26. August 2023
Mit Leidenschaft wirbt Johannes Paul II. für einen „neuen Feminismus“ und spricht in der Enzyklika „Evangelium vitae“ über die außerordentliche Berufung der Frauen.
Sie sollen nicht versucht sein, „‚Männlichkeits‘-Vorbildern nachzujagen“, sondern „durch den Einsatz zur Überwindung jeder Form von Diskriminierung, Gewalt und Ausbeutung den echten weiblichen Geist in allen Ausdrucksformen des bürgerlichen Zusammenlebens erkennen und bekunden“. Man darf hierbei eben auch nicht verkennen, dass diese Männlichkeitsvorbilder in sich falsch sind und oft nur einen blinden Karrierismus zu fördern geeignet sind.
Unter Berufung auf das Zweite Vatikanische Konzil appelliert Johannes Paul II. an die Frauen: „Ihr seid berufen, den Sinn der echten Liebe zu bezeugen, jener Selbsthingabe und jener Aufnahme des anderen, die sich zwar auf besondere Weise in der ehelichen Beziehung verwirklichen, die aber die Seele jeder anderen zwischenmenschlichen Beziehung sein sollen.“
Die „Erfahrung der Mutterschaft“ ermögliche zudem eine besondere „Sensibilität für den anderen Menschen“: „Denn die Mutter nimmt einen anderen Menschen auf und trägt ihn in sich, gibt ihm die Möglichkeit, in ihr heranzuwachsen, macht ihm Platz und achtet ihn zugleich in seinem Anderssein. So nimmt die Frau wahr und lehrt, daß die menschlichen Beziehungen glaubwürdig sind, wenn sie sich der Aufnahme des anderen Menschen öffnen, der um der Würde willen anerkannt und geliebt wird, die ihm aus der Tatsache seines Personseins und nicht aus anderen Faktoren, wie Nützlichkeit, Kraft, Intelligenz, Schönheit, Gesundheit, zukommt. Das ist der fundamentale Beitrag, den sich die Kirche und die Menschheit von den Frauen erwarten. Und es ist die unersetzliche Voraussetzung für eine echte kulturelle Wende.“
Johannes Paul II. denkt auch an die Frauen, die sich für eine Abtreibung entschieden haben, und schreibt: „Die Kirche weiß, wie viele Bedingtheiten auf eure Entscheidung Einfluß genommen haben können, und sie bezweifelt nicht, daß es sich in vielen Fällen um eine leidvolle, vielleicht dramatische Entscheidung gehandelt hat. Die Wunde in eurem Herzen ist wahrscheinlich noch nicht vernarbt. Was geschehen ist, war und bleibt in der Tat zutiefst unrecht. Laßt euch jedoch nicht von Mutlosigkeit ergreifen und gebt die Hoffnung nicht auf. Sucht vielmehr das Geschehene zu verstehen und interpretiert es in seiner Wahrheit. Falls ihr es noch nicht getan habt, öffnet euch voll Demut und Vertrauen der Reue: der Vater allen Erbarmens wartet auf euch, um euch im Sakrament der Versöhnung seine Vergebung und seinen Frieden anzubieten. Euer Kind aber könnt ihr diesem Vater und seiner Barmherzigkeit mit Hoffnung anvertrauen.“
Er hofft, dass diese Frauen, die wieder zum barmherzigen Vater gefunden haben, sodann zu wahren „Verfechterinnen des Rechtes aller auf Leben“ werden – in einer „lebensfeindlichen Welt“.
Abschließend bekräftigt Johannes Paul II. die Verkündigung des Evangeliums vom Leben: „Das Evangelium vom Leben ist nicht ausschließlich für die Gläubigen da: es ist für alle da. Die Frage des Lebens und seiner Verteidigung und Förderung ist nicht alleiniges Vorrecht der Christen. Auch wenn es vom Glauben außerordentliches Licht und Kraft empfängt, gehört es jedem menschlichen Gewissen, das sich nach der Wahrheit sehnt und um das Schicksal der Menschheit bedacht und besorgt ist. Es gibt im Leben sicherlich einen heiligen und religiösen Wert, aber er betrifft keineswegs nur die Gläubigen: es geht in der Tat um einen Wert, den jeder Mensch auch im Lichte der Vernunft erfassen kann und der deshalb notwendigerweise alle betrifft.“
Die Verkündigung dieses Evangeliums reicht weit über den Horizont der Christen hinaus und ist adressiert an die Gesellschaft der Menschen überhaupt: „Denn ohne Anerkennung und Schutz des Rechtes auf Leben, auf dem alle anderen unveräußerlichen Rechte des Menschen beruhen und sich entwickeln, läßt sich das Gemeinwohl unmöglich aufbauen. Noch kann eine Gesellschaft gesicherte Grundlagen haben, die – während sie Werte wie Würde der Person, Gerechtigkeit und Frieden geltend macht – sich von Grund auf widerspricht, wenn sie die verschiedensten Formen von Mißachtung und Verletzung des menschlichen Lebens akzeptiert oder duldet, vor allem, wenn es sich um schwaches oder ausgegrenztes Leben handelt. Nur die Achtung vor dem Leben kann die wertvollsten und notwendigsten Güter der Gesellschaft, wie die Demokratie und den Frieden, stützen und garantieren. Es kann in der Tat keine echte Demokratie geben, wenn nicht die Würde jeder Person anerkannt wird und seine Rechte nicht respektiert werden. Und es kann auch keinen wahren Frieden geben, wenn man nicht das Leben verteidigt und fördert.“
Wer sich die geistige, geistliche und politische Lage der Gegenwart bewusst macht – wir denken an die grausamen Kriege und Bürgerkriege dieser Zeit, an die Angriffe auf das ungeborene Leben mitten in Europa und an die Vorhaben, Sterbehilfe zu ermöglichen –, weiß um die prophetische Kraft der Worte des heiligen Papstes und wird nicht versäumen, für das Leben einzutreten, ob gelegen oder ungelegen.
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