Freiheitsbegriff“, der „in der Zeugung ein Hindernis für die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit sieht“: „Das Leben, das aus der sexuellen Begegnung hervorgehen könnte, wird so zum Feind, das absolut vermieden werden muß, und die Abtreibung zur einzig möglichen Antwort und Lösung bei einer mißlungenen Empfängnisverhütung“: „Leider tritt der enge Zusammenhang, der mentalitätsmäßig zwischen der Praxis der Empfängnisverhütung und jener der Abtreibung besteht, immer mehr zutage; das beweisen auf alarmierende Weise auch die Anwendung chemischer Präparate, das Anbringen mechanischer Empfängnishemmer in der Gebärmutter und der Einsatz von Impfstoffen, die ebenso leicht wie Verhütungsmittel verbreitet werden und in Wirklichkeit als Abtreibungsmittel im allerersten Entwicklungsstadium des neuen menschlichen Lebens wirken.“ Diese deutlichen Worte aus dieser Enzyklika des heiligen Johannes Pauls II. spielen auf dem deutschen Synodalen Weg keine Rolle – und die Deutsche Bischofskonferenz wäre heute dazu berufen, gegen die Vorhaben der regierenden „Fortschrittskoalition“, den § 218 abzuschaffen, energisch zu protestieren. Wir müssen uns besorgt fragen: Stehen die Bischöfe in Deutschland wirklich geschlossen für den unbedingten Schutz des menschlichen Lebens ein?
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