12. Oktober 2024
In der Katechese vom 6. Februar 1980 denkt Johannes Paul II. über den „anderen Menschen als Geschenk“ (L’Osservatore Romano 80/7) nach. Er nimmt die Gedanken zur „beseligenden Erfahrung der Bedeutung des Leibes“ auf. Männlich und weiblich ergänzen einander, und dies gehört zum Schöpfungsgeheimnis. Wer die biologische Differenz aufheben möchte, leugnet die von Gott geschenkte Natur des Menschen und erhebt sich eigenmächtig über die Schöpfung und den Schöpfer.
Die „innere Freiheit des Sich-Schenkens“ stehe in Verbindung mit der Unschuld, „der menschliche Wille ist ursprünglich unschuldig, und auf diese Weise wird die Gegenseitigkeit und der Austausch der Gabe des Leibes, seinem Mann- oder Frausein entsprechend, als Sich-Schenken der Person erleichtert“. Die Unschuld wird aufgrund der „gegenseitigen Erfahrung des Leibes“ bestimmt. Der „innere Austausch des Geschenkes der Person“ verwirklich die „bräutliche Bedeutung des Mann- bzw. Frauseins“ in der Beziehung. Johannes Paul II. möchte klären, worin die „innere Unschuld im Austausch beim Sich-Schenken der Person besteht“.
Die „innere Unschuld“ versteht er als „Reinheit der Absicht“. Mann und Frau nehmen einander an, in einer Form, die dem „Wesen des Geschenkes“ entspreche: „Auf diese Weise bewirkt die gegenseitige Hingabe die Gemeinschaft der Personen. Es geht also darum, den anderen aufzunehmen und anzunehmen, eben weil in dieser gegenseitigen Beziehung, von der Genesis 2,23–25 spricht, Mann und Frau einander zum Geschenk werden in der ganzen Wahrheit und Klarheit ihres eigenen männlichen bzw. weiblichen Körpers.
Es handelt sich also um eine Annahme oder Aufnahme, die in der beiderseitigen Nacktheit die Bedeutung des Geschenks ausdrücken und unterstützen und daher die gegenseitige Würde dieses Sich-Schenkens vertiefen soll. Diese Würde entspricht zutiefst der Tatsache, dass der Schöpfer den Menschen, Mann und Frau, um seiner selbst willen gewollt hat (und noch immer will). Die Unschuld des Herzens und als Folge davon die Unschuld der Erfahrung bedeutet eine moralische Teilhabe an dem ewigen und fortdauernden Willensakt Gottes.“
Wer den anderen zum Objekt erniedrigt, ob der Begierde oder der Besitzergreifung, gerät in den diametralen Gegensatz zum Willen Gottes. Das „Sich-Schenken“ darf auch nicht erzwungen werden. Wer den anderen nur als Objekt für sich selbst ansieht, der ruft das Schamgefühl hervor: „Denn das Schamgefühl entspricht ja in der Tat einer Bedrohung, die dem Geschenk in seiner personalen Intimität zugefügt wird, und bezeugt den Zusammenbruch der Unschuld in der gegenseitigen Erfahrung.“ Der „Austausch des Geschenkes“ war am Anfang frei von Scham: „Diese beiden Funktionen des gegenseitigen Austauschs sind im ganzen Vorgang des Sich-Schenkens aufs tiefste miteinander verbunden: das Sich-Schenken und das Annehmen des Geschenks durchdringen einander so, dass das Schenken zum Annehmen und das Annehmen zum Schenken wird.“
Die Frau entdecke sich selbst, indem sie schenke, weil sie angenommen und aufgenommen werde auf jene Weise, in der sie vom Mann angenommen werde: „In ihrer eigenen Selbsthingabe (‚durch die aufrichtige Hingabe ihrer selbst‘, Gaudium et spes, Nr. 24) findet sie sich also selbst, wenn sie in ihrem Mensch- und Frausein so angenommen wird, wie es der Schöpfer gewollt hat, nämlich ‚um ihrer selbst willen‘.“ So gelange die Frau zur „innersten Tiefe ihrer Person“, zum „Vollbesitz ihrer selbst“, „wenn in dieser Annahme die ganze Würde des Geschenks durch das Angebot und die Hingabe dessen gewahrt bleibt, was sie in der ganzen Wahrheit ihres Menschseins und in der ganzen Wirklichkeit ihres Körpers und Geschlechts, also ihres Frauseins, ist“. Die „Selbstfindung“ werde durch die Hingabe zur „Quelle einer neuen Selbsthingabe“, und sie wachse in die tiefere Aufnahme und Annahme bewusst hinein.
Wir fügen hinzu, dass diese Selbstfindung durch die eigene Hingabe Quelle einer neuen Selbsthingabe wird, die ebenso kraft der inneren Bereitschaft zum Austausch im Geschenk in dem Maße zunimmt, in dem sie einer solchen tieferen Aufnahme und Annahme begegnet als Frucht eines wachsenden Bewusstseins des Geschenks. Johannes Paul II. fährt fort: „Wenn im Schöpfungsbericht die Frau diejenige ist, die dem Mann ‚gegeben‘ worden ist, so bereichert sie dieser dadurch, dass er sie als Geschenk in der ganzen Wahrheit ihrer Person und ihrer Fraulichkeit empfängt; zugleich wird auch er in dieser gegenseitigen Beziehung bereichert. Der Mann wird nicht nur durch sie, die sich ihm als Person und Frau schenkt, bereichert, sondern auch durch seine eigene Selbsthingabe. Das Sich-Schenken von Seiten des Mannes als Antwort auf die Hingabe der Frau ist für ihn selbst eine Bereicherung; denn hierin äußert und bekundet sich gleichsam das spezifische Wesen seiner Männlichkeit, das durch die Wirklichkeit des Leibes und des Geschlechts die innerste Tiefe des ‚Besitzes seiner selbst‘ erreicht, dank der er sowohl zur Selbsthingabe als auch zum Empfang der Hingabe des anderen fähig ist.“
Der Mann nehme das Geschenk an, werde aber auch von der Frau als Geschenk angenommen, und das „innere geistige Wesen seiner Männlichkeit“ werde offenbar durch die „ganze Wahrheit seines Körpers und Geschlechts“: „Der Austausch ist wechselseitig, und darin offenbaren sich und wachsen die wechselseitigen Wirkungen der aufrichtigen Hingabe und der Selbstfindung.“ Mann und Frau wachsen miteinander und aneinander, Hingabe und Selbstfindung sind untrennbar verknüpft. Hier zeigt sich deutlich, wie fremd der heutige Gedanke einer bloß subjektiv verstandenen Selbstverwirklichung von der biblischen Theologie ist. Wer sich selbst verwirklichen möchte, der kommt sich abhanden – und wer in einer Beziehung nach der Verwirklichung des Ichs sucht, ist von Gott und damit auch von seinem Ehepartner entfremdet. Wer die Selbstverwirklichung in der Ehe vermisst, hat das Wesen der Ehe nicht, vielleicht nie verstanden.
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