22. Mai 2024
Die moderne sogenannte Pastoraltheologie scheint sich durch eine gewisse Ziellosigkeit auszuzeichnen. Ein Paradebeispiel für diese Beobachtung sind die jüngsten Äußerungen des Bochumer Pastoraltheologen Matthias Sellmann, der federführend für die am Freitag vorgestellte Priesterstudie mit dem offiziellen Titel „Wer wird Priester?“ verantwortlich ist.
Während die Studie zeigt, dass Priester tendenziell eher in althergebrachten volkskirchlichen Verhältnissen ihre Berufung erkennen und dem Synodalen Weg vergleichsweise passiv oder kritisch gegenüberstehen, sieht Sellmann im Interview mit katholisch.de am Pfingstmontag „ein priesterliches Selbstverständnis, das sehr deutlich mit dieser modernen Gesellschaft fremdelt“.
Junge Priester „wollen Liturgen sein – was ehrenhaft ist und zunächst gar nicht zu kritisieren. Ihr beruflicher Alltag wird aber erheblich anderes von ihnen abfordern. Ich befürchte, das dominante Motivationsmuster von vielen jungen Priestern wird alternativlos erodieren, weil es kaum jemand abruft.“
Durch die Reformen der Pfarreien fänden sich die Priester „zwangsläufig“ in Rollen, „in denen von ihnen immer mehr Verwaltung und Leitung gefordert wird“: „Sie müssen nicht nur authentisch und spirituell sein, sondern auch ihre Rolle spielen können – etwa in der Ehrenamtsförderung, des Netzwerkaufbaus, der Mitgliederbegleitung, der Öffentlichkeitsarbeit usw.“
Priester dürften sich „als Profis“ nicht „vom Gesamtweg abkoppeln, den die Kirche in Deutschland in einer großen Mehrheit eingeschlagen hat“, mahnt Sellmann mit Blick auf den Synodalen Weg. Am Freitag hatte er bei der Vorstellung der Priesterstudie gesagt: „Die Priester sind erkennbar auch nicht Mitträger des Synodalen Weges in Deutschland.“
Inwiefern die Blase des Synodalen Wegs als Treffen von Bischöfen, Theologen bestimmter Denkrichtung und zahlreichen Laienfunktionären für „die Kirche in Deutschland“ stehen darf, bleibt unklar – vor allem, wenn laut Studie gerade die normalen Priester an der vielbeschworenen „Basis“ mit dem Synodalen Weg wenig anzufangen wissen.
Sellmann jedenfalls beschreibt als „Kompetenzprofil“ für Priester solche Menschen (es müssen seiner Ansicht nach nicht notwendigerweise Männer sein), „die wissen und können sehr viel über mentale Gesundheit; über gewaltfreie Konfliktmediation; über aktivierende Gruppenprozesse; über innovative Organisationskultur; über kulturellen Dialog; über inspirierendes story-telling; über community organizing; über förderliche Rituale; über globalen Solidaritätsaufbau, und vieles mehr“. Die biblischen Begriffe von Hirte und Herde findet er „überholt und für die professionelle Beschreibung des so wichtigen Priesterberufs auch unattraktiv“.
„Katholische Treue zur Tradition würde sich nach meinem Verständnis heute gerade darin zeigen, dass man die Welt voranbringen will, dass man Gott zeigen will, und zwar als konkrete Ressource für ein zukunftsfähiges Zusammenleben aller“, so Sellmann. „Unsere Gesellschaft hat eine Kirche verdient, die Avantgarde sein will – zusammen mit den anderen gemeinwohlorientierten Kräften.“
Hier zeigt sich die eingangs angesprochene Ziellosigkeit: Avantgarde – Vorkämpfer – für was? Wofür braucht es Priester? Wofür braucht es überhaupt die Kirche?
Bis vor wenigen Jahrzehnten gab es regelmäßigen Katechismusunterricht, der heutzutage faktisch fast nicht mehr existiert. Dort lernte man: „Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen, ihm zu dienen, ihn zu lieben und einst in den Himmel zu kommen.“ Um in den Himmel zu kommen, so die nachfolgende Stelle im Katechismus, müsse man „an Gott glauben, seine Gnadenmittel gebrauchen, seine Gebote halten“.
Mit anderen Worten: Es braucht die Kirche, weil es um das Seelenheil geht. Der Katechismus der Katholischen Kirche spricht von ihr als „das Sakrament des Heils, das Zeichen und Werkzeug der Gemeinschaft mit Gott und den Menschen“ (KKK 780). Oder wie es Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, am Pfingstmontag vor fast 20.000 jungen traditionsverbundenen Pilgern in der Kathedrale von Chartres ausdrückte: Die Kirche ist „die Avantgarde der ganzen Menschheit auf dem Weg zu ihrem Ziel“, das „der neue Himmel und die neue Erde“ ist.
Die Priester sind hierbei für die Kirche unabdingbar, weil nur sie die Sakramente – neben dem Gebet die großen Gnadenmittel im Leben der Kirche – spenden können, insbesondere die Eucharistie. Das Zweite Vatikanische Konzil bezeichnet die Eucharistie als „Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“ (LG 11).
Priester müssen sich nicht in erster Linie ein „Kompetenzprofil“ wie ein Manager aneignen, sondern Heiligkeit anstreben, die auch sie selbst aus dem Empfang der Sakramente schöpfen und nähren. Statt Leute zu suchen, die Experten für „aktivierende Gruppenprozesse“ oder „globalen Solidaritätsaufbau“ sind, sollte das alte Gebet wieder Verwendung finden – und Ernst gemeint werden: „Herr, schenke uns viele heilige Priester!“
Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten des Verfassers wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch als solcher.