Zeit seines Pontifikates, vielleicht zeit seines Lebens wurde der heilige Johannes Paul II. nicht müde, moraltheologisch wie biblisch fundiert und orientiert an der Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte, tiefgründig die Dimensionen der personalen Liebe zu bedenken und darzulegen.

In der Katechese vom 26. März 1980 (veröffentlicht in L’Osservatore Romano 80/14–15) reflektiert er die eheliche Bindung und Vereinigung unter dem Begriff des Erkennens, wie dies im Buch Genesis bezeichnet ist: „Mit diesem Erkennen schenkt der Mensch als Mann und Frau nicht nur seinen Namen, wie er die anderen Lebewesen, animalia, benannt und damit in Besitz genommen hat; er erkennt vielmehr im Sinne von Genesis 4,1 (und anderer Bibelstellen), das heißt, er verwirklicht das, was der Name ‚Mensch‘ ausdrückt: er verwirklicht im neu gezeugten Menschen das Menschsein. Er verwirklicht also in gewissem Sinne sich selbst, das heißt den Menschen als Person.“

Ziel und Zweck der Ehe sind nicht subjektiv variabel verstandenes Glück, sondern die Kinder. Zwischen „Erkennen und Zeugung“ bestehe ein „biblischer Kreislauf“, der in der „Einheit der personalen Liebe“ zugrunde gelegt ist: „Der Mensch, Mann und Frau, der durch den Akt des Erkennens, von dem die Bibel spricht, ein neues Wesen zeugt und hervorbringt, das ihm gleicht und dem er den Namen ‚Mensch‘ geben kann (‚ich habe einen Mann erworben‘), ergreift sozusagen Besitz vom selben Menschsein, oder besser, er macht es sich erneut zu eigen.“

Doch diese Inbesitznahme ist keine Herrschaft. Mann und Frau erkennen einander und wissen, dass sie in der Vereinigung „beide gemeinsam von dem Menschsein ergriffen“ werden: „Sie wollen von ihm erneut Besitz ergreifen, indem sie es aus sich selbst, aus ihrem eigenen Menschsein, aus ihrer wunderbaren körperlichen Reife als Mann und Frau heraus und schließlich – durch die ganze Kette menschlicher Zeugung und Fortpflanzung seit Anbeginn – aus dem Schöpfungsgeheimnis selbst gewinnen.“

Sehr deutlich und vernünftig weist Johannes Paul II. jegliche philosophischen Theorien ab, die die geschlechtliche Vereinigung mit der platonischen Verständnisweise verknüpfen möchten. Der Ekstatiker, den Platon vorstellt, verfolgt eine „egozentrische, ichbezogene Liebe“ und ein „begehrliches Verlangen“, das dominant ist, auch wenn es sich auf „höchste Werte“ ausrichtet: „Der Vergleich des biblischen Erkennens mit dem platonischen Eros offenbart die Unvereinbarkeit dieser beiden Vorstellungen deutlich. Die platonische Vorstellung beruht auf der Sehnsucht nach dem überirdischen Schönen und auf der Flucht aus der Materie; die biblische Vorstellung hingegen ist auf die konkrete Wirklichkeit ausgerichtet, und der Dualismus von Geist und Materie ist ihr ebenso fremd wie jede spezifische Feindseligkeit gegenüber der Materie (‚Gott sah, dass … es gut war‘, Gen 1,10.12.18.21.25).“

Das „biblische Erkennen“ reicht weit über Triebbefriedigung und Lustgewinn hinaus, es sei – und das kann gerade nicht genug betont werden – ein „im Vollsinn menschlicher Akt“, „bewusst auf die Zeugung ausgerichtet“ und zugleich „Ausdruck der interpersonalen Liebe“. Der „Sinn des selbstlosen Einander-Schenkens“ müsse heute zurückgewonnen werden.

Sichtbar werde im „Akt des gegenseitigen Erkennens“ auch der „Horizont des Todes“: „Der Horizont des Todes erstreckt sich auf den Gesamtausblick des menschlichen Erdenlebens, jenes Lebens, das in den ursprünglichen biblischen Kreislauf von Erkennen und Zeugung eingefügt wurde.“ Dem sündigen Menschen sei das Leben nicht genommen, aber auf die „Grenzen von Zeugung, Geburt und Tod begrenzt“ worden, darüber hinaus „belastet mit der Erbsünde“, aber im „wiederkehrenden Kreislauf“ als „Aufgabe und Auftrag“ neu geschenkt: „Der Satz: ‚Der Mensch erkannte Eva, seine Frau; sie wurde schwanger und gebar‘ (Gen 4,1) gleicht einem Siegel, das der ursprünglichen Offenbarung des Leibes am Anfang der Geschichte des Menschen auf Erden aufgeprägt wurde. Diese Geschichte entsteht in ihrer grundlegendsten Dimension gleichsam von Anfang an immer wieder neu durch eben dieses Erkennen und diese Zeugung, von der das Buch Genesis spricht.“

Jeder Mensch trage das „Geheimnis seines Anfangs“ in sich, verknüpft mit dem „Wissen um den schöpferischen Sinn des Leibes“. Adam vereinigte sich mit seiner Frau Eva, „(‚sie erkannte‘), dass sie empfing und gebar“: „Das ist eben die Schwelle der Geschichte des Menschen. Es ist sein Anfang auf Erden. An dieser Schwelle steht der Mensch, als Mann und Frau, mit dem Wissen um den schöpferischen Sinn seines Leibes: die Männlichkeit ist ausgerichtet auf Vaterschaft, die Weiblichkeit auf Mutterschaft.“

Johannes Paul II. schreibt: „Es ist, als ob der Grund für diese Unüberwindlichkeit des Lebens, die sich in der Zeugung offenbart, immer wieder dasselbe Erkennen ist, in dem der Mensch die Einsamkeit seiner eigenen Existenz überschreitet und aufs neue beschließt, diese Existenz in einem anderen Menschenwesen zu bejahen. Und beide, Mann und Frau, bejahen sie in dem neu gezeugten Menschen. In dieser Bejahung scheint das biblische Erkennen eine noch größere Dimension zu erhalten. Das heißt, es scheint sich in jenes Sehen Gottes selbst einzufügen, mit dem der erste Bericht über die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau ‚nach dem Abbild Gottes‘ endet: ‚Gott sah, dass alles, was er gemacht hatte, sehr gut war‘ (Gen 1,31). Trotz aller Erfahrung seines Lebens, trotz der Leiden, der Enttäuschungen über sich selbst, trotz seiner Sündhaftigkeit und schließlich trotz des unvermeidlichen Ausblicks auf den Tod stellt der Mensch doch immer wieder das Erkennen an den Anfang der Zeugung. Es scheint, dass der Mensch so an jenem ersten Sehen Gottes teilnimmt: Gott, der Schöpfer, ‚sah … und alles war sehr gut‘. Die Wahrheit dieser Worte bekräftigt er immer aufs Neue.“

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