13. Juli 2024
In der Katechese „Der Mensch erkennt Gut und Böse“ vom 19. September 1979 (vgl. L’Osservatore Romano 79/39) denkt Papst Johannes Paul II. über die „Wahrheit über den Menschen“ nach, am Buch Genesis orientiert: „Das Kapitel 2 der Genesis stellt gewissermaßen die älteste Beschreibung und Aufzeichnung vom Selbstverständnis des Menschen dar und bildet zusammen mit Kapitel 3 das erste Zeugnis des menschlichen Bewusstseins.“
Handelt es sich hier um einen archaischen Text, der mythischen Charakter besitzt? Der Heilige Vater referiert und bedenkt eine Reihe von Ansichten über den Mythos, erkennt aber letztlich eine „Analyse des Menschen“, die auch mit der philosophischen Anthropologie des 20. Jahrhunderts verbunden werden kann: „Man könnte sagen, Genesis 2 stellt die Erschaffung des Menschen besonders unter dem Aspekt des Subjektiven dar. Vergleicht man beide Berichte miteinander, gelangt man zu der Überzeugung, dass diese Subjektivität der objektiven Wirklichkeit des ‚nach dem Abbild Gottes‘ geschaffenen Menschen entspricht.“ Letzteres sei für die Theologie des Leibes von hoher Bedeutung.
Christus berufe sich besonders in seinen Erwiderungen an die Pharisäer auf die Erschaffung des Menschen, etwa um die Unauflöslichkeit der Ehe zu beschreiben, und führe in den „Grenzbereich von ursprünglicher Unschuld des Menschen“ und der Erbsünde hinein: „Der zweite Schöpfungsbericht ist in der Genesis in diesen Zusammenhang hineingestellt. Wir lesen dort vor allem: ‚Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu. Und der Mensch sprach: Das endlich ist Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen, vom Mann ist sie genommen‘ (Gen 2,22–23).“
Darauf folgt der Bericht vom Sündenfall, in Verbindung mit dem Baum der Erkenntnis: „Der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse ist eine Trennungslinie zwischen den beiden Ursituationen, von denen die Genesis spricht. Die erste Situation ist die der ursprünglichen Unschuld, wo sich der Mensch (Mann und Frau) gleichsam außerhalb der Erkenntnis von Gut und Böse befindet, solange er nicht das Verbot des Schöpfers übertritt und nicht die Frucht vom Baum der Erkenntnis ißt. Die zweite Situation dagegen ist jene, wo der Mensch, nachdem er auf Einflüsterung des durch die Schlange symbolisierten bösen Geistes das Gebot des Schöpfers übertreten hat, gewissermaßen in der Erkenntnis von Gut und Böse steht. Diese zweite Situation bezeichnet den Zustand menschlicher Sündhaftigkeit im Gegensatz zum Zustand ursprünglicher Unschuld.“
Deutlich werde der „wesentliche Unterschied“ zwischen der Unschuld, die im Anfang bestanden hat, und der Sündhaftigkeit nach dem Verstoß gegen Gottes Gebot. Diese Unterscheidung greift Johannes Paul II. mit Nachdruck auf. Christus bezieht sich auf den „Anfang“ und „beruft sich auf die Worte der ersten göttlichen Weisung, die in diesem Text ausdrücklich mit dem Zustand der ursprünglichen Unschuld des Menschen verbunden ist“: „Das heißt, diese Weisung hat nichts von ihrer Gültigkeit verloren, auch wenn der Mensch seine ursprüngliche Unschuld verloren hat. Die Antwort Christi ist endgültig und unmißverständlich. Wir müssen also daraus die maßgebenden Normen ableiten, die nicht nur für die Ethik wesentliche Bedeutung haben, sondern vor allem für die Theologie des Menschen und die Theologie des Leibes, die sich, als besonderer Teil der theologischen Anthropologie, auf das Wort Gottes gründet, der sich offenbart.“
Die Bibel, und damit auch die Morallehre, darf nicht verbilligt, nicht zurechtgeschnitten und nicht, unter welchen Vorzeichen auch immer, – in heutiger Sprechweise – weiterentwickelt werden. Die Normen für das sittliche Verhalten werden nicht diskursiv erzeugt, sondern sind gegeben von Gott – anders gesagt: Geschenk Gottes.
Johannes Paul II. betont entscheidend die Geschöpflichkeit des Menschen als Fundament der Anthropologie. Die Unterscheidung von Gut und Böse besteht, Gott schuf den Menschen – ganz gleich, was heute in einigen Wissenschaftsbereichen und mehr noch in den Medien vertreten wird – als Mann und Frau, die aufeinander bezogen sind. Der „böse Geist“, wie immer man den Widersacher nennen mag, unternimmt auch heute noch Einflüsterungen.
Der Papst bekräftigt das Naturrecht und die Schöpfungsordnung. Zugleich erinnert er an die Verbindlichkeit der Gebote Gottes, die zu befolgen sind. Im Zustand der Sündhaftigkeit ist der Mensch aufgerufen, Einsicht in die Natürlichkeit der gottgewollten Geschlechterunterscheidung zu erlangen und sich gemäß der Heiligen Schrift und der Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte auf Gott auszurichten, um nach seinen Geboten zu leben, nicht nach wie auch immer erdachten sündhaften Meinungen oder partikularen Stimmen aus den Wissenschaften. Noch immer gibt es Gut und Böse, und noch immer kann es dem Menschen, erleuchtet vom Glauben an den dreifaltigen Gott, kraft seiner Vernunft gelingen, das eine vom anderen zu unterscheiden.
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