19. Oktober 2024
In der Katechese vom 13. Februar 1980 (L’Osservatore Romano 80/8) führt Johannes Paul II. aus, inwieweit die Hingabe des Menschen, des Mannes an die Frau und der Frau an den Mann, als Geschenk verstanden werden kann, das in der „Gemeinschaft der Personen“ bestehen soll. Er löst sich dabei von der klassischen metaphysischen Anthropologie, die auf Objektivierung ausgerichtet war, und orientiert sich am „Aspekt der menschlichen Subjektivität“, die stärker biblisch akzentuiert ist.
Johannes Paul II. nennt ein besonderes Phänomen der „Vergeistigung“, die „verbunden ist mit einem anderen Zusammenwirken der inneren Kräfte des Menschen, sozusagen einer anderen Leib-Seele-Beziehung, mit anderen inneren Proportionen zwischen Empfindungsvermögen, Geistigkeit und Affektivität, also einem anderen Grad innerer Empfindsamkeit für die Gaben des Heiligen Geistes“. So lasse sich die „Urunschuld des Menschen“ erklären.
Christus habe sich dann, über die Unauflöslichkeit der Ehe sprechend, in Mt 19,4 auf diesen Anfang bezogen, mit der Weisung, zur „Tiefe des Schöpfungsgeheimnisses“ zurückzukehren: „Wir tun das und sind uns dabei der Gabe der dem Menschen vor der Erbsünde eigenen Urunschuld voll bewusst. Obwohl uns eine unüberwindliche Schranke von dem trennt, was der Mensch als Mann und Frau einst durch die Gabe der mit dem Schöpfungsgeheimnis verbundenen Gnade war, von dem, was beide als gegenseitiges Geschenk füreinander gewesen sind, versuchen wir dennoch, den Zustand der Urunschuld im Zusammenhang mit dem historischen Zustand des Menschen nach der Erbsünde zu begreifen: mit dem Zustand der gefallenen und zugleich erlösten Natur.“
Im ursprünglichen Zustand war das „Zusammenleben von Mann und Frau nahezu vollständig von der Gnade der Urunschuld durchdrungen“. Der Mensch tritt ein in das „innerste Netzwerk seiner Zukunft und seiner Geschichte“, um die „bräutliche Bedeutung des eigenen Körpers“ wissend, die sittlich bedingt sei. Mann und Frau werden einander vom Schöpfer als „Geschenk“ gegeben: „Grundlegend für diese Existenz des Menschen in jeder Phase seiner Geschichte ist die Tatsache, dass Gott ‚sie als Mann und Frau geschaffen hat‘, denn immer schafft er sie auf diese Weise, und immer sind sie dies.“
Wer sich die biblisch fundierten Ausführungen von Johannes Paul II. vergegenwärtigt, sieht in grundlegender Weise, dass die Vorgabe der Natur weder verleugnet noch manipuliert werden darf, denn Mann und Frau sind in ihrer Geschlechtlichkeit verbindlich von Gott her bestimmt. Diese Seinsweise in der Geschlechtlichkeit darf nicht, wie auch immer begründet, abgeändert werden. Der Mensch müsse, so Johannes Paul II., erkennen, wer er ist, „wer er sein soll und wie er daher auch sein Tun gestalten müßte“.
Mann und Frau seien für die Ehe geschaffen. Damit verknüpft ist ein „großartiger Aspekt des Schöpferischen: der Aspekt der Existenz des Menschen, die sich durch die Fortpflanzung (man könnte sagen durch ‚Reproduktion des eigenen Selbst‘) ununterbrochen erneuert. Dieser Aspekt ist zutiefst im Bewusstsein der Menschheit (vgl. Gen 2,23) und in dem besonderen Bewusstsein vom bräutlichen Sinn des Leibes (Gen 2,25) verwurzelt.“
Aus dem „Schöpfungsgeheimnis“ gehen Mann und Frau als Bruder und Schwester im „Menschsein“ hervor, dann werden sie zu „Eheleuten“: „Das Verständnis vom bräutlichen Sinn des Leibes in seinem Mann- bzw. Frausein enthüllt das Innerste ihrer Freiheit, die eine Freiheit des Schenkens ist. Hier beginnt jene Personengemeinschaft, in der beide sich begegnen und in der Fülle ihrer Subjektivität einander schenken. So wachsen beide als Personen, als Subjekte, und reifen einer für den anderen auch durch ihren Körper und durch jene Nacktheit, die frei von Scham ist.“
Die „personale Gemeinschaft“ entsteht, wächst und weitet sich, in der auch die „ursprüngliche Einsamkeit“ gewahrt und gleichzeitig bereichert wird durch die „Hingabe des anderen“. Wenn aber die Selbstlosigkeit des Einander-Schenkens verlorengeht, stellt sich die Scham ein. In diesem Sinne führt Johannes Paul II. aus: „Wenn Mann und Frau sich nicht mehr einander selbstlos schenken, wie sie dies im Schöpfungsgeheimnis konnten, dann erkennen sie, dass sie ‚nackt sind‘ (vgl. Gen 3). Dann entsteht in ihren Herzen wegen dieser Nacktheit, die sie im Zustand ihrer Urunschuld nicht bemerkt hatten, das Schamgefühl. Die Urunschuld ist Äußerung und zugleich Darstellung des vollkommenen Ethos des Schenkens.“
Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.