19. August 2023
Unter Bezugnahme auf den Epheserbrief hofft Johannes Paul II. in „Evangelium vitae“ auf eine „kulturelle Wende“, um die Zivilisation der Liebe zu verwirklichen. Die „Bildung des sittlichen Gewissens“ gemäß der Lehre der Kirche ist dabei ein unverzichtbares Anliegen.
Zugleich setzt er sich von dem Autonomie-Begriff ab, der die existenzialistische Philosophie der säkularen Selbstverwirklichung absolut setzt und damit auch wider das Leben, wider die Würde des Menschen steht: „Es gibt keine wahre Freiheit, wo das Leben nicht aufgenommen und geliebt wird; und Leben im Vollsinn gibt es nur in der Freiheit. Diese beiden Wirklichkeiten haben außerdem eine angestammte Sonderbeziehung, die sie unlösbar verbindet: die Berufung zur Liebe. Diese Liebe als aufrichtige Selbsthingabe ist der eigentlichste Sinn des Lebens und der Freiheit der Person.“
Die „Berufung zur Liebe“ ist eben nicht selbstbezüglich, sondern sie richtet den liebenden Blick auf den Mitmenschen und ist untrennbar mit der Hingabe verbunden.
Johannes Paul II. beklagt zudem die „Entwurzelung der Freiheit von der objektiven Wahrheit“, was die Bedingungen dafür schaffe, dass sich die „unlenkbare Willkür einzelner“ oder der „beschämende Totalitarismus der staatlichen Macht“ durchsetze. Der Mensch ist als Geschöpf auf Gott verwiesen.
Die Beziehung zu Gott geht allem voraus. In jener Zeit, also 1995, als die Enzyklika publiziert wurde, und so auch heute sind wir umgeben von verstörenden Signaturen der Zeit: „Wenn Gott geleugnet wird und man lebt, als ob Er nicht existierte oder wenn man sich nicht an seine Gebote hält, wird man am Ende auch leicht die Würde der menschlichen Person und die Unantastbarkeit ihres Lebens leugnen oder kompromittieren.“
Es kann nicht genug betont werden, mit allem Nachdruck, dass die „Diktatur des Relativismus“ (Kardinal Joseph Ratzinger) bis weit in den Raum von Kirche und Theologie hineinreicht, wie etwa die Agenda des deutschen Synodalen Weges zeigt. Deutlich wird dies insbesondere in der Moraltheologie. Mit Leidenschaft ruft Johannes Paul II. die Morallehre der Kirche ins Gedächtnis: „Es ist eine Illusion zu meinen, man könne eine echte Kultur des menschlichen Lebens aufbauen, wenn man den jungen Menschen nicht hilft, die Sexualität, die Liebe und das ganze Sein in ihrer wahren Bedeutung und in ihrer tiefen Wechselbeziehung zu begreifen und zu leben.“ Die Geschlechtlichkeit zeige den „Reichtum der Person“. Er kritisiert scharf die „Banalisierung der Sexualität“, in der die „Verachtung des werdenden Lebens“ ihren Ursprung habe: „Nur eine echte Liebe vermag das Leben zu hüten. Man kann also nicht umhin, vor allem den Heranwachsenden und Jugendlichen die authentische Erziehung zur Sexualität und zur Liebe anzubieten, eine Erziehung, die die Erziehung zur Keuschheit als Tugend beinhaltet, die die Reife der Person fördert und sie befähigt, die ‚bräutliche‘ Bedeutung des Körpers zu achten.“
Die „verantwortliche Zeugung der Nachkommenschaft“ sei geboten. Die Familie soll eine ernsthafte „Offenheit für das Leben und des Dienstes an ihm“ zeigen, das Moralgesetz achten, Verhütungsmittel vermeiden und Instinkt wie Triebe besänftigen und zügeln: „Im Dienst der Verantwortlichkeit bei der Zeugung erlaubt gerade diese Beachtung die Anwendung der natürlichen Methoden der Fruchtbarkeitsregelung: sie werden vom wissenschaftlichen Standpunkt her immer besser erklärt und bieten konkrete Möglichkeiten für Entscheidungen an, die mit den sittlichen Werten im Einklang stehen.“
In gleicher Weise müsse neu dem Schmerz und dem Leid Raum gegeben werden, die sinnhaft seien, einen Wert besäßen, wenn sie „in enger Verbindung mit der empfangenen und verschenkten Liebe gelebt werden“: „Im übrigen ist sogar der Tod alles andere als ein Abenteuer ohne Hoffnung: er ist das Tor des Lebens, das sich zur Ewigkeit hin auftut, und für alle, die ihn bewußt in Christus leben, ist er Erfahrung der Teilhabe am Geheimnis von Tod und Auferstehung.“
Der heilige Johannes Paul II. wirbt für einen „erneuerten Lebensstil“, der die vorherrschende Gleichgültigkeit und das Konkurrenzdenken überwindet, von Liebe geprägt und erfüllt ist. Jeder habe beim Einsatz „für eine neue Kultur des Lebens“ eine Aufgabe zu erfüllen – die Lehrer, die Intellektuellen ebenso wie in die in den Medien Tätigen.
Besonders Letztere seien gefordert: „Sie müssen also erhabene und vornehme Lebensbeispiele präsentieren und den positiven und mitunter heroischen Zeugnissen von der Liebe zum Menschen Raum verschaffen; mit großem Respekt die Werte der Sexualität und der Liebe vorstellen, ohne sich über das zu verbreiten, was die Würde des Menschen entstellt und herabsetzt. Beim Lesen der Wirklichkeit müssen sie sich weigern etwas herauszustellen, was Gefühle oder Haltungen der Gleichgültigkeit, Verachtung oder Ablehnung gegenüber dem Leben wecken oder wachsen lassen kann. In gewissenhafter Treue zur Wahrheit der Tatsachen sind sie aufgerufen, die Freiheit der Information, die Achtung vor jeder Person und einen tiefen Sinn für Humanität miteinander zu verbinden.“
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