4. April 2018
Die Abteikirche der Entschlafung Mariens bildet mit ihrem markanten Profil die Krone des Zionsberges in Jerusalem und ist einer der prominentesten Orte der Christenheit überhaupt. Gleich nebenan hat das letzte Abendmahl Christi stattgefunden, woran dort seit dem 2. Jahrhundert die "kleine Kirche der Apostel" erinnerte. Auch das erste Pfingstfest fand nach der Auferstehung und Himmelfahrt Christi hier statt, als Geburt der Kirche, wo sich der heilige Geist wie in Feuerzungen über die Muttergottes und die zwölf Apostel senkte und über ihren Häuptern sichtbar wurde wie über einem einzigen Leuchter, wie Lukas das Ereignis beschreibt. Rund 17 Jahre später kam es an derselben Stelle zum ersten und letzten "Apostelkonzil", in dessen Verlauf Maria hier oben im Kreis der Apostel entschlafen ist, nachdem sie Johannes, den Lieblingsjünger ihres Sohnes, von Ephesus noch einmal hierhin nach Jerusalem begleitet hatte. Die frühen Zusammenkünfte der Urgemeinde müssen wir uns allesamt hier oben vorstellen.
Schritt für Schritt bewegen wir uns im Bereich der "Dormition Abbey", wie sie in Jerusalem meist genannt wird, auf dem Urgrund der Kirche Jesu Christi über zahllosen archäologischen Zeugnissen und unter einem dichten Gewebe ältester frühchristlicher Überlieferungen. Auch die so genannte Lukas-Ikone, das legendäre und einzige Abbild Mariens zu ihren Lebzeiten, soll hier oben ihren Ursprung haben.
Es war deshalb kaum weniger als ein Wunder, dass ausgerechnet Wilhelm II., der evangelische Kaiser aus Berlin, im Jahr 1898 das unschätzbare Grundstück für 120.000 Reichsmark von dem osmanischen Sultan Abdülhamid II. in Konstantinopel für die katholische Kirche im deutschen Reich erwarb, in einem längst vollkommen unvorstellbaren Akt.
Dass die neu erbaute Abtei schon ab dem Jahr 1906 von Benediktiner-Mönchen aus der Erzabtei Beuron besiedelt wurde und bis heute neben dem Zionstor eine deutsche Präsenz unter der Herrschaft der Osmanen, der Briten und Israels garantierte, ist ein ähnliches Wunder.
Diesen historischen Hintergrund sollte jeder bei der Überraschung mitbedenken, dass am 20. Februar von den 20 Mönchen der Abtei in Jerusalem und am See Genezareth plötzlich der polnische Benediktinermönch Bernhard Alter als 7. Abt des Klosters gewählt und jetzt am 4. April feierlich geweiht wurde.
Denn hoher Favorit für die meisten Beobachter war der 39jährige Pater Nikodemus Schnabel, ein ehemaliger Schüler Pater Bernhard Maria Alters, der die Abtei seit dem Rückzug Abt Gregory Collins‘ im Jahr 2016 als Prior-Administrator geleitet hatte und zwar so geschickt und erfolgreich, dass es dem jungen Mönch sogar gelungen war, die dringend notwendige und höchst kostspielige Renovierung der imposanten "Dormitio Mariae Virginis" zu einem Teil des Koalitionsvertrages der verschiedenen Parteien der neuen Regierung der Bundesrepublik Deutschland in Berlin werden zu lassen.
So war neben dem tatkräftigen Pater Nikodemus der 71jährige Pater Alter kaum mehr als ein Außenseiter und zwar im allerwörtlichsten Sinn. Seit Jahren schon lebte er mit Erlaubnis seines Abtes als Eremit hinter Ein Karem, über der Höhle des heiligen Johannes des Täufers, bevor der sich von dort aufmachte, unten am Jordan Jesus von Nazareth als das "Lamm Gottes" zu verkündigen, "das die Sünden der Welt hinweg nimmt".
Ähnlich exzentrisch müssen wir uns auch das Leben des neuen Abtes vorstellen, der nun von seiner Eremitenklause zum Gipfel des Zionsberges zurückkehrt und dem Gipfel seiner Laufbahn. Denn der Mensch denkt und Gott lenkt - wohl immer noch ganz besonders an diesem Ort des ersten Pfingstfestes.
Der Einsiedler ist in Ostpreußen nach vielen Töchtern als erster Sohn einer adeligen Familie geboren, die das Privileg besaß, autorisierte Kopien der berühmten Muttergottes-Ikone von Tschenstochau anfertigen zu dürfen. Später ist er dann auch selbst ein "Ikonenschreiber" geworden, der lange Zeit auf dem Zionsberg allerdings damit verbrachte, in seiner kleinen Werkstatt im Garten des Klosters Kerzen zu drehen. Er ist im katholischen Ritus ebenso wie im byzantischen Ritus zuhause und redet polnisch, russisch, deutsch und hebräisch fließend.
Er war ein enger Vertrauter Kardinal Meisners und Freund Johannes Paul II., der dem Kölner Erzbischof immer eine "slawische Seele" bescheinigt hatte. Im letzten März zeigte er uns auf dem Friedhof des Klosters noch einige Münzen aus der Zeit der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70, die der legendäre Bargil Pixner (1921 – 2002) in den 90er Jahren bei seiner Freilegung der "Mikve Mariens" unter den Fundamenten der Marienbasilika gefunden und ihm anvertraut hatte.
Diese "Münzen Mariens" und anderes himmlisches Kleingeld wird er bei seinen neuen und schweren Aufgaben gut gebrauchen können und bei seinem Auftrag, "der Liebe zu Christus nichts vorzuziehen", wie es der heilige Benedikt seinen Söhnen bei der Gründung des Ordens im schwierigen Zeitalter der Völkerwanderung eingeschärft hatte.
Als wir Jerusalem im Jahr 2002 verließen, schärfte Pater Bernhard Maria Alter uns hingegen ein, nach unserer Ankunft in Rom dringend die älteste aller so genannten Lukasikonen aufzusuchen, die sich dort in der Obhut klausurierter Dominikanerinnen des Rosenkranzklosters auf dem Monte Mario befinden würde. So wurde er damals direkt verantwortlich für die Wiederentdeckung der herrlichen Advocata (mit dem Silberblick), das heißt, der verborgenen und fast schon vergessenen Lukas-Ikone , die in Konstantinopel lange Zeit Hagiotrissa genannt wurde – und die seitdem unzählige Pilger in Rom erfreut und getröstet hat und deren Geschichte immer noch beginnt und neu erzählt werden will.
Von ihm selbst aber ist mir am liebsten ein Foto, das ich am 9. August 2001 von ihm im Eingang des heiligen Grabes in Jerusalem in der Zeit der Intifada geschossen habe, als große Furcht verhinderte, dass noch Pilger nach Jerusalem kamen, wo einen heute die Menge fast erdrücken wurde, die sich vor dem Grab Christi drängt. So ist das Foto von damals fast selbst zu einer Ikone geworden, wo es den neuen Abt der Dormitio-Abtei in jüngeren Jahren und mit struppigeren Bart im Eingang zum größten Heiligtum der Christenheit so zeigt, als wäre dieses heilige Tor für ihn geradezu maßgefertigt.
Der renommierte Autor und Historiker Paul Badde ist Romkorrespondent des katholischen Fernsehsenders EWTN.TV
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