4. Mai 2018
Wer die "Heiligen des Alltags" seien, beschrieb Papst Franziskus am 4. Dezember 2014 so: "Denken wir an so viele einsame alte Menschen, die beten und geben. Denken wir an so viele Mütter und Väter, die mit so viel Mühe ihre Familie voranbringen, die Erziehung der Kinder, die tägliche Arbeit, die Probleme, aber immer mit der Hoffnung auf Jesus; sie spreizen sich nicht wie ein Pfau, sondern tun, was sie können."
Das uns hier vorliegende Buch "Heilige des Alltags" wurde von dem russischen-orthodoxen Bischof Tichon Schewkunow verfasst und ist, folgt man der Information des EOS-Verlages, in dem die deutsche Ausgabe des mit ca. 560 Seiten sehr umfangreichen Buches erschienen ist, über eine Million Mal verkauft worden und gilt als "Klassiker der neueren spirituellen Literatur".
Dieses Buch, das streng genommen von einem schismatischen (vom Papst getrennten) Bischof geschrieben wurde und von einer schismatischen (von Rom getrennten) Kirche handelt, ist dennoch auch für Katholiken lesbar, sogar zu empfehlen. Tichon Schewkunow, der Autor, trat 1982 in das Höhlenkloster Petschory ein. 1995 wurde er Abt des Klosters Sretensky und 2015 zum Bischof von Jegorjewsk geweiht. In diesem Buch geht er nicht auf die Abspaltung seiner Kirche ein und verbreitet auch keinerlei Ketzereien. Vielmehr hat er ein sehr gut lesbares und lesenswertes Buch geschrieben, das sicher all jenen empfohlen sei, die ihren Glauben in der heutigen Zeit noch nicht ganz verloren haben.
Das mit vielen schwarz-weißen Abbildungen ausgestattete Buch ist kurzweilig geschrieben. Der Leser wird mitgenommen auf eine Reise in die Geschichte der orthodoxen Kirche im sowjetischen Russland. Es wird von Menschen berichtet, die einmal wichtige Personen der Zeitgeschichte werden würden. Ebenso wird von einfachen Gläubige erzählt und darüber, wie der Glaube in der kirchenfeindlichen Gesellschaft der Sowjetunion überleben konnte. Stets spürt der Leser, dass er ein erbauliches, spirituelles Buch vor sich hat.
Der russisch-orthodoxe Bischof Tichon Schewkunow, der als Georgij Alexandrowitsch Schewkunow Student der staatlichen Filmhochschule war, berichtet autobiografisch von seinem Weg in die Kirche. Heute ist er Beichtvater von Wladimir Putin. Aber nicht nur von sich schreibt er. Als er als junger Mann, in der Endphase der Sowjetzeit zum Glauben gefunden hatte und in das Höhlenklosters von Petschory an der russisch-estnischen Grenze eingetreten war, begegnete er einer ganz anderen Welt. Und er begegnete ganz anderen Menschen als bisher in seinem Leben. So beinhaltet das Buch eine Reihe von Geschichten und Anekdoten aus dem Leben verschiedenster Mönche. Das Buch bietet wunderbare Einblicke in die russische Volksfrömmigkeit und in das Geistesleben der russisch-orthodoxen Kirche. Manchmal wird die Liturgie ein wenig erläutert, wie auch der Katechismus der orthodoxen Kirche.
Bischof Tichon Schewkunow schreibt in seinem Vorwort. "Es war nicht nötig, sich etwas auszudenken. Alles, wovon Sie hier lesen werden, ist wirklich passiert. Und viele der Personen, von denen hier berichtet wird, leben noch heute." Es ist also ein wahres Buch, das die Wahrheit berichtet, besonders aus der Zeit der zu Ende gehenden Sowjetunion und dem wiederaufstreben des russisch-orthodoxen Glaubenslebens in Russland. Im Vorwort heißt es:
"Einmal, als wir noch ganz junge Novizen des Höhlenklosters von Pskowo-Petscherskij waren, liefen wir an einem warmen Septemberabend über Gänge und Galerien, kletterten auf die alten Klostermauern und ließen uns hoch über dem Garten und den Feldern gemütlich nieder. Beim Plaudern erzählte dort jeder, wie er dazu gekommen war, ins Kloster zu gehen. Und je länger wir einander zuhörten, desto mehr staunten wir.
Es war das Jahr 1984. Wir waren zu fünft. Vier von uns waren in nicht-religiösen Familien aufgewachsen und sogar beim fünften, dem Sohn eines Priesters, unterschieden sich die Vorstellungen über Menschen, die ins Kloster gehen, nur wenig von denen anderer Sowjetbürger. Noch ein Jahr zuvor waren wir alle davon überzeugt gewesen, dass in unserer Zeit entweder Fanatiker ins Kloster eintreten oder Menschen, die im Leben absolut nicht zurechtkommen. Ach ja! Und außerdem noch Opfer unglücklicher Liebe.
Doch wenn wir uns so betrachteten, sahen wir etwas völlig anderes. Der Jüngste von uns war gerade mal achtzehn Jahre alt, der Älteste sechsundzwanzig. Wir waren alle gesunde, kräftige, gutaussehende junge Männer. Einer hatte sein Mathematikstudium glänzend abgeschlossen, ein anderer war trotz seiner jungen Jahre ein in Leningrad bekannter Maler. Ein weiterer hatte den größten Teil seines Lebens in New York verbracht, wo sein Vater arbeitete, und war nach Beendigung seines dritten Studienjahres ins Kloster eingetreten. Der Jüngste, der Priestersohn, war ein talentierter Holzschnitzer, der gerade seine Ausbildung an einer Kunstschule abgeschlossen hatte. Auch ich hatte kurz zuvor mein Studium als Drehbuchautor am Staatlichen Institut für Kinematografie (VGIK) beendet. Alles in einem winkte uns damals eine äußerst beneidenswerte weltliche Karriere.
Warum waren wir also ins Kloster gegangen und wünschten uns von ganzem Herzen dort zu bleiben? Die Antwort auf diese Frage kannten wir gut: Weil sich jedem von uns eine wunderschöne, mit nichts Anderem vergleichbare Welt aufgetan hatte. Und diese Welt erwies sich als unendlich viel anziehender als jene, in der wir bis dahin unsere wenigen und auf ihre Weise auch sehr glücklichen Jahre verbracht hatten.
Von dieser wunderbaren Welt, in der man nach völlig anderen Gesetzen lebt als im gewöhnlichen Leben, von dieser unendlich hellen Welt voller Liebe und freudiger Entdeckungen, voller Hoffnung und Glück, voller Erfahrungen, Siege und lehrhafter Niederlagen, von einer Welt, die – und das ist das Wichtigste – von der machtvollen Anwesenheit und Hilfe Gottes erfüllt ist, will ich in diesem Buch erzählen."
Tichon Schewkunow, Heilige des Alltags, ist im EOS Verlag erschienen und hat 560 Seiten, mit zahlreiche Fotografien.
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