19. Mai 2024
Vertraut klingt in unseren Ohren der Vers aus dem Psalm 140 – „Sende aus deinen Geist und das Antlitz der Erde wird neu“ –, den wir zum hohen Pfingstfest in der heiligen Messe vernehmen und singen, vielleicht auch bedenken.
Wer wünschte sich nicht in Zeiten wie diesen endlich ein Ende der grausamen Kriege, die Tag für Tag Opfer fordern. Unvorstellbar sind die Ängste, das Leid, das Menschen, Kinder, Frauen und Männer, Jung und Alt, im Heiligen Land oder in der Ukraine aushalten müssen. Vergessen wir bei unseren Gebeten für den Frieden in der Welt, für ein Schweigen der Waffen, auch nicht Myanmar, Äthiopien und den Sudan. Ja, wie sehr wünschten wir uns, dass das „Antlitz der Erde“ neu würde.
Und wie sehr wünschten wir uns, dass die Kirche Gottes von einem neuen Pfingsten belebt und erfrischt würde. Der pfingstliche Impuls, den Papst Franziskus vor fünf Jahren, am 29. Juni 2019, dem pilgernden Volk Gottes geschenkt hat, ist nahezu geräuschlos verhallt. Er sprach, ja, er schwärmte von Neuevangelisierung, träumte von der belebenden, befreienden Kraft der Frohen Botschaft – und doch stieß er weithin auf taube Ohren. Die Karawane des „Synodalen Weges“ zog weiter und huldigte nicht dem König der Könige, sondern den sogar unter Soziologen höchst umstrittenen Ansichten und Meinungen Michel Foucaults.
Ist uns heute in der Kirchenprovinz Deutschland pfingstlich zumute? Sende aus deinen Geist, so möchten sicher viele von uns beten und rufen, und erneuere das Antlitz der Kirche, hier und heute, jetzt, und fange bei uns, ja bei mir an. Oder fürchten wir uns vielleicht vor dem pfingstlichen Geist, der so gar nichts Zeitgeistiges, Geschmeidiges und unverbindlich, unverfänglich Nettes mit sich bringt, sondern für eine wahre Revolution, für die Revolution, die einzig die unverdiente Liebe Gottes uns schenkt, sorgt und auch jede müßige, biedere kirchenpolitische Strukturdebatte beendet, ob in der Pfarrgemeinde vor Ort, im Bistum oder anderswo?
Vielleicht mögen wir staunen, dass der heilige Augustinus, der große Kirchenlehrer der Spätantike, sich in Predigten in Anbetracht von Verwerfungen und Streitigkeiten in der jungen Kirche mehrfach über Pfingsten, das Fest der Einheit, äußerte, auch wenn sich unter den Gläubigen Entzweiung, Ratlosigkeit und Spaltungen auszubreiten schienen (die Zitate sind dem empfehlenswerten Band entnommen: Augustinus. Das Antlitz der Kirche, Einsiedeln 1953, 168–170, verlegt im Johannes-Verlag). Augustinus erinnert an den Turmbau zu Babel und spricht von der „stolzen Gottlosigkeit“ jener, deren Tun die Sprachverwirrung zur Folge hatte. Ein jeder sprach fortan an in seiner eigenen Sprache – und die Verständnislosigkeit füreinander wuchs, deren Ursache die Entfremdung und Abkehr von Gott war.
Auch viele einfach gläubige Katholiken fühlen sich heute in der Kirche des Herrn einfach nicht mehr verstanden. Vielleicht reden alle noch dieselbe Sprache, aber sie reden aneinander vorbei. Denn wer Gott aus dem Blick verloren hat, kann auch die Not, Hoffnung und Freude des Nächsten nicht mehr sehen und erkennen. Von allem Möglichen ist heute die Rede, aber von Gott? Wir bekennen uns vielleicht zu Reformen und Veränderungen, doch schlägt unser Herz noch für das Credo der Kirche?
Augustinus empfiehlt die „demütige Gottseligkeit der Gläubigen“, durch die die Vielfalt der Sprachen wieder zur Einheit der Kirche zurückkehrt – „was Streit zerstreute“, versammelt die Liebe unter das „eine Haupt Christi“, „zusammengefügt und vom Feuer der Liebe zusammengeschmolzen in die Einheit des heiligen Leibes“. Augustinus legt weiter dar: „Von diesem Geschenk des Heiligen Geistes sind jene durchaus fern, welche die Gnade des Friedens hassen und die Gemeinschaft der Einheit nicht fassen. Und wenn auch sie sich am heutigen Tage feierlich versammeln, und wenn auch sie die gleichen Lesungen vernehmen, in denen der Heilige Geist verheißen und ausgegossen wird: sie hören es sich zum Gericht, nicht zum Heil. Denn was frommt es ihnen, mit den Ohren zu vernehmen, was sie mit dem Herzen verwerfen; und dessen Tag zu feiern, dessen Licht sie hassen?“ Die Gläubigen aber seien dazu bestimmt, „Sprossen der Einheit“ und „Kinder des Friedens“ zu sein, und er ermuntert seine Zuhörer, sich gotteskindlich zu freuen, sorglos und froh.
Das Maß des Geistes, so Augustinus, sei die „Liebe zur Kirche“. Wer die Kirche liebt, empfängt den Heiligen Geist. Stoßen wir uns daran heute? Fürchten wir uns davor? Verstecken wir uns vielleicht ängstlich? Menschlich ist das nur allzu verständlich, denn um des scheinbar lieben weltlichen Friedens willen möchten wir doch Konflikte vermeiden.
Was menschlich verständlich ist, genügt nie. Wir sind eingeladen, die Kirche zu lieben – heute. Wer die Kirche pfingstlich liebt im Sinne des heiligen Augustinus, der liebt die Kirche, die alle Zeiten und Orte umschließt – die Kirche, die nicht soziologisch erdacht, sondern von Christus gestiftet ist. Augustinus appelliert: „So laßt uns denn glauben, Brüder! Denn in eben dem Maße, als einer die Kirche liebt, in eben dem Maße hat er den Heiligen Geist […] Wir haben den Heiligen Geist, wenn wir die Kirche lieben, und wir lieben sie, wenn wir in ihrer Gliederung und Liebe verbleiben […].“
Dies ist der Heilige Geist, der das Antlitz der Erde und der Kirche heute erneuern kann. Wir feiern an Pfingsten den Geburtstag der Kirche und Fest der Einheit des Glaubens, mit unseren Weggefährten, mit den Aposteln, Märtyrern und Heiligen, mit jenen, die uns vorausgegangen sind und die nach uns kommen werden. Mit Augustinus gesagt: So lasst uns denn glauben – und frohen Herzens, demütig und dankbar, die Kirche lieben. Wenn wir die Freude des Glaubens durch Zeugnis und Beispiel ausstrahlen, sind wir pfingstlich neu sprachfähig geworden als Christen in der Welt von heute. Wir sind nicht dazu berufen, die Kirche zu kritisieren, sondern wir dürfen den dreifaltigen Gott und zugleich seine Kirche von ganzem Herzen lieben. Wenn wir dies tun, tragen wir auf unsere ganz eigene Weise zur pfingstlichen Erneuerung von Kirche und Welt bei.
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