5. Mai 2024
Es geht im heutigen Evangelium zentral um das Thema Liebe. Papst Benedikt stellte in seiner ersten Enzyklika über die Liebe zwei entscheidende Fragen. Erstens: Können wir Gott überhaupt lieben, den wir doch gar nicht sehen? Und zweitens: Und kann man Liebe gebieten?
Ja – diesen Fragen müssen wir uns zunächst einmal stellen. Auf die erste Frage ist die Antwort eigentlich recht einfach, wenn wir Jesus und das Evangelium richtig lesen. Jesus sagt da einmal: Wer mich sieht, sieht den Vater. Jesus kann man lieben, wenn man ihn in seiner ganzen Persönlichkeit sieht, vor allem, wenn man ihn am Kreuz sieht, wenn man ihn als den sieht, der sich bis zum äußersten für uns Menschen eingesetzt hat.
Er ist unseretwegen nicht vor dem Kreuz davongelaufen, hat vor Pilatus, der ihn freisprechen wollte, nicht klein beigegeben. Er hat gesagt: Ich bin ein König, auch wenn er dafür ausgelacht wurde. Jesus ist die sichtbar gewordene Liebe des Vaters. Wer mich sieht, sieht den Vater. ER ist gekommen, um den Vater sichtbar zu machen. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gesandt hat. Und Jesus ist das Bild des Vaters. Daher sagt er: Wer mich sieht, sieht den Vater. Man kann also Gott in Jesus Christus lieben.
Und dann kommen wir zum ersten Satz des heutigen Evangeliums: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe.“ Wir können Gott lieben, weil er in Jesus sichtbar geworden ist, weil er zu uns eine sichtbare Beziehung aufgenommen hat. Ja – man kann Liebe nicht befehlen. Aber wir können auf seine Liebe antworten. Wenn wir es nicht tun, sollen wir uns fragen: Ob unser Herz kaputt ist. Wenn ich auf Liebe nicht antworte, habe ich vielleicht ein kaltes Herz.
Und was sind Jesu Gebote? Ich denke: Sie sind ganz einfach: Du darfst an dem Einsamen nicht gedankenlos vorbeigehen, du sollst ihn besuchen. Du musst dem Hungrigen wenigstens einen freundlichen Blick zuschicken, wenn Du ihm nicht helfen kannst.
Und dann kommt bei Jesus das Stichwort Freude: Er will, dass seine Freude immer in uns bleibt. Unsere Freude soll vollkommen sein.
Aber wir dürfen Jesus fragen: Ist das denn möglich, immer froh zu sein? Denken wir an seine Mutter. Konnte die Gottesmutter Maria unter dem Kreuz froh sein? Konnte sie froh sein, als sie sah, dass Jesus in sein Verderben läuft? Können Menschen, die ungerecht verurteilt werden, froh sein? Können Bettler froh sein, wenn sie auf der Straße schlafen müssen? Können Mütter – oder auch Väter – froh sein, wenn sie ihr Kind sterben sehen?
Ich denke, wir können auf diese Fragen so antworten: Wenn Väter oder Mütter Kinder sterben sehen, können sie ihre Kinder in Gottes Arme, in Gottes Schoß legen. Das ist dann zwar keine Freude, aber ein tiefer Trost. Es gibt wohl eine Freude, die aus dem Glauben kommt, dass unser Leben und Schicksal in den Händen Gottes liegt. Jesus hat vor seinem Sterben gebetet: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. Dieses Vertrauen in die Hände des Vaters ist der Grund für eine tiefe, innere Freude. Diese Freude wünscht uns Jesus.
Und dann kommt noch ein entscheidendes Wort Jesu im heutigen Evangelium: „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe.“ Wir können uns vielleicht diesen ganzen Gedankengang vorstellen wie einen Strom: Die Liebe fließt wie ein Strom aus dem Herzen des Vaters. Sie fließt in Jesus, der für uns der sichtbar gewordene Gott ist. Sie zeigt sich in Jesus am Kreuz. Und vom Kreuz soll die Liebe in unsere Herzen fließen und dann von unseren Herzen in die Herzen der Menschen, mit denen wir leben und die wir begegnen.
Ich glaube, dass wir vor allem – gerade in der heutigen, lauten Zeit – lange schweigend vor einem Christus am Kreuz sitzen sollten. Wir sollten die Liebe Christi von ihm in unsere Herzen fließen lassen. Wir können voll werden von Liebe, wenn wir bei ihm sind und auf ihn schauen. Und die Kirche – das ist zunächst einmal und vor allem die Gemeinschaft derer, die gemeinsam auf Christus schauen. Sie ist eine Gemeinschaft von Menschen, die auf den Herren schauen.
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