Am 22. April 1981 setzt Johannes Paul II. in der Katechese seine Betrachtungen über die Kunst fort und kommt auf das Schamgefühl zu sprechen (veröffentlicht in L’Osservatore Romano 81/18). Das „Ethos des menschlichen Leibes“ wird in den bildenden Künsten verfolgt. Stehen diese in Zusammenhang mit der Bergpredigt und den Weisungen des Herrn?

Der menschliche Leib, so legt der Papst dar, und damit der „nackte menschliche Körper in der ganzen Wahrheit seiner Männlichkeit und Weiblichkeit“, sei Ausdruck der Hingabe der Person, des „gegenseitigen Sich-Schenkens zweier Menschen“: „Das Ethos des Leibes, also die sittliche Zulässigkeit seiner Nacktheit aufgrund der Würde der Persönlichkeit, steht in engem Zusammenhang mit jenem auf die Ehe bezogenen System, in welchem das Sich-Schenken des einen Partners der entsprechenden zustimmenden Antwort des anderen begegnet. Diese Antwort ist denn auch entscheidend für das gegenseitige Sich-Schenken zweier Menschen. Die künstlerische Darstellung des menschlichen Leibes in seiner Nacktheit als Mann oder Frau, um ihn zunächst zu einem Modell und danach zum Thema des Kunstwerkes zu machen, ist in gewissem Sinne immer eine Verlegung dieser ursprünglichen und leibspezifischen Darstellung des personalen Sich-Schenkens zweier Menschen nach außen. Das bringt gewissermaßen eine Entwurzelung, eine Loslösung des menschlichen Leibes von dieser Darstellung und seine Verlegung in die Dimension künstlerischer Wiedergabe mit sich: eine Dimension, wie sie dem Kunstwerk oder auch der typischen Darstellungsweise der modernen Film- und Fototechniken eigen ist.“

Bei aller gebotenen Kritik an modernen Formen der Kunst und Unterhaltung richtet Johannes Paul II. stets den Blick auf die Würde des Menschen als Person und fragt, ob diese geachtet oder preisgegeben wird. Die Begierde etwa wird auch in der Kunst gegenwärtig, und es ist zu fragen, ob die Fragen der personalen Hingabe und der Möglichkeit des Sich-Schenkens hinreichend berücksichtigt sind: „Wenn die Kultur die deutliche Tendenz aufweist, die Nacktheit des menschlichen Körpers zu bedecken, tut sie das gewiss nicht allein aus klimatischen Gründen, sondern auch in Bezug auf den Wachstumsprozess der Sensibilität des Menschen in seinem Personsein. Die anonyme Nacktheit des zum Objekt gewordenen Menschen widerspricht dem Fortschritt der wahrhaft menschlichen Sittenkultur.“

Johannes Paul II. stellt so etwa einen Verlust an Sensibilität fest: „Der Mensch mit höher entwickelter Sensibilität überschreitet nur schwer und mit innerem Widerstand die Schwelle jener Scham. Das wird sogar in Situationen deutlich, die im Übrigen die Entblößung des Körpers durchaus rechtfertigen, wie z. B. im Fall ärztlicher Untersuchungen oder Eingriffe.“

Die Scham ist in Geschichte und Gegenwart oft verletzt worden: „Besonders zu erwähnen sind auch andere Umstände, wie z. B. die Verhältnisse in den Konzentrationslagern oder Vernichtungsstätten, wo die Verletzung des körperlichen Schamgefühls eine der gezielt angewandten Methoden ist, um die persönliche Sensibilität und das Bewusstsein der Menschenwürde zu zerstören. Überall bestätigt sich – wenn auch in verschiedener Weise – wieder dieselbe Regel. Der Mensch, der seiner persönlichen Sensibilität folgt, will nicht durch seine anonyme Nacktheit zum Objekt für andere werden und will auch nicht, dass der andere in ähnlicher Weise für ihn zum Objekt wird. Offensichtlich lässt er sich darin, dass er ‚nicht will‘, vom Wissen um die Würde des menschlichen Leibes leiten.“

Insbesondere kritisiert Johannes Paul II. alle Formen der Pornographie in der Massenkultur, „wenn die Schwelle der Scham bzw. der personalen Sensibilität im Hinblick auf den menschlichen Leib in seiner Nacktheit überschritten wird, wenn im Kunstwerk oder durch die Techniken audiovisueller Wiedergabe das Recht auf die Intimität des Körpers in seiner männlichen oder weiblichen Ausprägung verletzt wird und schließlich jene tiefe Bestimmung der Hingabe und des gegenseitigen Sich-Schenkens, die dieser Ausprägung als Frau und Mann in der ganzen Struktur des Menschseins eigen ist“.

Wer wollte die vielleicht unabsehbaren Folgen dieser sittlichen Verwahrlosung leugnen? Es ist, als habe sich der Betrachter heute fast an Formen der Pornographie gewöhnt. Johannes Paul II. mahnt energisch: „Diese tiefe Bestimmung, ja Prägung, ist entscheidend für die Bedeutung des menschlichen Leibes für die eheliche Verbindung der beiden Geschlechter, das heißt für seine grundlegende Berufung, die Vereinigung der Personen herzustellen und daran teilzuhaben.“

In einer medialen Sphäre, die wesentlich von pornographischen Elementen bestimmt oder sogar dominiert wird, ist auch die Kirche gerufen, ihre Stimme zu erheben, um die unantastbare Würde des Menschen, die Würde des Leibes der Person, unbedingt zu schützen. Wer die Scham verliert, wird sonst künftig vielleicht schamlos agieren und den anderen nicht als Person wertschätzen und lieben, sondern auf ein Objekt der Begierde reduzieren.

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

Erhalten Sie Top-Nachrichten von CNA Deutsch direkt via WhatsApp und Telegram.

Schluss mit der Suche nach katholischen Nachrichten – Hier kommen sie zu Ihnen.